Tai Chi – Die Faszination der chinesischen Kampfkunst

Tai Chi gilt als die höchste chinesische Kampfkunst, die seit den siebziger Jahren auch in Europa immer beliebter wurde. Die Gründe dafür liegen klar auf der Hand: Ungeachtet des sportlichen Charakters und der Möglichkeit zur Selbstverteidigung beeinflusst Tai Chi auch unsere Gesundheit positiv. Besonders bei Rücken- und Gelenkschmerzen oder psychischen Beschwerden helfen uns die Übungen zu entspannen. Um die Vielfalt dieser chinesischen Kampfkunst darzustellen, veröffentlichte der Heilbronner Tai Chi-Instruktor Karsten Kalweit im Oktober 2017 im Meyer & Meyer Verlag eines der bis dato umfangreichsten Trainingsbücher.

 

Herr, Kalweit, Sie trainieren seit über 25 Jahren die Kunst des Tai Chis. Wie sind Sie damals zu diesem Sport gekommen?

Ich hatte damals schon Erfahrungen mit anderen Kampfsportarten gemacht und gerade meine erste Schwarzgurtprüfung in Ju Jutsu abgelegt, als ich nach einem ruhigen Gegenpol zum Wettkampf suchte. An der VHS bin ich zum ersten Mal mit Tai Chi in Kontakt gekommen und bin daraufhin richtig begeistert gewesen.

 

Und diese Begeisterung hält bis heute an? Was ist für Sie das Faszinierende an Tai Chi?

Ja, auf jeden Fall. Am Anfang war es hauptsächlich der entspannende Ausgleich zu einem stressigen Wettkampfsport. Die Atemübungen (Chi Gong) und die meditativen Elemente haben mir sehr geholfen. Später habe ich angefangen die verschiedenen Prinzipien genauer zu betrachten und festgestellt, dass sehr interessante Kampfkunst-Aspekte im Tai Chi existieren. Abgesehen vom Einsatz der vielen zum Teil recht exotischen Waffen, gefallen mir die Partnerübungen (Pushing Hands oder Tui Shou) besonders gut. Hier hat man die Möglichkeit seine erworbenen Kenntnisse auf spielerische Weise mit Gleichgesinnten auszuprobieren.

 

Sie waren auch lange Zeit in Sao Paulo, Chengdu und Hong Kong, um dort zu trainieren. Das finde ich wirklich spannend. Was haben Sie dort erlebt? Und vor allem: Wie sind Sie auf die Idee gekommen, dort zu trainieren?

Ende 2006 zog ich aus beruflichen Gründen für drei Jahre nach Sao Paulo (Brasilien) gezogen. In dieser Stadt, die eine große multikulturelle Vielfalt aufweist, gibt es auch eine große chinesische Gemeinde. Neben anderen Kampfsportarten wie Brasilian Ju Jutsu und Capoeira war das Tai Chi Training in Sao Paulo für mich eine ideale Möglichkeit, mich auch dort sportlich zu betätigen. Mein Meister und Trainingspartner in Sao Paulo gab mir den Ratschlag, Tai Chi unbedingt im Ursprungsland zu trainieren. Ein spannender Vorschlag – und doch habe ich nicht lange gezögert und letztlich mit einige Visa Hindernissen meine erste Chinareise von Brasilien aus angetreten. In Chengdu angekommen musste ich trotz der vorherigen Schwierigkeiten zugeben, dass die Reise es wert war. Drei Wochen lang konnte ich täglich bei meinem Meister Chen ein Einzeltraining absolvieren, das mich auch in meinem ganzheitlichen, stilübergreifenden Ansatz bestärkt.

Meine späteren Trainingsreisen führten mich meistens nach Hongkong, da die Einreise dort viel unkomplizierter war. In Hongkong habe ich versucht, bei möglichst unterschiedlichen Stilen und Trainerpersönlichkeiten zu lernen und so für mich einen roten Faden in der Tai Chi Welt zu finden. Denn die Ansätze in manchen Gebieten waren sehr unterschiedlichen, in anderen wiederrum ähnlich.

Letztlich haben Sie für sich den roten Faden und haben sich dieser Kampfkunst voll und ganz verschrieben. Ist Tai Chi denn für jeden von uns geeignet? 

