WESTERWELLE-Interview für die ‚Frankfurter Allgemeine Zeitung‘

Berlin (pressrelations) –

WESTERWELLE-Interview für die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“

Berlin. Der Bundesaußenminister und FDP-Parteivorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ (Samstag-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten KLAUS-DIETER FRANKENBERGER und BERTHOLD KOHLER:

Frage: Herr Minister, Ihre Partei und die Union wollten doch eine Koalition der Herzen bilden. Nach den ersten Wochen kommt sie uns eher wie ein Bündnis von Hund und Katz? vor, so oft streiten Sie und Ihre Partner. Woran liegt das?
WESTERWELLE: Mit Verlaub: An Ihrer falschen Wahrnehmung. Ich finde es völlig normal, dass es, wenn die eine Partei elf Jahre in der Opposition war, nämlich die FDP, und die Union die letzten vier Jahre schon regiert hat, am Anfang Synchronisierungsbedarf gibt. Die Ergebnisse der ersten Wochen sind exzellent. Das Wachstumsbeschleunigungsgesetz wird zum 1. Januar in Kraft treten, da bin ich sehr optimistisch. Das, was hinten rauskommt, zählt für Deutschland und nicht verständliche kleine Rütteleien am Anfang.
Frage: Stimmt also, was die Union sagt: Schuld am Fehlstart der Koalition sei vor allem die Unerfahrenheit der FDP in Regierungsangelegenheiten?
WESTERWELLE: Die FDP regiert in der Hälfte der Bundesländer, nicht seit gestern, sondern zum Teil schon viele Jahre. Die Genetik der FDP ist ausreichend auf Regieren eingestellt. Im Übrigen ist es grotesk, eine neue Regierung schon nach den ersten dreißig Tagen bewerten zu wollen. Glücklicherweise tun das auch die Bürger nicht, denn die Bürger wissen, dass eine neue Regierung auch Zeit haben muss, ihre Projekte auf den Weg zu bringen. Diese Regierung ist erst seit dem 28. Oktober im Amt. So schnell hat noch nie eine Regierung ein Gesetz zur Entlastung der Familien, zur Stärkung des Mittelstandes, zur Beseitigung der gröbsten Fehler bei der Unternehmensteuerreform und für einen besseren Übergang im Erbschaftsteuerrecht, gerade bei den Familienunternehmen, auf den Weg gebracht.
Frage: Und trotzdem besteht die Gefahr, dass das Wachstumsbeschleunigungsgesetz im Bundesrat scheitert, und zwar am Widerstand aus den eigenen Reihen.
WESTERWELLE: Ich bin optimistisch, dass wir nach der klaren Mehrheit im Bundestag auch im Bundesrat eine klare Mehrheit für das Paket hinbekommen werden.
Frage: Das Ausmaß der Koalitionsstreitereien von der Krankenversicherung über die Steuerreform bis hin zu Swift ist nur normal?
WESTERWELLE: Dass wir auch noch ein paar Probleme abarbeiten müssen, die die neue Regierung vorgefunden hat, bestreite ich gar nicht. Ich kann nicht so tun, als seien wir nach Eintritt der FDP in die Bundesregierung, wenn es um internationale Verhandlungsstände geht, im Stadium der Jungfräulichkeit. Man kann nicht alles, was schon einmal verhandelt worden ist, in den letzten Stunden noch einmal um 180 Grad drehen. Es wird auch noch ein paar Mal so kommen, dass wir mit früheren Entscheidungen konfrontiert werden, die einem nicht in jedem Detail schmecken. Selbst wenn eine völlig neue Regierung vom Mars gekommen wäre, hätte sie sich, wenn sie die Regeln der Demokratie und unserer Verfassung achtet, nicht völlig aus den Verabredungen der letzten Regierung verabschieden können.
Frage: Warum wollen Sie als Außenminister und Vizekanzler verhindern, dass die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen (BdV) einen der drei Sitze im Beirat der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“ einnimmt, für die der Satzung nach der BdV das Nominierungsrecht hat?
