Wie wertvoll ist die Wertedebatte?

Eine Kritik an der aktuellen Wertedebatte
Kaum eine Zeitung, Talk-Show oder ein Kongress wo es nicht zur Sprache kommt: Werte und Werteorientierung heißt das Gebot der Stunde. Spätestens seit dem Absturz von Lehman Brothers und der damit verbundenen weltweiten Krise hat dieses Thema Hochkonjunktur und liegt voll im Trend.

Dies ist eine wichtige Debatte und natürlich zu begrüßen und dennoch ist die Form der Debatte zu kritisieren, wenn es uns wirklich ernst sein sollte mit der Werteorientierung. Dabei geht es nicht darum, gegen diesen Trend zu argumentieren, sondern ihm eine praktische Richtung zu verleihen, ihn aus dem Elfenbeinturm der intellektuellen Diskussionsform zu befreien und um das wertvolle „Wie“ zu ergänzen.

Jedem der sich um das Thema Werte bemüht und sich für mehr Werteorientierung einsetzt, kann man eine positive Absicht unterstellen. Allerdings – und das muss bemerkt sein – befindet sich die aktuelle Debatte teilweise auf einem hohen Niveau, doch wird sich überwiegend darauf beschränkt mehr Werteorientierung anzumahnen, dazu aufzufordern oder deren Wichtigkeit zu unterstreichen.

Die Aussagen
– Werteorientierung ist wichtig für mehr Gerechtigkeit und erfolgreicher in der Mitarbeiterführung

– Werte sind für ein friedliches Miteinander unabdingbar

– nur durch Werte sind Verständigung und Toleranz zu erreichen

sind richtig und wichtig, doch es fehlt der entscheidende Faktor, nämlich das „Wie“ des Hinkommens, der Anwendung, Nutzung im Alltag – eben der Umsetzung.

Genau das kann man bei all den Beiträgen, Diskussionen und Vorträgen vermissen. Woher kommt es, dass über das Wichtigste -eben das „Wie“- nicht gesprochen wird z.B.; was sind Werte und wie formuliert man sie, wie komme ich zu meinen eigenen Werten, welche Werte sind vernünftig und welche Regeln kann ich für mich ableiten, was muss ich tun, damit meine Entscheidungen werteorientiert getroffen werden oder kurz, wie kann ich sie im Alltag ganz praktisch anwenden. Praxistaugliche Aufklärung – Fehlanzeige! So bekommt man nach einem hervorragenden Artikel über Werte und warum sie so wichtig sind, die Frage: Was sind Ihre Werte und leben Sie danach, serviert. Das was, wo, wann, wer, warum aber vor allem das wie wird nicht erläutert. Und falls es dann doch einer wagt, tut er das in einer Sprache, die keiner versteht und mit Beispielen die im normalen Alltag überhaupt so nie vorkommen.

Warum ist das so?
Es kann nur ein Versuch einer Erklärung sein und der ist sicher auch strittig. Wagen wir nicht mehr das zu kritisieren, kann die Wertedebatte schnell in einem Lippenbekenntnis münden und gerade dafür ist sie besonders anfällig. Dass meist die Antworten, zumindest der Hinweis darauf, auf ein „Wie umsetzen“ sehr häufig fehlen liegt vor allem daran, dass die Antworten darauf sehr schnell einen (gesellschafts- oder unternehmens-) politischen Punkt erreichen, will man das Thema ernsthaft angehen.

Nehmen wir z.B. den Wert der Gerechtigkeit. Definieren wir ihn in der Form wie es in etwa der Philosoph John Rawls forderte : „Man nimmt denen, die viel haben so viel weg, dass sich ihr Lebensstandart nicht verschlechtert und gibt es denjenigen, die es benötigen um ihren Lebensstandart zu verbessern“, wird man sehr schnell in die politisch linke Ecke gestellt. Definiert man den gleichen Wert in der Form: “ Nur der, der Leistung erbringt, soll auch gerecht für eben diese Leistung bezahlt werden“, wird man politisch dem bürgerlichen Lager zugerechnet. Wie es auch sei, jede Form der Wertedefinition wird (gesellschafts- oder unternehmens-) politisch bewertet. So kann man annehmen, dass dies der Grund dafür ist, dass man sich auf das Anmahnen, Auffordern und Unterstreichen begrenzt, um eben nicht in eine politische Diskussion zu geraten. Deshalb verlassen die wenigsten die Theorie um die Werteorientierung – sicher ist sicher! Andererseits verhindert dies ein ernsthaftes Umsetzen von Werteorientierung und verkommt so zu einer Schlagwortdiskussion.

