Wenigstens 400.000 Borreliose-Diagnosen im Jahr 2018
08.08.2019. Münster. Die Horrormeldungen über Zecken werden für das Jahr 2018 noch mindestens um das Zehnfache übertroffen, wenn man die Zahlen der Arztabrechnungen bei den Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) einsieht. Im Vergleich zu Meldezahlen aus neun Bundesländern mit Borreliose-Meldepflicht zeigen sich riesige Diskrepanzen zu den abgerechneten Diagnosen. So waren beispielsweise im Jahr 2018 beim Robert Koch-Institut (RKI) für Bayern knapp 5.000 neue Borreliose-Fälle gemeldet, aber 63.000 Mal wurde diese Diagnose von Ärzten abgerechnet.
In Niedersachsen, ein Bundesland, das die Meldepflicht kategorisch ablehnt, rechneten Ärzte diese Diagnose fast 104.000 Mal ab. Nordrhein-Westfalen verweigert sich ebenfalls einer Meldepflicht. Deren beide KVen verzeichneten fast 90.000 Abrechnungen mit dieser Diagnose. Baden-Württemberg, nach Bayern das Bundesland mit der zweithäufigsten Zeckendichte, lehnt ebenfalls eine Meldepflicht ab. Jedoch landeten 36.350 Borreliose-Patienten in den Abrechnungen der Ärzte.
Auch in kleinen nördlichen Bundesländern, die beim Thema Borreliose und Zecken gerne in den Süden der Republik verweisen, waren Ärzte in Sachen Borreliose nicht untätig. In Bremen wurden 2.200 Patienten auf Borreliose behandelt, in Hamburg 3.349 und in Schleswig-Holstein 6.451. Über die länderspezifische Meldepflicht hatte Brandenburg angeblich nur 1.555 Borreliose-Patienten; abgerechnet wurden aber 10.000.
Die meisten Menschen merken den Zeckenstich nicht, und eine Wanderröte als erstes sicheres Anzeichen einer Infektion ist nur bei circa 60 Prozent sichtbar. Oft entwickeln sich Beschwerden wie Gelenkschmerzen, Lähmungen und Nackensteife erst nach Wochen und Monaten, wenn auch Ärzte nicht mehr an eine Borreliose denken. Jahrelange Fehldiagnosen und Falschbehandlung sind daher keine Seltenheit. Wirklich sichere Labortests gibt es immer noch nicht. Ein positiver Test beweist keine Borreliose, ein negativer schließt sie nicht aus. Unter diesen Bedingungen kann man davon ausgehen, dass eine große Dunkelziffer besteht, die überhaupt nicht in die Zahlen Eingang gefunden hat.
Borreliose dürfte danach ungefähr 500 Mal so häufig sein wie die mit einer bundesweiten Meldepflicht belegte FSME, die auch von Zecken übertragen wird. Wieso aber wollen die Gesundheitspolitiker nicht die konkreten Zahlen wissen? Wieso wird das Risiko einer Borreliose-Infektion für die Bürger kleingerechnet? Wieso diese Verharmlosung? Noch immer lehnen die Bundesländer Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen, Hamburg, Bremen, Schleswig-Holstein und Hessen eine länderspezifische wie auch eine bundesweite Meldepflicht ab. Das Thema wird in den jährlichen Bundesgesundheitsministerkonferenzen nicht einmal peripher behandelt.
Die KVen von sechs Ländern mit Meldepflicht (Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen und Sachsen-Anhalt) verwiesen auf die öffentlich einsehbaren Meldezahlen, waren aber nicht bereit, die Zahlen der tatsächlich abgerechneten Borreliosen herauszugeben. Lediglich Thüringen gab seine Zahlen heraus: 564 Meldungen erlangte das RKI, 33.638 Diagnosen wurden von Ärzten zur Abrechnung über die KV gemeldet. Das ist der Faktor 60.
Insgesamt wurden im Jahr 2018 nach Darstellung der an dieser Befragung mitwirkenden KVen knapp 400.000 Diagnosen zur Abrechnung mit den Gesetzlichen Krankenkassen (GKV) gemeldet. In dieser Gesamtschau fehlen jedoch außer den sechs nicht mitwirkenden KVen noch 19.5 Millionen Versicherte der Betriebskrankenkassen und knapp neun Millionen der Privaten Krankenkassen.
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