Kosovo und Serbien – die geleugnete Hintergründe der Balkankrise …

Kosovo und Serbien - die geleugnete Hintergründe der Balkankrise ... Das Neueste zuerst: Russland plant eine neue Basis im Süden Serbiens. Die Zentralbalkan-Republik Serbien erhält damit einen „Schutzschirm“ – wie stark militärisch der ausgeprägt sein wird, bleibt vorerst dahingestellt. Es scheint so, als sei das Ziel westlicher Interventionen, eine Rechtfertigung für ihre Eingriffe gegen die einstige Republik Jugoslawien zu erhalten, damit ein Stück mehr gefestigt worden.

Die Russen sagen, die neue Basis nahe der Stadt Nis habe „rein humanitäre“ Ziele. Piloten widersprechen und entgegnen, auf der Ebene um Nis ließen sich wunderbar Start- und Landebahnen auch für größte Flugzeuge bauen.

Das amerikanische Camp Bondsteel im nahen Kosovo, mit 386 Hektar Fläche das größte und vor allem Bedeutendste nach der US-Basis in Deutschland, hat also seine Entsprechung in Serbien.

Um es klar vorweg zu nehmen: Serbien hat bisher noch nichts, was eine Aufnahme in die EU rechtfertigt. Außer seiner geostrategischen Bedeutung und der traditionell guten Beziehungen zu Russland, die den GUS-Staaten erlauben, ein Bein in die EU und in die westliche Interessenssphäre zu stellen.

Serbien ist damit so eine Art Kuba auf dem Balkan

Dabei profitiert die Republik Serbien von ihrer geostrategischen Lage, ohne dass ihr diese zur Gefahr wird: Denn umgeben von EU-Staaten, bleibt der Europäischen Union im Grunde nichts anderes übrig, als Serbien – irgendwann – aufzunehmen. Um die Strukturen zu unterstützen, die nötig sind, einen solchen Schritt zu rechtfertigen, hat EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle schon mal vorab Hunderte Millionen Euro nach Belgrad überweisen lassen.

Das sorgt für böses Blut in anderen Regionen: Nicht nur bei den Kosovaren.

Denn im Grunde will selbst in der Republik Serbien die überwiegende Mehrheit den EU-Beitritt des letzten Rumpfes des einstigen Jugoslawien nicht – die Menschen sind immer noch stolz auf ihre Geschichte und selbst auf den schon wieder neuen und besonderen Weg des Landes – umgeben von EU-Staaten. ( Serie, Teil 3 – Belgrad, die morbide Schöne – und die Interessen des Westens)

Das wiederum macht Serbien für Russland und die GUS-Gemeinschaft interessant. Und für die EU zum potenziellen Brandsatz.

Deshalb werden Zugeständnisse, die die EU den Kosovaren längst schuldig sind, über jedes erträgliche Maß hinaus verzögert, ganz normale Leistungen nicht gewährt.

Die Visafreiheit für die Menschen auf dem Kosovo Polje gehört dazu: Der Kosovo, das erfolgreichste „Projekt“, das die EU auf politischer Ebene je durchgefochten hat, ist zugleich der letzte, verbliebene Balkanstaat, dessen Bürger keine Visafreiheit für Europa genießen. Während selbst Serben jederzeit visafrei quer durch Europas Kapitalen reisen dürfen, müssen Kosovaren in unwürdigen, oft hunderte Meter langen Schlangen vor den Botschaften in Pristina und sonstwo auf dem Amselfeld kampieren, um einen der begehrten Stempel in ihren Ausweis zu erhalten und mit dem Visum die Reisefreiheit.

„Das ist unerträglich: Die Feinde aus dem Jugoslawien-Krieg werden mit Visafreiheit in die Siegerländer belohnt, die Verbündeten mit konsequenter und fortgesetzter Verweigerung dieser Visafreiheit vor den Kopf gestoßen“, kritisieren Menschenrechtler, Historiker, Politologen … die EU bleibt stur.

Die Feigheit von Rumänien, der Slowakei, Zypern, Griechenland und Spanien, die wegen eigener Minderheitenprobleme als einzige europäische Nationen den Kosovo immer noch nicht anerkannt haben – weltweit haben dies bereits 86 Nationen getan – hindert Europa außerdem daran, über die EU-Institutionen den Kosovaren gegenüber mit einer Stimme zu sprechen.