Ja, das kann man so sagen. Ein Tai Chi Training kann von jedem besucht werden – unabhängig vom Geschlechter, Alter, den Vorkenntnissen und natürlich die Tatsache, dass viele, die Tai Chi betreiben, sich gar nicht als Kampfkünstler verstehen. Das ist das Tolle am Tai Chi. Der Ansatz zur Tiefenentspannung ist durch die Chi Gong Übungen und die meditative Ausführungsart der Formen ein attraktiver Anreiz für viele Tai Chi zu praktizieren. Aber auch die Kampfkunstaspekte, wie Technik, Taktik und der grundsätzliche Ansatz zu Problemlösungsstrategien ist faszinierend in seiner Komplexität. Diejenigen, die nur ab und zu zum Entspannungstraining kommt, nehmen sehr viel als dem Tai Chi mit und verbessern ihre Gesundheit. Doch – und das kann ich zu 100 % versichert – nur wer sich intensiv mit der Materie auseinandersetzt, wird in den Genuss der vollen Schönheit dieser chinesischen Kampfkunst kommen.

 

Das glaube ich Ihnen gerne und ich wünsche Ihnen, dass Sie noch viele mit diesem Training begeistern werden. Was geben Sie Tai Chi-Anfängern mit auf den Weg?

Die Einzelheiten der Technik werden nach und nach im Training erklärt, Hilfsmittel wie Bücher und Videos runden dies ab. Für mich persönlich ist die wichtigste Voraussetzung ein kontinuierliches Gehen auf dem Weg. Ob man ein bisschen früher oder später an einem bestimmten Ort ankommt, ist dann egal. Ich wage hier sogar so weit zu gehen und zu versprechen, dass wenn man dabei bleibt, alles erreichen kann, was man sich vorgenommen hat. Am Anfang einer langen Form scheint es, als ob man sie nie beherrschen werde. Sieht man sie von einem Meister komplett ausgeführt, verzweifelt man beinahe: Wie soll ich mir denn das alles merken? Wenn man dann später darauf zurück blickt, scheint alles ganz einfach gewesen zu sein.

Noch, eine letzte Frage: Sie haben aufgrund Ihres riesigen Fachwissens 25 Jahre später ein Buch geschrieben, das wohl das umfangreichste auf dem Markt ist und in das Sie viel Herzblut hineingesteckt haben. Wer hat Sie auf die Idee gebracht, Ihre Übungen auf Papier zu bringen?

Die Idee hinter diesem Buch ist es, Tai Chi zumindest in Beispielen in seiner ganzen Fülle dem Leser zugänglich zu machen. Deshalb die verschiedenen Teile von Chi Gong über Pushing Hands zu den Formen. Diese wiederum aus verschiedenen Stilen und mit verschiedenen Waffen. Ich hoffe, dass aus diesem Buch jeder etwas mitnehmen kann und es würde mich sehr freuen, wenn ich meine Begeisterung so mit anderen teilen kann.

 

Über den Tai Chi-Experten Karsten Kalweit:

Karsten Kalweit ist als Tai Chi-Instruktor sowie San Miguel Eskrima-Lehrer aktiv und trainierte die Kunst des Tai Chi unter anderem in Sao Paulo, Chengdu und Hong Kong. 2016 sicherte er sich den 1. Platz der World Martial Arts Games in den Kategorien Non Traditional Weapons und Chinese Weapons.

 

 

Über sein Buch „Tai Chi – Das komplette Trainingsbuch“

Neben grundlegenden Chi-Gong-Atem- und Bewegungsübungen werden in diesem Trainingsbuch alle vier Tai-Chi-Formen vollständig und sehr anschaulich vorgestellt. Zusätzlich zu den drei traditionellen Formen aus dem weltweit bekannten Yang-Stil wird auch der selten veröffentlichte Sun-Stil präsentiert. Besonders für Leser, die sich bereits in der chinesischen Kampfkunst auskennen, sind die 73 eleganten Figuren dieses unbekannten Stils und die facettenreichen Anwendungsbeispiele reizvoll. Aber auch Anfänger können von dem hohen Erfahrungsschatz des Autors profieren. Durch die zahlreichen Übungsbilder können die theoretischen Grundlagen direkt in die Praxis umgesetzt werden. Für Laien, die Tai Chi zur Prävention und Rehabilitation von verschiedenen Krankheiten ausüben möchten, ist die einfache Umsetzung der fließenden, gleichmäßigen und langsamen Bewegungen wichtig.

 

Bibliografische Angaben

Karsten Kalweit

Tai Chi – Das komplette Trainingsbuch

472 Seiten, 1290 Fotos, 1 Abb., in Farbe

Paperback, 21,0 x 25,4 cm

ISBN 978-3-8403-7563-7,

Preis: 38,00 € [D]

Hier geht es zur Leseprobe: https://www.dersportverlag.de/media/uploads/9783840375637p.pdf