Was agile Unternehmen brauchen

Warum die agile Transformation nicht ausreicht und Flourishing Organizations die Zukunft sind

Von Brigitte Herrmann

Otto macht es, AXA macht es, SAP und immer mehr Unternehmen machen es auch. Sie alle haben sich bereits mutig vorgewagt und sind bereit, den Paradigmenwechsel trotz aller Herausforderungen zu meistern. Sie alle beschreiten den anspruchsvollen Weg der Transformation von tradierten Organisationsstrukturen hin zu einer modernen und zukunftsfähigen agilen Version ihrer selbst. Und doch stellt sich die Frage: Ist Agilität der Weisheit letzter Schluss?

Fakt ist: Für den erfolgreichen Wandel in agile Strukturen sind Voraussetzungen wie ein Mindset zur eindeutigen Kundenorientierung, ein klarer Wille zur Veränderung und professionellen Tools erfolgsrelevant. Zudem wurde erkannt, dass für die Maximierung des Kundennutzens notwendigerweise auch die Mitarbeiter mit ins Boot müssen. Daraus entstand der Ansatz der mitarbeiterzentrierten Führens, sprich dass mehr Verantwortung auf Mensch und Team übertragen wird. Der wichtigste Faktor zum Gelingen sind jedoch wie so oft vor allem die richtigen Menschen am für sie richtigen Platz. Mehr denn je steigt damit auch die Relevanz bestmöglicher Teamzusammensetzungen. Ist dies bereits in klassischen Strukturen von klarem Vorteil, werden sie in agilen Strukturen und der damit wachsenden Selbstorganisation noch stärker zum elementaren Erfolgsfaktor. Und daher ist es gerade im Sinne des maximalen Kundennutzens wichtig, den bisherigen Blick auf Mitarbeiter und Teams – auch im Recruiting – zu verändern und neu zu justieren.

Doch worauf kommt es wirklich an bei einer möglichst optimalen Teamzusammensetzung und was ist der maximale Teamnutzen? Dieser entsteht, wenn Teams Gelegenheit haben zu wahrer Bestform aufzublühen, was sich in puncto Potenzialentfaltung, Arbeitszufriedenheit und schließlich in Performance und Produktivität äußert. Fakt ist: gelingen kann genau das, wenn nicht nur die Passung von Job & Mensch bei jedem Einzelnen stimmt, sondern wenn auch der Sweet Spot erreicht wird. Genau an diesem „Süßen Punkt“ decken sich die Kompetenzen, die Persönlichkeit mit ihren Charakterstärken, Interessen und dem Potenzial des Rolleninhabers genau mit den Anforderungen der Rolle bzw. des Unternehmens. Nur wenn jedes einzelne Teammitglied seine individuelle Passion leben kann, kann auch das ganze Team florieren.

„Flourishing beschreibt, wie durch Stärken und Positivität Herausforderungen besser gemeistert werden und daraus Entfaltung & Wachstum entstehen kann.“

Das amerikanische VIA Institute on Character entwickelte dazu bereits vor Jahren ein interessantes Teamrollen-Modell, das sich auf die positiven Verhaltensaspekte eines Teams fokussiert und auf dem Fundament der Wissenschaft der Positiven Psychologie basiert. Beschrieben werden sieben unterschiedliche Teamrollen, die nicht nur für den Einzelnen, zum Beispiel in puncto Arbeitszufriedenheit beschrieben werden, sondern auch für Aspekte wie beispielsweise Team-Produktivität. Statt also wie bisher, meist nur auf eine einzelne Vakanz oder Rolle zu schauen und sie maximal in einen vagen Team-Kontext zu stellen, lohnt es sich, ein Team mittels Charakterstärken-Analyse auch im Recruiting strukturiert unter dem Aspekt der folgenden Teamrollen abzubilden.

Die Ideen-Entwickler. Rolleninhaber zeichnen sich vor allem durch die Charakterstärken Kreativität und Neugier aus. Sie haben ein natürliches stark ausgeprägtes Interesse und Talent, Neues zu erforschen. Sie lieben es innovative und unkonventionelle Ideen und Lösungen zu entwickeln. Ihr Mut lässt sie keine Herausforderung scheuen und gleichzeitig jede meistern.

Die Reseracher. Menschen, die für diese Rolle wie gemacht sind, haben vor allem eines: jede Menge Ausdauer. Sie blühen auf, wenn sie auf breitester Ebene alle nötigen und möglichen Informationen, Trends und Tools in einem Thema sammeln und mit Bedacht die besten davon selektieren können.

Die Entscheidungsträger. Das Besondere an Menschen, die diese Rolle innehaben, sind ihre Charakterstärken Aufrichtigkeit und Mut. Nach Abwägen und Einordnen aller Informationen treffen sie bestmögliche Entscheidungen und sind in dem was sie sagen wie auch in ihrem Tun authentisch und integer.

Die Implementierer. Nach jeder Entscheidung folgt die Umsetzung. Dafür braucht es echte Pragmatiker, die sich durch Charakterstärken wie Aufrichtigkeit und Ausdauer auszeichnen. Gleichermaßen stark sind sie in puncto Selbstregulation, denn sie gehen stets diszipliniert und zielgerichtet vor.

Die Influencer. Projekt- oder Arbeitsergebnisse werden idealerweise von den Influencern in einem Team intern wie extern kommuniziert. Ihnen fällt es durch ihre Stärke Soziale Intelligenz einerseits leicht mit Menschen in unterschiedlichen Settings zu kommunizieren und emotional stets den richtigen Ton zu finden.