Damit sind zum Beispiel Verhandlungen um eine Aufnahme in die EU so gut wie unmöglich.

Das Opfer Kosovo bleibt am Gängelband jedoch auch um anderer Ziele der internationalen Interventionisten willen: Albin Curtis „Vetevendosje“, die Partei der „Selbstbestimmung“ des Kosovo, erhält seit Jahren einen so rapiden Zulauf, dass der Tag abzusehen ist, an dem Curti und Co. im Parlament in Pristina Beschlüsse durchsetzen oder verhindern können. Einer dürfte sein, die Amerikaner, die umstrittene „Rechtsstaatlichkeitsmission“ Eulex und die Unmik des Landes zu verweisen. Damit das nicht geschieht, werden bereits vorsorglich Pläne in den Schubladen der Geheimdienste gehalten, Curti aller möglicher und unmöglicher Verbrechen zu beschuldigen, solcher eben, die ein Partisan möglicherweise begangen haben kann oder vielleicht sogar haben muss, um zu überleben.

Bereits aktuell werden solche Vorwürfe dem derzeitigen Präsidenten Hashim Thaci gemacht: Organhandel, organisierte Kriminalität im Handel mit Waffen, Mädchen, Drogen … es gibt kaum etwas, was die Usurpatoren des Amselfeldes seit dem Sieg über die Serben auf dem Amselfeld nicht aus den Schubladen ihrer Verleumdungs-Kabinette geholt haben – um den Mann erpressbar zu halten: Willfährig soll er bleiben und nicht auf dumme Ideen kommen.

Eine solche wäre, den Amis die Lande- und Stationierungsrechte für Camp Bondsteel zu kündigen …

“ … nein, GT ist uns nicht sonderlich sympathisch, solange Sie so negative Dinge über die USA aufdecken und so hoch hängen“, sagte uns neulich ein von der offiziellen US-Balkanpolitik zwar nicht überzeugter, aber abhängiger Diplomat.

Solche Menschen gibt es in großer Zahl – in Kosovo ebenso wie in Serbien. In Serbien reagieren diese Menschen, indem sie – wie soeben geschehen – die Russen ins Land holen und den Westen auch damit erpressen. In Kosovo wäre das nicht möglich. Dort aber droht eine andere, viel gefährlichere Allianz: Es wäre die zwischen Albin Curti und seiner Partei und Hashim Thaci und dessen einstigen Partisanen.
Auch die von einem amerikanisch-türkischen Konsortium zur Zeit von Tirana, Albanien, nach Pristina, Kosovo, im Bau befindliche Autobahn würde nicht verhindern, dass ein Zusammenschluss aller einstigen Partisanen ein starkes und unabhängiges Kosovo politisch denken könnte, in dem die angloamerikanischen Massenvernichtungswaffen des internationalen Kapitals unwirksam wären und wo die EU – sei es auch aus rein humanitären Aspekten – stark gefordert wäre.

Ein solcher Staat wäre auch den Serben nicht recht. Deshalb kokettiert man in Belgrad nicht nur mit den Russen, sondern unter Staatspräsident Boris Tadic immer auch mit den Amerikanern … man würde ihnen Bondsteel lassen, erfährt man unter der Hand in Belgrad, wenn die Amerikaner sich für eine Abtrennung und Autonomie des kosovarischen Nordens einsetzen würden. Listige Überlegung im serbischen Weltbild ist dabei nicht nur, dass ein Rumpfkosovo ohne den Norden auf einen Großteil seiner Bodenschätze verzichten müsste – die eben im Norden zu finden sind – sondern dass ein autonomer Pufferstaat zwischen „Rumpfjugoslawien“ und dem aufmüpfigen, Albanien zugewandten Kosovo überdies auch ethnisch nicht mehr die ungeteilte Sympathie der Europäer – und vor allem der Deutschen – finden würde.

Diesen Spaltpilz erkennen natürlich auch die USA. Und nutzen ihn für ihre Interessen: Zum Beispiel jene, mit dem Camp auf dem Amselfeld ein Einfallstor über den Balkan zur Seidenstraße und bis in die entferntesten, kaukasischen Republiken zu haben. Dort überall sind sie nämlich schon – und dominieren druckvolle Maßnahmen aus der Südflanke gegen den einstigen und immer noch starken, militärischen „Russischen Bären“.