WESTERWELLE: Die Rechtslage ist so: Es gibt ein Nominierungsrecht des Bundes der Vertriebenen, aber die Entscheidung liegt bei der Bundesregierung. Meine Meinung in diesem Fall habe ich geäußert, ich vertrete sie unverändert. Nach meinen Gesprächen mit Warschau und gerade erst auch in Prag sehe ich mich darin bestätigt. Das Projekt der Stiftung „Flucht, Vertreibung, Versöhnung“, das ich selbst mit unterstützt habe, soll nicht nur gedenken, erinnern, aufarbeiten, sondern auch einen Beitrag für die Versöhnung unserer Völker erbringen. Ich habe als Außenminister ? so wie alle deutschen Außenminister zuvor ? dem Gedanken der Versöhnung und der Pflege gutnachbarschaftlicher Verhältnisse Rechnung zu tragen. Ansonsten ist dazu von mir aus eigentlich alles gesagt.
Frage: Sie haben hoffentlich Nachsicht mit uns, wenn wir trotzdem nachfragen: Die Versöhnung mit Polen wäre nicht möglich, wenn Frau Steinbach diesen Beiratsposten einnähme?
WESTERWELLE: Meine Meinung ist bekannt. Es ist meine Aufgabe als Außenminister, wie meine Vorgänger dafür zu sorgen, dass wir Entscheidungen als Bundesregierung so treffen, dass die schwierigen Verhältnisse zu unseren östlichen Nachbarn hinter uns gelassen werden, dass wir nach vorne blicken und dass wir unser Verhältnis zu unseren östlichen Nachbarn so vertiefen, wie wir es seit Jahrzehnten im Verhältnis zu unseren westlichen Nachbarn gewohnt sind. Im Übrigen habe ich die Absprachen mit der polnischen Regierung auf diesem Feld nicht getroffen. Das ist vor meiner Zeit geschehen.
Frage: Welche Absprachen?
WESTERWELLE: Die Zusicherung, dass es diese Stiftung geben wird, dass sie aber ein Beitrag zur Versöhnung sein soll und dass alles unterlassen werden muss, was dagegensteht.
Frage: Wer hat diese Absprache getroffen?
WESTERWELLE: Ich musste zur Kenntnis nehmen, dass mehrere Politiker aus unseren Nachbarländern Wert darauf legen, dass Eindrücke, die seinerzeit von deutscher Seite zum Beispiel in Polen erweckt worden sind, nicht nachträglich einseitig abgeändert werden.
Frage: Sie meinen die vorherige Bundesregierung?
WESTERWELLE: Wir alle wissen doch um die schwierige Geburt dieser Stiftung. Und wir alle wissen doch noch, dass die polnische Seite nur schwer dafür zu gewinnen war und dass dafür eine atmosphärische Grundlage zu schaffen war.
Frage: Bei dieser Stiftung handelt es sich nicht um eine deutsch-polnische, sondern um eine deutsche, mit der in Deutschland an die Vertreibung der Deutschen erinnert werden soll.
WESTERWELLE: Aber wir wollen doch, dass das ein Projekt der Kooperation und nicht der Konfrontation ist. Das war das Interesse der Regierung vor mir, und das ist die Geschäftsgrundlage des ganzen Projektes gewesen. So habe ich es übrigens auch immer wieder unterstützt. Deswegen lege ich großen Wert darauf, dass die polnische Seite nicht das Gefühl bekommen kann, dass das, was aus ihrer Sicht als Geschäftsgrundlage dem Projekt zugrunde lag ? nämlich der Versöhnungsgedanke ?, nicht mehr gilt oder nicht mehr ausreichend gilt. Dementsprechend setze ich eine Politik fort, die ich richtig finde, aber nicht begonnen habe.
Frage: Als Sie in der Opposition waren, haben Sie den damaligen Bundeskanzler Schröder und seinen Außenminister Fischer aufgefordert, den Einwänden aus Polen und der Tschechischen Republik gegen das Projekt entgegenzutreten. Wäre das nicht auch Ihre Aufgabe als Außenminister?
