10 Jahre Internationaler Strafgerichtshof – sexualisierte Kriegsgewalt darf kein Randthema bleiben!
medica mondiale fordert gezielte Strafverfolgung sexualisierter Gewalt in bewaffneten Konflikten
Köln, 27. Juni 2012. Zum 10. Jahrestag des Internationalen Strafgerichtshofes (IStGH) in Den Haag am 1. Juli fordert die Frauenrechts- und Hilfsorganisation medica mondiale dringend einen Paradigmenwechsel in der Aufarbeitung und Strafverfolgung sexualisierter Gewalt in bewaffneten Konflikten. Die internationale Gemeinschaft müsse endlich ihrer politischen Verantwortung zur effektiven Verhütung und Bestrafung sexualisierter Gewalttaten nachkommen. Nur so könne sie langfristig einen Beitrag zum Weltfrieden leisten und Frauen und anderen Betroffenen von sexualisierter Kriegsgewalt ein Minimum an Gerechtigkeit zuteilwerden lassen.
„Ungeachtet der Errungenschaften des IStGH bei der Aufklärung schwerer Kriegsverbrechen hat das Weltgericht seine Möglichkeiten, sexualisierte Kriegsgewalt zur Anklage zu bringen, nicht ausreichend genutzt“, mahnt Monika Hauser, Geschäftsführendes Vorstandsmitglied von medica mondiale. Obwohl das sogenannte Rom-Statut des Strafgerichtshofes aus dem Jahr 2002 unter anderem Vergewaltigung, sexuelle Versklavung sowie andere Formen sexualisierter Gewalt als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen oder Völkermord aufführt, seien in den letzten zehn Jahren keine ernsthaften Bemühungen zu erkennen gewesen, die Aufarbeitung und Strafverfolgung sexualisierter Gewalt systematisch voranzutreiben und Straftäter zur Verantwortung zu ziehen.
Geschlechtsspezifische Gewalt blieb auch im bislang ersten vor dem IStGH geführten Prozess gegen den früheren kongolesischen Rebellenführer Thomas Lubanga unberücksichtigt. Im März wurde Lubanga vom Internationalen Gerichtshof für die Rekrutierung von KindersoldatInnen schuldig gesprochen. „Dass dabei die Vergewaltigungen und Zwangsverheiratungen entführter Mädchen keine Rolle spielten, ist ein ‚Schlag ins Gesicht‘ für die vielen Opfer“, betont Hauser. Darüber hinaus verhindere ein solches Vorgehen auch jede Art von Entschädigung und Rehabilitierung für die Überlebenden und sende ein völlig falsches Signal an die Täter.
Auch bei anderen UN-Kriegsverbrechertribunalen wurden sexualisierte Gewaltverbrechen im Kontext von Kriegen und bewaffneten Konflikten bislang nur äußerst selten verhandelt, Täter nur in ganz wenigen Fällen verurteilt. Beim Jugoslawien-Tribunal etwa verzichtete die Chef-Anklage teilweise bewusst darauf, Kriegsvergewaltigungen als eigenen Straftatbestand zu verfolgen, um Verfahren zu beschleunigen. In anderen Fällen wurde die Beweisführung dadurch erschwert, dass Sexualverbrechen anderen Straftaten untergeordnet wurden, wie beispielsweise Verfolgung oder ethnische Säuberung. Verschiedene Vergewaltigungs-Anklagen seien so „ins Leere gelaufen“, sagt Hauser.
Die internationale Gemeinschaft dürfe sexualisierte Gewalt in Kriegen nicht länger dulden, sondern müsse den Kampf gegen die weitverbreitete Straflosigkeit endlich als präventive Aufgabe begreifen, so Hauser weiter. „Obwohl die UN mit verschiedenen Resolutionen zu Frauen, Frieden und Sicherheit von 2000 und 2008 die verheerenden Auswirkungen geschlechtsspezifischer Gewalt auf den internationalen Frieden längst anerkannt und sich zur Ächtung sexualisierter Gewalt im Krieg verpflichtet hat, ist bislang kein wirklicher politischer Wille zu erkennen.“
Eine konsequente Strafverfolgung sexualisierter Kriegsgewalt werde zusätzlich erschwert durch den häufig fahrlässigen, manchmal gar unwürdigen Umgang mit den meist weiblichen Opfern, die als Zeuginnen und Nebenklä-gerinnen in den Strafverfahren aussagen. Nicht selten werden sie von Gerichtsbeamten erneut gedemütigt und retraumatisiert, beispielsweise durch unsensible und diskriminierende Fragen bei Verhören. Auch sei in der Regel nicht für einen ausreichenden Schutz der Zeuginnen sowie ihrer Familien gesorgt, was viele wichtige Aussagen schlichtweg verhindere und die Beweislage deutlich schmälere.
„Hier muss noch Vieles getan werden“, unterstreicht Hauser. „Seit vielen Jahren fordert medica mondiale die Einrichtung einer Gender-Behörde am IStGH, die mit den nötigen personellen und finanziellen Ressourcen ausgestattet ist, um die Aufarbeitung und Strafverfolgung sexualisierter Kriegsgewalt systematisch voranzutreiben.“ Deutliche Verbesserungen erwarte medica mondiale vor allem auch von der neuen Chefanklägerin am IStGH, Fatou Bensouda. Die seit Mitte Juni amtierende Juristin sagte im Vorfeld, sie wolle insbesondere mehr Augenmerk auf Gewalt gegen Kinder und Frauen legen.
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medica mondiale setzt sich seit 1993 ein für traumatisierte Frauen und Mädchen in Kriegs- und Krisengebieten. Dabei versteht sich die Organisation als Anwältin für die Rechte und Interessen von Frauen, die sexualisierte Kriegsgewalt überlebt haben. Neben gynäkologischer Versorgung, psychosozialer und rechtlicher Unterstützung bietet medica mondiale Programme zur Existenzsicherung und leistet politische Menschenrechtsarbeit. Wie in weiteren Ländern unterstützt medica mondiale in der DR Kongo lokale Frauenorganisationen, deren Engagement überlebenswichtig ist für von Gewalt betroffene Frauen. 2008 wurde die Gründerin der Organisation, Monika Hauser, mit dem Right Livelihood Award, dem sogenannten Alternativen Nobelpreis, ausgezeichnet.