Deutschland ist im Spiel der Mächte nicht immer glückreich: Die Übernahme der Telekom Kosovo gilt als unsicher, so manches andere Projekt ebenso. Trotzdem macht die deutsche Bundeskanzlerin auf dem Balkan eine starke Figur. Das gilt sowohl gegenüber Serbien (Deutschland ist dort stärkster Handelspartner und Angela Merkel kann man nicht ignorieren, wenn sie sagt, eine EU-Mitgliedschaft komme erst nach einer definitiven Grenzregelung mit Kosovo in Frage) als auch gegenüber dem Kosovo und den anderen, dort engagierten Playern.

Das ist wichtig!

Ebenso entscheidend ist, dass die Politik der EU ganz klar darum kämpft und die folgenden vier Punkte in den Fokus ihrer Bemühungen stellt und mit einer Stimme durchdrückt:

1. Reise- und Visafreiheit für die Kosovaren im gesamten europäischen Raum.

2. Einen effektiven Auf- und Ausbau der Wirtschaftsbeziehungen auf Basis einer geklärten Vertragssituation.

3. Den Umgang mit dem kleinen Land mit einer weit reichenden Vision, die mit einer Stimme verfochten wird.

4. Die Anerkennung des Kosovo auch durch die kleinen, feigen Wirtschaftszwerge Rumänien, die Slowakei, Zypern, Griechenland und Spanien.

Erst wenn das erreicht ist, wird eine Politik glaubwürdig, die sich auf der Grundlage der erfolgreichen Verteidigung der Rechte der Schwächsten auf dem Balkan das Recht erwirbt, dann auch Serbien effektiv in die EU zu integrieren.

Und erst wenn diese, glaubwürdige Schiene aufgemacht wird, ist Europa offen für die Weiterentwicklung einer dann ebenfalls glaubwürdigen politischen und wirtschaftlichen Integration der neuen Länder im Osten, ohne dass damit Gefahren verbunden sein werden, wie sie Griechenland zur Zeit über alle Euro-Länder bringt.

So gesehen, ist der kleine Staat Kosovo, der jüngste Europäer, das Knie Europas.

Europa, der alte Mann auf dem alten Kontinent, könnte nicht mehr aufrecht stehen, geschweige denn voran schreiten, wenn er es zulassen würde, dass ihn – wer auch immer – ins Knie schießt.

Die Weiterungen der oben genannten Zusammenhänge und Interessen in allen ihren Interdependenzen würden das Abendland insgesamt in seinen mühsam aufgebauten, friedlichen Strukturen und Grenzgestaltungen in Frage stellen.

Es gilt mithin als eine der vordersten Prioritäten, dafür zu sorgen, dass es nicht wieder möglich wird, dass fremdgesteuerte Interessen eines Landes eine Region wie den Balkan als Brandbeschleuniger für innereuropäische Konflikte missbrauchen können.

Keinem aus dem Reigen der Mächte der Erde wäre damit schlussendlich gedient. Das in seinen Facetten aus dem Desaster einer 130-jährigen, neueren Geschichte herauszuarbeiten, ist der Gegenstand der Serie in GT.

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Der Zünder für das Pulverfass Balkan ist in Brüssel zu suchen, nicht in Pristina

Die ganze Serie: Quo vadis Serbien – das Land im Spätherbst 2011

Der Autor:
Norbert Gisder, Buchautor und Journalist seit 35 Jahren, kennt Serbien und den Kosovo seit Mitte der 70-er Jahre von unzähligen Recherchereisen. Norbert Gisder ist Politologe und Chefredakteur dieses Magazins.

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Wie Kosovo, so ist auch Serbien ein Vielvölkerstaat. Ethnische Zusammensetzung: 82,8 Prozent Serben, 3,9 Prozent Ungarn, 2,1 Prozent Bosniaken bzw. „ethnische Muslime“, 1,4 Prozent Roma, 1,1 Prozent „Jugoslawen“, 0,9 Prozent Montenegriner, 0,9 Prozent Kroaten, 0,8 Prozent Slowaken, 0,8 Prozent Albaner, 0,5 Prozent Vlahen, 0,5 Prozent Rumänen, 0,4 Prozent Mazedonier, 0,3 Prozent Bulgaren, 0,3 Prozent Bunjevazen, 0,2 Prozent Ukrainer (Ruthenen) und circa 4.000 Deutsche sowie Angehörige weiterer Gruppen der insgesamt 21 Minderheiten. Bevölkerungswachstum: circa -0,47 Prozent (um Migrationssaldo bereinigt).

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