Irrtümer der Wertedebatte?
Durch diese Art von Diskussion entstehen zudem auch handwerkliche Fehler, wodurch die Ausführungen nicht mehr nachvollziehbar sind, weil sie oft mit der Praxis nichts mehr gemein hat. Da fällt z.B. auf, dass immer noch beharrlich nach Unternehmenswerten gerufen wird, wobei es die als solche gar nicht geben kann, es sei denn man verständigt sich rein auf materielle Werte. Das verhält sich ebenso mit dem Irrtum der Wertevermittlung und der Vorstellung darüber, dass ein Unternehmen seinen Mitarbeitern deren Werte derart vermittelt , dass das gesamte Unternehmen sich daran ausrichten könnte. Dabei kann Wertevermittlung nur heißen, dass zwischen den unterschiedlichen Wertevorstellungen von Unternehmensführung und Mitarbeitern vermittelt werden muss. Das heißt, dass Werteorientierung nur ein Konsens sein kann, will sie erfolgreich, nachhaltig und umsetzbar sein.

Ebenso verhält es sich mit den bewährten Werten: „Früher war alles besser, da gab es noch Werte“ so oder so ähnlich lassen es nicht wenige Experten erklingen. Ja, es gibt Werte die sich bewährt haben, aber diese einfach immer nur gebetsmühlenartig runter zu beten, taugt überhaupt nicht. Was fehlt, ist die aktuelle Übersetzung auf unsere Zeit, Kultur und Gesellschaft. Nehmen wir den Wert: „Das Eigentum des anderen ist zu achten und wertzuschätzen, weil ich auch möchte, dass mein Eigentum bewahrt wird“ und die daraus entstandene Regel: “ Du sollst nicht stehlen“. Was heißt das in unserer heutigen Zeit? Dass der Mitarbeiter aus dem Betrieb nichts mitgehen lassen darf wissen wir. Auch, dass ein Chef keine Gelder veruntreuen darf, aber ist das alles?

Du sollst nicht stehlen…

…die Kreativität und das Engagement deines Mitarbeiters

…die Würde deines Mitarbeiters

…die Zeit, die er mit seiner Familie am Wochenende verbringen will

…die Loyalität, die er dir und deinem Unternehmen entgegenbringen möchte

…den Glauben an Gerechtigkeit, den dein Mitarbeiter hat

…u.v.m.

Es ist ein Irrtum, wenn einerseits behauptet wird, dass bewährte Werte nichts mehr taugen würden und andererseits bewährte Werte keine Zukunft hätten. Es fehlt nur der Mut, sie auf unsere Zeit zu aktualisieren, weil wir dadurch politisch werden und in dem Fall sogar kirchenpolitisch.
Alles was du tust, tue mit Werten, sonst ist es wertlos
Alles was du tust, tue mit Sinn, sonst ist es sinnlos

Der Weg zum „Wie“ in nur 4 Schritten
Im Grunde geht es bei der ganzen Wertedebatte doch darum Tugenden zu verändern, wieder bewusst zu machen, neu zu gestalten und in die täglichen Entscheidungen mit einzubinden. Dies kann nur erreicht werden, wenn Gewohnheiten verändert werden. Als Hilfsmittel dienen dazu Werte und die daraus entstandenen Regeln. Ist nämlich ein Wert definiert und die Regel daraus formuliert, entsteht eine Orientierung, die der Einzelne in seinen Entscheidungen berücksichtigen kann. Tut er dies, wird durch die stetige Wiederholung eine neue Gewohnheit, die in einer Tugend mündet – ein gelebter Wert.

Um das konkret zu erreichen braucht es vier Schritte

1.Schritt – Der Vordenker
Zunächst ist es wichtig, sich darüber klar zu werden, was man will und was man nicht mehr möchte. Ist solch ein Punkt gefunden, z.B. „mehr Gerechtigkeit vorzuleben“ und hat man den festen Willen dies auch umzusetzen, muss man sich darüber klar sein, dass man seine bisherigen Gewohnheiten im Denken, Fühlen und Handeln verändern muss.
Dabei ist es hilfreich diesen Wunsch als ein Wert zu definieren und zu formulieren. In dieser Formulierung ist auch die Begründung „warum will ich das“ ganz entscheidend.

2.Schritt – Der Kritiker
In diesem Schritt macht sich der Anwender nun bewusst, was und wie er bisher mit dem Thema umgegangen ist. Wo waren besondere Stärken zu sehen, wo gab es Unachtsamkeiten, welche Sichtweise wurde bisher ignoriert oder nicht gesehen, etc.
Diese Phase dient dazu, dass der Anwender sich bewusst macht, mit welchen Stärken und Schwächen er bisher mit dem Thema umgegangen ist.

3.Schritt – Der Macher
Hält man nun die beiden ersten Schritte nebeneinander, wird sehr schnell deutlich, wo direkter Handlungsbedarf nötig ist, aber auch, in welchen Situationen man bereits eine bewährte Vorgehensweise lebt – die es dann auch zu bewahren gilt. Aus diesem Vergleich entstehen nun die Regeln und Normen (evtl. auch Gebote) , die man sich selbst entwirft, um eine Orientierung im neuen Handeln zu gewinnen.

