Europäisches Gentechnikrecht ist überholt

Europäische Wissenschaftsakademien warnen

Die derzeitigen EU-Vorschriften über genetisch veränderte Organismen (GVO) sind nicht mehr zweckgemäß, warnen führende Wissenschaftler in einem neu veröffentlichten Kommentar der Europäischen Akademien der Wissenschaften (EASAC). Sie fordern eine radikale Reform des Rechtsrahmens. „Die Gesellschaft zahlt einen Preis dafür, wenn neue Verfahren der Genomeditierung nicht genutzt werden oder die Einführung zu langsam erfolgt. Wir haben keine Zeit zu verlieren, wenn es darum geht, unsere gemeinsamen Probleme für die Nahrungsmittel- und Ernährungssicherheit zu lösen“, sagt Robin Fears, Direktor des EASAC-Programms für Biowissenschaften.

Im Jahr 2018 entschied der Europäische Gerichtshof, dass die gesetzlichen Regelungen für GVO auch für alle Organismen gelten, die durch neue Verfahren der Genomeditierung verändert wurden. „Dies erschwert die Erforschung, Entwicklung und den Anbau verbesserter Nutzpflanzen, die für eine produktive, klimaangepasste und nachhaltigere Landwirtschaft dringend benötigt werden“, erklärt Professor Volker ter Meulen, Vorsitzender des EASAC-Programms für Biowissenschaften.

EASAC weist auf die Bedeutung der neuen Techniken angesichts der heutigen Herausforderungen wie der Lebensmittel- und Ernährungssicherheit für alle sowie der Bekämpfung der sozialen Ungerechtigkeit und des Klimawandels ein großes Potenzial zur Verbesserung der Gesundheit der Menschen und des Planeten haben.

Derzeitiger GVO-Klassifizierung fehlt die wissenschaftliche Grundlage

Der Kommentar der EASAC baut auf zwei Jahrzehnten unabhängiger wissenschaftlicher Arbeit auf und bekräftigt die jüngsten Empfehlungen der Deutschen Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina, der Union der deutschen Akademien der Wissenschaften und der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

In der deutschen Stellungnahme werden zahlreiche Möglichkeiten beschrieben, darunter genomeditierte Nutzpflanzen, die außerhalb Europas bereits vermarktet werden dürfen und der Ernährungssicherheit sowie einer produktiven, pestizidarmen und ressourcenschonende Landwirtschaft nutzen. Sojabohnen mit gesünderen Fettsäuren, Weizen mit reduziertem Glutengehalt, Kartoffelknollen mit längerer Haltbarkeit, bakterienresistenter Reis, pilzresistente Sorten von Trauben, Weizen und Kakao sowie trockentolerantere Sorten von Mais und Weizen werden als Beispiele genannt.

„Seit der Verabschiedung der ersten Verordnungen vor fast 20 Jahren hat sich viel getan. Die Reform muss die Nutzung wissenschaftlicher Erkenntnisse stärken und künftige Unsicherheiten angehen. Parallel dazu brauchen wir eine kontinuierliche und transparente Diskussion über die kritischen, auch ethischen Fragen, um Vertrauen zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit aufzubauen“, so Fears.

Der Europäische Rat hat die Europäische Kommission bereits aufgefordert, die Regulierungsoptionen zu klären. Die EASAC sieht dies als eine nicht zu verpassende Gelegenheit, eine radikale Reform zu fordern:

-Die EU sollte die GVO-Definition überarbeiten. Analog zu Pflanzen, die mit konventionellen Züchtungsmethoden modifiziert wurden, sollten genomeditierte Organismen nicht als GVO gelten, es sei denn, sie enthalten artfremde DNA. Auch Kombinationen von genetischer Information, die auch in der Natur oder durch konventionelle Züchtungsmethoden vorkommen könnten, sollten nicht in die Klassifizierung aufgenommen werden.

-Die EU sollte einen neuen Rechtsrahmen entwickeln, der die Pflanzeneigenschaften und/oder das Produkt anstelle der bei der Erzeugung dieses Produkts verwendeten Technologie reguliert. Die Bewertung muss sich auf die weltweite wissenschaftliche Evidenzbasis stützen. Insbesondere sollte bei Sicherheitsbewertungen geprüft werden, ob die neuartigen Eigenschaften der Pflanze unabhängig von der verwendeten Züchtungstechnologie ein Risiko für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit darstellen könnten.

-Um die Instrumente für künftige Innovationen in der landwirtschaftlichen Praxis bereitzustellen, muss die Europäische Kommission ihre Unterstützung für Grundlagenforschung, Feldversuche und die Erforschung der gesundheitlichen, wirtschaftlichen, ökologischen, ethischen und sonstigen gesellschaftlichen Folgen von Produkten und Anwendungsszenarien neuer molekularer Züchtungsmethoden bekräftigen.

Dazu EASAC-Präsidentin Christina Moberg: „Eine Reformierung im Sinne eines evidenzbasierten, transparenten, flexiblen und verhältnismäßigen Regulierungsrahmens wird dazu beitragen, die Wettbewerbsfähigkeit und die Bioökonomie zu stärken, die Innovation in der europäischen Agrarpolitik zu unterstützen und der Europäischen Union zu helfen, ihre Ziele des Green Deal zu erreichen“.

Ansprechpartner:
Dr Robin Fears
EASAC Biosciences Programme Director
Email: robin.fears@easac.eu
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EASAC wurde von den nationalen Wissenschaftsakademien der EU-Mitgliedsstaaten, Norwegens, der Schweiz und Großbritanniens gegründet, um gemeinsam der europäischen Wissenschaft zu mehr Gehör in der Politik zu verhelfen. EASAC gibt der Politik unabhängige, sachkundige, evidenzbasierte Empfehlungen aus Wissenschaftsperspektive an die Hand.

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