WESTERWELLE: Ich habe das Projekt der Stiftung unterstützt. Deshalb fühle ich mich gegen jede Diffamierung völlig immun, was das Projekt im Grundsätzlichen angeht. Ich muss nur zur Kenntnis nehmen, dass wir es zu unterlassen haben, dass aus einem Projekt der Versöhnung ein Projekt werden könnte, das unsere nachbarschaftlichen Beziehungen empfindlich belastet. Ansonsten arbeite ich in jedem Gespräch auch mit meinen Gesprächspartnern zum Beispiel in Polen oder in dieser Woche in Prag in Richtung Verständnis und vertrete unsere Interessen. Ich sehe es als ein großes Projekt unserer Generation an, dass wir das tiefe freundschaftliche Verhältnis, das keineswegs selbstverständlich in den letzten Jahrzehnten mit unseren westlichen Nachbarn gewachsen ist, auch zu unseren östlichen Nachbarn entwickeln können. Deswegen habe ich auch meinen ersten Antrittsbesuch nach Polen gemacht. Der überragend freundliche Empfang zwei Tage später in Paris zeigt ja auch, dass entgegen mancher Behauptung dieses auch in Paris außerordentlich positiv aufgenommen wurde. Wir werden das Weimarer Dreieck, also die besondere gemeinsame Arbeit zwischen Frankreich, Polen und Deutschland, wiederbeleben.
Frage: In der Angelegenheit Steinbach gestehen Sie also Polen und der Tschechischen Republik faktisch ein Vetorecht zu?
WESTERWELLE: Ich sehe nicht, dass das der Fall ist.
Frage: Sie begründen Ihre Entscheidung damit, dass Warschau und Prag gegen Frau Steinbach sind.
WESTERWELLE: Nein, ich begründe diese Haltung aus meiner eigenen Erkenntnis, was den Beziehungen zwischen unseren Ländern dient und was nicht. Ich habe mir dieses Thema nicht gesucht, sondern schon in den ersten Tagen vorgefunden ? und so beantwortet wie alle deutschen Außenminister vor mir seit der Wiedervereinigung.
Frage: Welche Rolle hat das Thema in Ihren politischen Gesprächen in Warschau und Prag gespielt?
WESTERWELLE: Es hat bei meinem Antrittsbesuch in Warschau kaum eine Rolle gespielt, aber ich muss Ihnen leider sagen, dass es bei anderen Gesprächen, die ich übrigens auch schon in der Opposition geführt habe, immer wieder eine empfindliche Rolle gespielt hat. Ich versuche, Schaden von unserem Land abzuwenden, indem wir die Beziehungen zu unseren Nachbarländern nicht belasten. Das ist mein einziges Anliegen. Und als jemand, der die Stiftung unterstützt hat, verbitte ich es mir in aller Form, deswegen als weniger patriotisch bezeichnet zu werden oder als jemand, der die Interessen eines anderen Landes wahrnehmen würde. Ich habe, genau wie unser Ehrenvorsitzender Graf Lambsdorff, das Projekt „Zentrum gegen Vertreibungen“ öffentlich unterstützt und gegen Diffamierungen in Schutz genommen, auch gegen innenpolitische Diffamierungen. Ich habe auch jede üble Nachrede gegen Frau Kollegin Steinbach stets zurückgewiesen, werde das auch in Zukunft immer tun. Aber ich muss auf der anderen Seite zur Kenntnis nehmen, dass die Tatsache, dass Frau Steinbach gegen die Anerkennung der deutsch-polnischen Grenze gestimmt hat, in weiten Teilen Polens zu Vorbehalten geführt hat.
Frage: Wie Frau Steinbach haben damals unter anderen Ihr jetziger Kabinettskollege Ramsauer und der jetzige Staatssekretär Koschyk argumentiert und gestimmt. Das war offenbar kein Hinderungsgrund, sie in die Regierung zu berufen, der Sie jetzt angehören.
WESTERWELLE: Wir haben zur Kenntnis zu nehmen, wie die Lage und wie die Diskussion ist. Ich habe deutsche Interessen wahrzunehmen. Zu den deutschen Interessen zählt, dass das deutsch-polnische Verhältnis wächst, dass aber nicht nur die wirtschaftliche Partnerschaft wächst, sondern auch die Freundschaft unserer Gesellschaften, und dass das nicht gefährdet wird.
Frage: Die Unionsparteien vertreten in der Causa Steinbach eine andere Ansicht.
WESTERWELLE: Dass in der Koalition auch in dieser Angelegenheit nur die FDP für gutnachbarschaftliche Beziehungen mit unseren östlichen Nachbarn eintritt ? dem widerspreche ich.
Frage: Dann wird es also gar keinen Krach im Kabinett und in der Koalition geben, wenn der BdV Frau Steinbach nominiert und Sie dagegen Ihr Veto einlegen?
