(BSOZD.com-NEWS) Berlin. Der FDP-Partei- und -Fraktionsvorsitzende DR. GUIDO WESTERWELLE gab der „Welt am Sonntag“ (morgige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten JOACHIM PETER, THORSTEN JUNGHOLT und ULF POSCHARDT:
Frage: Herr Westerwelle, erleben wir gerade den Bankrott der Marktwirtschaft?
WESTERWELLE: Nein, keineswegs. Der Crash zeigt lediglich, wie dramatisch das Versagen der US-Regierung nicht nur außenpolitisch in den vergangenen Jahren gewesen ist. Das ist ein Grabstein, den sich die Bush-Administration für die Geschichtsbücher meißelt. Es wurde versäumt, vernünftige Rahmenbedingungen zu schaffen, für die wir als Liberale in Europa nachdrücklich werben. „Frei und fair“ sagen wir, „free and fair“ hieß es früher mal in Amerika. Es hat aber nichts mit Fairness zu tun, wenn sich einige Banker mit hochspekulativen Geschäften erst die Taschen voll machen und ihre Verluste anschließend vom Steuerzahler ausgleichen lassen.
Frage: Nicht der Markt hat versagt, sondern der Staat?
WESTERWELLE: Der Staat ist für die Rahmenbedingungen der Wirtschaft zuständig. Wir Liberale bejahen den Staat, sonst wären wir ja Anarchisten. Wir wollen sogar einen starken Staat. Aber der Staat kann nur dann stark sein, wenn er sich auf seine Kernaufgaben konzentriert und der Wirtschaft einen guten Rahmen vorgibt.
Frage: Der Kapitalismus wird angesichts der US-Finanzkrise zunehmend in Frage gestellt. Auch in Deutschland ist längst die Rede vom freien Markt als gefährlichem Raubtier.
WESTERWELLE: Einige, die schon immer ihren 68er-Parolen heimlich hinterher geweint haben, mögen derzeit ihre Chance wittern. Mich besorgt viel mehr, dass sich Politiker nicht mehr trauen, die wirtschaftliche und moralische Überlegenheit der sozialen Marktwirtschaft offensiv zu vertreten. Das ist in Wahrheit der größte Fehler der Regierung Merkel/Steinmeier. Sie stellen sich nicht mehr hin und sagen: Ja, die soziale Marktwirtschaft hat auch Fehler, aber sie ist jedem anderen bekannten Wirtschaftssystem überlegen, vor allem jeder Planwirtschaft.
Frage: Werden Sie die FDP nun als klare marktliberale Partei positionieren, die Interventionen der Staates entschieden ablehnt?
WESTERWELLE: Die FDP hat bereits vor Jahren Transparenzregeln angemahnt. Man muss die Vorgänge in Amerika fein säuberlich von denen in Deutschland trennen. In den USA hat es fast keine Staatsaufsicht gegeben. In Deutschland gibt es dagegen eine Staatsaufsicht, die ihrer Aufgabe im Bereich der öffentlichen Banken nicht nachkam. Hier sind nicht die privaten Banken das Problem. Bei uns versagen die Staatsbanken und die Regierungspolitiker in deren Aufsichtsgremien.
Frage: Würden Sie Gier als eine notwendige Antriebskraft des Kapitalismus bezeichnen?
WESTERWELLE: Nein, Gier entspricht nicht meiner humanistischen Einstellung. Ehrgeiz und Leistungsbereitschaft sind gute Triebkräfte einer Volkswirtschaft und damit für Wohlstand und soziale Gerechtigkeit.
Frage: Erwarten Sie, dass sich Frau Merkel tatkräftig für die soziale Marktwirtschaft einsetzt?
WESTERWELLE: Die Kraft dazu hätte sie. Ob sie noch den Willen hat, weiß ich nicht. Ihr politisches Handeln seit der letzten Bundestagswahl spricht eher dagegen. Ich werde jedenfalls Herrn Lafontaine nicht die Meinungshoheit in dieser politischen Frage überlassen.
Frage: Linkspartei-Chef Oskar Lafontaine äußerte soeben im Parlament: „Es geht hier um die Wiederherstellung der Demokratie.“
WESTERWELLE: Das heißt ja, dass wir seiner Meinung nach heute keine Demokratie hätten. So reden sonst nur noch Rechtsradikale.
Frage: Der Antikapitalismus scheint mehr und mehr Auftrieb zu bekommen.
WESTERWELLE: Die soziale Marktwirtschaft wird sich trotzdem als überlegenes Modell erweisen: einerseits gegenüber dem regellosen Kasino-Kapitalismus, anderseits gegenüber der Plan- und bürokratischen Staatswirtschaft.
Frage: Ist es nicht wahltaktisch gefährlich, sich so zu positionieren?
WESTERWELLE: Ich glaube nicht, dass es gefährlich ist, sich zur sozialen Marktwirtschaft im demokratischen Rechtsstaat zu bekennen. Die FDP wird hier klaren Kurs halten. Ich setze auf die Mitte der Gesellschaft, die nicht mehr zusehen will, dass ihnen immer mehr abgenommen und umverteilt wird.