4.Schritt – Der Mentor
Im letzten Schritt erarbeitet man sich jetzt die Rahmenbedingungen und Kontrollpunkte. Wann beginne ich? Wie kontrolliere ich mich im meinem Handeln? Wie belohne ich mich? Wer und/oder was kann mir weiterhelfen? Wie will ich mir Rückmeldungen einholen und bei wem? Was plane ich ein, um evtl. Korrekturen vornehmen zu können.
Aber nicht nur das kommt zu Sprache, sondern auch, was man sich als Ergebnis vorstellt, wie es aussieht, was man sich davon erhofft und wie es sich letztlich dann anfühlt.

Sparringspartner statt Berater
Werte sind immer politisch und genau dieser Schritt ist zu wagen. Vor allem Manager, Politiker und Unternehmer, die eine wichtige Schlüsselrolle in der Wertedebatte einnehmen, brauchen eine eigenständige und mutige Wertedebatte.
Werteorientierung in der Praxisanwendung benötigt aber mehr individuelle Definitionen von Werten, Regel und Normen. Eine Verallgemeinerung, wie z.B. ein Projektmanagementtool ist mit Werten nicht machbar. Deshalb wird weniger ein Berater oder Seminarleiter benötigt. Vielmehr ist der praxisorientierte und erfahrene Sparringspartner zu suchen, damit durch Reibung, Diskussion und Debatte eine eigenständige Wertedefinition erlangt wird, die auch die ganz individuellen Zu- und Umstände berücksichtigt. Kurz, wir benötigen weniger Beratung und Seminar (kollektives Konsumieren) sondern mehr Sparringspartner (individuelle Auseinandersetzung) mit dem Mut politisch zu sein, gepaart mit Lebens- und Praxiserfahrung. Und nicht zuletzt den festen und ehrlichen Willen, das alles auch zu wollen. Wer die Wertedebatte als Opium fürs Volk benutzen will, führt diese absurdum und handelt gegen alle humanistischen Wertevorstellungen.

Es gibt keine Rezepte, wohl aber ein Notizbuch
Wer Werteorientierung lehrt, muss sich gefallen lassen auch als dogmatisch zu gelten, denn Werte kann man nicht lehren. Deshalb ist eine echte individuelle Auseinandersetzung, um auch das Individuelle des Einzelnen und dessen spezielle Situation mit einzubinden, der einzig richtige Weg.
Das ist die positive Botschaft, denn die eigene Auseinandersetzung kann jeder führen und wer es wagt seine Gedanken und Ideen festzuhalten, wird sehr schnell erfahren, dass er ein wahrer Meister von gelebten Werten wird.

Das gute alte Tagebuch schreiben kann hier eine große Hilfe sein. Verbindet man dies mit den „vier Schritten“ (s.o.), entsteht ein alltagstaugliches und einfaches Hilfsmittel. Statt also darauf zu warten, ob und wer etwas vorgibt, ist es sinnvoller die Menschen zu ermutigen, eine eigene individuelle Wertedebatte zu führen – wozu es mehr Mut als eine intellektuelle Note braucht. (O.G.)

Lesetipp
Oliver Groß
Spurwechsel – Jetzt mach ich es
Broschiert: 165 Seiten
Verlag: Businessvillage; Auflage: 1., Aufl. (Sept 2009)
Sprache: Deutsch
ISBN-10: 3938358890
ISBN-13: 978-3938358894
http://amazon.de/dp/3938358890

Über den Autoren

Oliver Groß

Jahrgang 1959, Rhetor und Autor, führt die Vorträge und Diskurse durch.
Nach einer Handwerksausbildung mit Meisterprüfung war er Mitglied der Geschäftsleitung mit Personalverantwortung eines mittelständischen Unternehmens. Er studierte die Psychologie und Philosophie, mit den Schwerpunkten Kommunikation und positive Werteorientierung. Sein Lebensmotto lautet: ?Ich verbinde, was andere trennen?.

Sein Tun orientiert sich an der „positiven Werteorientierung“ und deren direkter Auswirkung auf den Lebens- und Unternehmensführung sowie der praktischen Umsetzung. Es hat ihm viel Anerkennung und Respekt in Wissenschaft, Wirtschaft und Politik eingebracht.

Er ist ein Gesprächspartner, der nah am Leben ist und den Menschen mit Verständnis für ihre unterschiedlichen Alltagssituationen, in Beruf und Privatleben, begegnet. Sein Sinn für Humor und seine Sichtweisen des Lebens sind inspirierend und vermitteln ein tiefes Gefühl von Vertrautheit und Wärme.

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