WESTERWELLE: Die Regierung wird sich als Kollegialorgan mit dieser Frage erst befassen, wenn es Grund dazu gibt.
Frage: Kommen wir zu dem Großthema der internationalen Politik: Afghanistan. Führen wir dort Krieg?
WESTERWELLE: Krieg im Völkerrecht heißt, dass ein Land ein anderes angreift. Das ist hier nicht der Fall. Wir sind in Afghanistan, weil das afghanische Volk mit riesiger Mehrheit das will und weil die afghanische Regierung uns händeringend darum bittet, sie nicht nur beim wirtschaftlichen und humanitären Aufbau, sondern auch bei der militärischen und polizeilichen Sicherung zu unterstützen. Ich muss aber zugeben: Wenn man zu Hause mit den Bürgern spricht, stößt man mit dieser semantischen und juristischen Unterscheidung, die ich als Außenminister vorzunehmen habe, nicht immer auf Verständnis.
Frage: Bei den Soldaten in Kundus auch nicht.
WESTERWELLE: Die Soldaten wissen ganz genau, warum sie dort sind und auf welcher Rechtsgrundlage wir dort sind: Das haben die Vereinten Nationen beschlossen. Den Soldaten ist vollkommen klar, dass wir nicht dort sind, um ein Land zu erobern, sondern weil uns die afghanische Bevölkerung und die afghanische Regierung darum gebeten haben. Und unsere Soldaten wissen natürlich auch, dass sie nicht nur Afghanistan helfen, sondern unsere Freiheit und unsere Sicherheit im Westen gegen Fundamentalismus und Terrorismus verteidigen.
Frage: Und dennoch sagen unsere Soldaten in Afghanistan: Hier herrscht Krieg.
WESTERWELLE: Ich habe viel Verständnis dafür, dass Soldaten das, was sie dort erleben, als Krieg empfinden. Es ist aber ein Unterschied, ob man vielleicht beim Bier redet oder ob ich als Außenminister einer Zeitung ein Interview gebe, die in der ganzen Welt gelesen wird. Es hätte erhebliche internationale Konsequenzen, wenn ich da die falschen Worte wählen würde, nur um einer Stimmung beizupflichten, die ich nicht von der Hand weisen kann.
Frage: Hat es da der Verteidigungsminister einfacher? Er sprach von kriegsähnlichen Zuständen?
WESTERWELLE: Ich weiß nur, dass ich als Außenminister meine Worte ganz besonders genau zu wählen habe.
Frage: Amerika und Großbritannien sprechen selbstverständlich von einem Krieg.
WESTERWELLE: Das Wort „war“ wird im Amerikanischen ganz anders verwendet wird als bei uns das Wort „Krieg“. Man führt in den Vereinigten Staaten einen Krieg gegen die Klimaerwärmung, einen „war“ gegen dieses und jenes.
Frage: Der amerikanische Präsident wird schon wissen, was die Amerikaner dort führen ? er hat in Afghanistan mehr als neunhundert Gefallene zu beklagen. Obama entsendet nun weitere 30000 Soldaten. Es steht zu erwarten, dass er auch von Deutschland einen zusätzlichen Beitrag fordert. Hat er das schon getan? Wie wird Deutschland antworten?
WESTERWELLE: Wir werden jetzt die Rede des Präsidenten und das damit verbundene Konzept in Ruhe auswerten. Wir werden es mit unseren Bündnispartnern besprechen, vor und auf der Afghanistankonferenz am 28. Januar, und auch mit der afghanischen Regierung. So wie der amerikanische Präsident einige Wochen für sein Konzept gebraucht hat, werden wir auch etwas Zeit brauchen, um unsere eigenen Schlussfolgerungen zu ziehen. Wir Deutsche sind bereit, mehr zu tun beim Polizeiaufbau, bei der Schulung von Polizei. Wenn wir in dieser Legislaturperiode eine Abzugsperspektive erarbeiten wollen, dann müssen wir mit der selbsttragenden Sicherheit in Afghanistan vorankommen.
Frage: Heißt das, Sie schließen die Entsendung weiterer Soldaten aus?