Frage: Davon gehen offenkundig auch Union und SPD aus, die sie beide umwerben. Schmeichelt Ihnen das?
WESTERWELLE: Es ist noch nicht lange her, da beschimpfte uns die SPD als turbokapitalistische Neoliberale. Und für die Union waren wir ein angebliches innenpolitisches Sicherheitsrisiko. So langsam merken beide Parteien, dass ihnen das keiner mehr abnimmt.
Frage: Vor fast genau zehn Jahren wurde im Bund ein rot-grünes Bündnis geschmiedet. Was ist Ihnen davon in positiver Erinnerung geblieben?
WESTERWELLE: Ich habe nun wahrlich in Opposition zu der Regierung Schröder/Fischer gestanden. Aber ich erkenne drei Leistungen an: In Sachen gesellschaftlicher Aufgeklärtheit ist Anerkennenswertes passiert. Ferner bleibt in Erinnerung, dass Rot-Grün Deutschland aus dem Irak-Krieg herausgehalten hat. Dieser Haltung hatte auch die FDP damals zugestimmt, anders als die Union. Und natürlich muss man die Arbeitsmarkreformen der Agenda 2010 hervorheben, deren Ergebnisse teilweise wirksam geworden sind.
Frage: Die Bürger scheinen nach wie vor nicht die Erfolge dieser Reformpolitik anzuerkennen.
WESTERWELLE: Politik darf nicht nur auf Stimmungen hören. Ich engagiere mich in der Politik, um das Notwendige für Deutschland zu erreichen. Notfalls werde ich mich auf den Marktplatz stellen und versuchen, mit der Kraft der Argumente Stimmungen zu wenden. Das kann ich als FDP-Politiker gewiss nicht allein. Und deshalb ärgere ich mich ja so darüber, dass die bürgerlichen Kräfte in den anderen Parteien ausgegrenzt werden. Es ist doch kein Zufall, dass Herr Merz an der Union verzweifelt, Herr Clement an der SPD und den Grünen die Realpolitiker gruppenweise von der Fahne gehen. Wenn jetzt im Angesicht der Finanzkrise sich sämtliche Verantwortungsträger der Bundesregierung wegducken und rufen, wie schlimm die Marktwirtschaft ist, dann ruinieren sie auch das Ansehen unseres Systems.
Frage: Hat Rot-Grün damals eine geistig-moralische Wende in diesem Land ausgelöst?
WESTERWELLE: Wenn überhaupt, dann in die falsche Richtung: Rot-Grün hat die Leistungsgerechtigkeit einfach ignoriert. Und unter Schwarz-Rot wird dieser Kurs unverblümt fortgesetzt. Was für unsere Demokratie irgendwann gefährlich werden könnte, ist doch die Verzweiflung der Mittelschicht. Wenn die normalen Familien ihren Traum vom Glück nicht mehr leben können, wenn sich Fleiß und Anstrengung nicht mehr lohnen, schwindet der Glaube an die Gerechtigkeit.
Frage: Als Oppositioneller kann man viel reden, aber wenig tun. Grämt Sie das?
WESTERWELLE: Natürlich wollen wir regieren. Und ich will das auch persönlich, aber nicht um jeden Preis. Es ist nicht mein Ziel, als Minister a.D. zu Grabe getragen zu werden. Wir hätten ja schon 2005 auf der Regierungsbank sitzen können. Doch wir haben unser Wahlversprechen damals gehalten, weil wir die insgesamt schlechte Bilanz der rot-grünen Regierung nicht verlängern wollten.
Frage: Wird Sie Ihre Partei nicht am Ende dazu zwingen, in die Regierung zu gehen – ganz egal mit welchem Partner? Entscheidet sich nicht auch genau an dieser Frage Ihr persönliches Schicksal?
WESTERWELLE: Der Druck, der auf mir lasten wird, wird wesentlich vom Wahlergebnis der FDP abhängen. Aber ich sage klar: Die neue SPD-Spitze Steinmeier/Müntefering hat bisher am Kurs ihrer Partei nichts verändert. In Hessen und anderswo arbeitet sie weiter daran, gemeinsam mit den Kommunisten zu regieren. Auf Bundesebene will die SPD den hoch angesehenen Bundespräsidenten mit Grünen und Linken aus dem Amt drängen. Das ist doch keine Kurskorrektur!
Frage: Gibt es eine Geheimabsprache zwischen Ihnen und Frau Merkel, wie unlängst kolportiert wurde?
WESTERWELLE: Nein, es gibt eine solche nicht. Das ist frei erfunden.
Frage: Könnte es zu einer Absprache noch kommen?
WESTERWELLE: (lacht) Nach der Bundestagswahl wird es hoffentlich einen Koalitionsvertrag mit ganz vielen Absprachen geben, der unten rechts meine Unterschrift trägt.
Quelle: www.fdp.de
[ad#co-1]