Die Energizer. Jedes Team braucht seinen Energizer. Menschen, die über die Charakterstärken Freundlichkeit, Bindungsfähigkeit und Enthusiasmus verfügen, finden sich in dieser Rolle auf ideale Weise wieder. Gibt man ihnen die Chance, ganz sich selbst zu sein, färbt ihre Begeisterung auch auf die Teamkollegen ab.

Die Beziehungsmanager. Diese Rolle lebt von der Aufgabe, das Team als Ganzes zusammen zu halten und dabei die Individualität des Einzelnen fair zu berücksichtigen. Rolleninhaber verfügen daher über ein hohes Maß an sozialer Intelligenz, Fairness und Freundlichkeit und sind wahre Beziehungskünstler.

Die oben beschriebenen Teamrollen dürfen nicht als „Typisierung“ respektive Typen verstanden und interpretiert werden, sondern vielmehr als die Beschreibung positiver Eigenschaften für die jeweilige Rolle, die Charakterstärken. Somit ist es auch möglich, dass eine Person mehrere Rollen einnimmt. Studienergebnisse belegen, dass Personen, die ihre Charakterstärken in ihrer Rolle und innerhalb ihres Teams bestmöglich anwenden können, deutlich zufriedener und produktiver sind und das positiv auf den Teamerfolg ausstrahlt. In diesem Kontext stehen die Chancen für die agile Transformation, wie auch für das Entstehen einer Flourishing Organization wirklich gut.

5 Tipps für Flourishing Teams und Organizations

Rollen-Klarheit:
Das A und O florierender Teams ist eine saubere Rollenbeschreibung, die im Hinblick auf den Kundennutzen formuliert ist. Welche Team-Rollen sind zu besetzen? Worauf kommt es in der jeweiligen Rolle wirklich an? Schließlich hat ein Influencer in HR andere Touchpoints als ein Influencer im Controlling. Welche Schnittstellen sind erfolgsrelevant? Welche Aspekte und welches Verhalten machen den Erfolg der Rolle aus?

Interesse & Identifikation:
Eines der menschlichen Grundbedürfnisse ist von anderen gesehen und erkannt zu werden. Der Psychologe Ron Friedman begründet das damit verbundene gute Gefühl als ein wichtiges Zeichen für Zugehörigkeit. Zur bestmöglichen Rollenbesetzung ist in diesem Kontext also nicht nur echtes Interesse am Einzelnen sondern auch die Identifikation der Kompetenzen, Interessen und seiner Charakterstärken mittels einer Stärkenanalyse resp. eines Stärken-Interviews wichtig und sinnvoll.

Beteiligung & Autonomie:
Geht es um Personal-Besetzungs- und Entwicklungsprozesse werden Menschen oft top-down von Chef und HR bewertet. Doch oftmals können gerade Kollegen aus dem eigenen oder angrenzenden Team wertvolle Impulse geben, zu wem welche Rolle am besten passt. Agile Organisationen setzen auf Selbstverantwortung, Vertrauen und Offenheit und geben somit die Entscheidung der Rollenbesetzung in die Hände des Teams.

Work-Life-Integration:
Eine aktuelle repräsentative Umfrage von YouGov im Auftrag von LinkedIn ergab, dass acht von zehn Beschäftigten unter Stress im Job leiden. Immer wichtiger wird es deshalb in unserer zunehmend komplexen Arbeitswelt ein Umfeld zu schaffen, in dem Mitarbeiter genau die Rolle(n) besetzen, die natürlich zu ihnen passen. Was nicht überrascht: oftmals ähneln diese genau den Rollen, die ein Mensch auch im Privaten einnimmt. Eine solche Passung reduziert auch Stress.

Ermutigung & Wachstum:
Eine Organisationsstruktur, die sich auf maximalen Kundennutzen fokussiert ist dann erfolgreich, wenn sie sich zunächst auf den maximalen Mitarbeiternutzen konzentriert. Das Ziel ist klar: nur wer Menschen während ihrer Arbeit positives Erleben, Aufblühen und Wachstum ermöglicht, sie ermutigt ihre Potenziale auszuschöpfen und individuelle Karriereziele unterstützt, erreicht auch die agilen organisatorischen Ziele und Visionen in puncto maximalem Kundennutzen.

Brigitte Herrmann ist Rednerin, Potenzialberaterin und Autorin. 15 Jahre war sie selbständiger Headhunter und besetzte mehr als 400 Positionen auf Spezialisten-, Führungs- und Management-Ebene – im Top-Management bis zum Vorstand. Sie ist Inhaberin der Inspirocon Potenzialberatung, die für beide Seiten des Arbeitsmarktes steht. Mit ihren Erfahrungen aus Headhunting und Beratung und mit Blick auf die Arbeitswelt der Zukunft inspiriert sie zu anderen Perspektiven, neuen Wegen und zeigt die wertvollen Chancen auf, wenn Potenziale intelligent genutzt werden. Sie ist Autorin des 2016 erschienenen Wirtschafts-Sachbuches „Die Auswahl“. Als Vortragsrednerin gibt sie zukunftsweisende Impulse zur „Chance Mensch im digitalen Zeitalter“. Sie gehört zu den Top 100 Excellence Speakern in Deutschland, Österreich und der Schweiz.

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