WESTERWELLE: Ich halte eine Debatte für falsch, die sich nur um die Frage dreht: mehr Soldaten oder nicht. Wir haben vor etwa einem Jahr die Obergrenze unseres Kontingents von 3500 auf 4500 Soldaten aufgestockt. Dieser Einsatz in Afghanistan wird nicht militärisch gewonnen, sondern politisch mit militärischer Unterstützung. Ich begrüße es ausdrücklich, dass auch der amerikanische Präsident auf eine Abzugsperspektive in den nächsten Jahren hinarbeitet. Aber auf Debatten über Zahlen, noch bevor wir im Bündnis die Ziele und Strategie besprochen haben, lasse ich mich nicht ein. Wir werden alles in Ruhe im Bündnis besprechen. Ich werde darüber natürlich besonders mit den Abgeordneten des Bundestages sprechen. Ich wundere mich darüber, dass die mal eben in der öffentlichen Diskussion vergessen werden. Und dann wird die Debatte auch auf der Afghanistan-Konferenz am 28. Januar nicht beendet werden. Diese Konferenz wird keine Truppenstellerkonferenz sein, es wird eine Konferenz, bei der die Strategie und die Ziele im Mittelpunkt stehen. Und dann erst geht es um die Instrumente zu deren Verwirklichung.
Frage: Bisher hat der Bundestag immer mit großen Mehrheiten deutsche Soldaten ins Ausland geschickt. Würde Ihnen eine Mehrheit von Union und FDP genügen? Oder wollen Sie wie bisher eine große, eine überwältigende Mehrheit für derlei Mandate haben?
WESTERWELLE: Auch das ist ein Grund, warum ich erst einmal mit den Bundestagsfraktionen sprechen will. Natürlich bin ich daran interessiert, dass solche Einsätze, wenn es irgend geht, auch künftig mit großer überparteilicher Mehrheit beschlossen werden. Mein Gesprächsangebot habe ich allen Oppositionsfraktionen persönlich übermittelt; ich werde das Gespräch suchen. Ich ahne, dass ich bei der Linkspartei auf taube Ohren stoße, und hoffe, dass es bei den Grünen einige gibt, die noch wissen, wer die Afghanistan-Mission begonnen hat. Und warum. Ich setze darauf, dass die Sozialdemokraten unter dem früheren Bundesaußenminister Steinmeier die große Bedeutung einer überparteilichen Mehrheit kennen.
Frage: Im Atomkonflikt mit Iran kommt die Staatengemeinschaft nicht voran. Auf die jüngste Resolution der Atomenergiebehörde hat Teheran trotzig reagiert. Sie haben gesagt: Unsere Geduld ist nicht endlos. Wann ist sie zu Ende?
WESTERWELLE: Ich habe dieselbe Formulierung gewählt, die auch die amerikanische Außenministerin gefunden hat. Mit Bedacht. Wir hatten Geduld und wir haben noch Geduld, weil wir eine Lösung im Dialog und in Verhandlungen wollen. Aber unsere Geduld, und damit meine ich nicht nur die der Bundesregierung, sondern die der Staatengemeinschaft, ist nicht unerschöpflich. Sie darf auch nicht unerschöpflich sein, denn eine atomare Bewaffnung Irans ist keine akzeptable Option.
Frage: Die Bundeskanzlerin hat es noch etwas härter formuliert: Unter keinen Umständen dürfe Iran die Verfügungsgewalt über atomare Waffen erlangen. Gleichzeitig hat sie mehrfach gesagt, dass die Sicherheit Israels Teil der Staatsräson Deutschlands sei. Nimmt man diese beiden Feststellungen zusammen, könnte das zu sehr unangenehmen Schlussfolgerungen führen.
WESTERWELLE: Deswegen schließe ich auch nicht aus, dass es zu umfassenderen Sanktionen kommen kann, sollte sich Iran weiter Gesprächen verweigern und nicht einlenken. Wir wollen das nicht, wir streben noch immer eine Verhandlungslösung an. Aber jeder muss wissen, dass das iranische Atomprogramm nicht nur mit der Sicherheit im Nahen Osten und mit unserer besonderen Verpflichtung gegenüber Israel zu tun hat. Vielmehr kann die ganze Völkergemeinschaft eine atomare Bewaffnung Irans nicht akzeptieren.
Frage: Glauben Sie, dass Iran ernsthaft an einer Kompromisslösung interessiert ist, die Iran das Recht auf zivile Nutzung der Atomenergie ließe und Bedenken des Westens Rechnung trüge?
WESTERWELLE: Es geht nicht um Glauben, sondern um Ergebnisse und um verbindliche Vereinbarungen. Die zeichnen sich derzeit nicht ab. Aber deswegen werde ich nichts unversucht lassen, um noch zu einer Lösung im Dialog auf dem Verhandlungswege zu kommen.
Frage: Und wenn das nicht fruchtet? Können Sie sich vorstellen, dass es zu Sanktionen kommt, die Russland und China nicht mitbeschließen, sondern die allein die westlichen Mächte tragen?
WESTERWELLE: Ich finde es bemerkenswert, dass unsere Resolution im Gouverneursrat der Internationalen Atomenergiebehörde auch von Russland und China unterstützt worden ist. Ich habe den Eindruck, dass auch Andere die Notwendigkeit des Einlenkens Irans mit Nachdruck nicht nur sehen, sondern auch mit Nachdruck verfolgen.
Frage: Ihr Lieblingsthema in den ersten Wochen scheint der Abzug der restlichen amerikanischen Atomwaffen aus Deutschland gewesen zu sein. Warum?
WESTERWELLE: Tatsächlich ist mein Lieblingsthema, wenn Sie es denn so nennen, die Abrüstung. Wir stehen vor der Weichenstellung, ob wir ein Jahrzehnt der Aufrüstung oder eines der Abrüstung bekommen. Das Fenster der Gelegenheit hat sich leicht geöffnet für Abrüstung und Friedenspolitik. Die Initiative Präsident Obamas wollen wir nach besten Kräften als Deutsche unterstützen. Dass das nur in Abstimmung mit unseren Bündnispartnern geht, ist eine banale Selbstverständlichkeit.
Frage: Das jüngste Referendum in der Schweiz sorgt für große Entrüstung. Hatten die Schweizer nicht das Recht, sich gegen den Bau weiterer Minarette auszusprechen?
WESTERWELLE: Die Schweiz ist eine der ältesten Demokratien, ein Land, das auf Toleranz und Ausgleich gebaut ist. So sehr ich ? wie die Schweizer Regierung ? die Entscheidung bedauere, so sehr verbietet sich eine Schlussfolgerung, die Schweiz sei ein intolerantes oder undemokratisches Land durch diese Abstimmung geworden. Ich halte das für völlig unangemessen.
Frage: Ihr Staatsminister Hoyer hat die Vermutung geäußert, dass es vergleichbare Ergebnisse auch in anderen Ländern gäbe, wenn dort über solche und ähnliche Themen abgestimmt würde. Was treibt die Leute um?
WESTERWELLE: Ich glaube, Werner Hoyer hat recht, wenn er der Ansicht widerspricht, so ein Ergebnis könne es nur in der Schweiz geben, während im Rest Europas ein solches Abstimmungsresultat ausgeschlossen sei. Deshalb ist es ja so wichtig, dass wir eine Politik machen, die auf Aufklärung und Toleranz setzt und die unterschiedliche Religionen nicht nur respektiert, sondern auch schätzt. Das sage ich auch als Christ. Wir brauchen eine Politik, die Integration durch Bildung möglicht macht. Aber eine Multikulti-Politik nach der Art, dass es nicht so wichtig sei, ob jemand bei der Einschulung Deutsch kann oder nicht, bis hin zu intellektuellen Verirrungen, Angriffe gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau mit der kulturellen Herkunft zu erklären oder gar zu entschuldigen, habe ich mein Leben lang abgelehnt.
Frage: Es gibt Parteien und Politiker in Deutschland, die wollen die Integrationsaufgabe gleich auf die internationale Ebene heben mit der Aufnahme der Türkei in die EU. Wie stehen Sie dazu?
WESTERWELLE: Wäre heute zu entscheiden, wäre die Türkei nicht beitrittsfähig und die Europäische Union nicht aufnahmefähig. Aber heute ist das nicht zu entscheiden. Schon als Jungliberaler habe ich von Hans-Dietrich Genscher gelernt, dass man in der Außenpolitik Fragen klugerweise erst dann beantwortet, wenn sie sich stellen, nicht immer schon dann, wenn sie einem gestellt werden.

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