Lindner-Thesenpapier zur Sozialpolitik

Berlin (pressrelations) –

Lindner-Thesenpapier zur Sozialpolitik

FDP-Sprecher WULF OEHME teilt mit:

Berlin. Zum Symposium „Augstiegschancen schaffen ? soziale Effizienz steigern: Deutschland vor der Neuausrichtung der Sozialpolitik“ am 10. März 2010 hat FDP-Generalsekretär CHRISTIAN LINDNER gemeinsam mit DR. HEINRICH KOLB MdB, PASCAL KOBER MdB und JOHANNES VOGEL MdB das folgende Thesenpapier erstellt.

Aufstiegschancen schaffen ? auf dem Weg zum fairen Sozialstaat
Der Verlust des Arbeitsplatzes ist für viele Menschen ein tiefer Einschnitt in das Leben. Mit ihm verbunden ist schließlich nicht nur der Verlust von Einkommen, sondern auch der Verlust von Teilhabechancen am gesellschaftlichen Leben, von Anerkennung und Selbstbewusstsein. Arbeitslosigkeit beraubt den Einzelnen vieler Chancen, die eigenen Talente in Freiheit zu entfalten. Wenn sie sich individuell verfestigt, verlieren Menschen Antrieb, Kenntnisse und den so wichtigen Anschluss an den Arbeitsmarkt. Ziel liberaler Politik ist es deshalb, allen den Einstieg oder Wiedereinstieg in das tätige Miteinander in Wirtschaft und Gesellschaft zu ermöglichen.
Liberale messen den Erfolg sozial verantwortlicher Politik an konkreten Ergebnissen ? wir stellen eine Freiheitsbilanz auf: Gelingt es einer Gesellschaft, ihren schwächsten Mitgliedern und Bedürftigen die Teilhabe am sozialen Leben zu eröffnen? Bestehen Lebenschancen und die Möglichkeit, den eigenen Lebensweg unabhängig von der eigenen Herkunft zu wählen? Sind Menschen im eigenen und im gesellschaftlichen Interesse motiviert, das Beste aus ihren Fähigkeiten zu machen? Das bedeutet für uns Freiheit. Andererseits fragen wir uns: Wie stark muss die Freiheit eingeschränkt werden, über erwirtschaftetes Einkommen und Eigentum zu verfügen, um die Mittel zur Erreichung sozialer Ziele zu gewinnen? In diesem Sinne ist die Freiheitsbilanz des deutschen Wohlfahrtsstaates negativ: Er schränkt die Freiheit der einen ein, ohne die Freiheitschancen der anderen zu verbessern. Er wendet fortwährend höhere Anteile der Wirtschaftsleistung für soziale Zwecke auf, die sozialen Ergebnisse können ab er immer weniger überzeugen. Seine Balance stimmt nicht mehr ? nicht zwischen den Interessen der Leistungsempfänger und der Leistungsgeber; nicht zwischen Fördern und Fordern; nicht zwischen gelebter Mitmenschlichkeit und organisierter Sozialstaatlichkeit; nicht zwischen Anspruch und Wirklichkeit.
Mit der „Agenda 2010“ wurden verschiedene Strukturprinzipien des Wohlfahrtsstaats in Frage gestellt und teilweise erneuert. Dieser Erneuerungsimpuls blieb indes inkonsequent, unvollständig und mitunter widersprüchlich. Die von Guido Westerwelle eingeleitete Diskussion über die Wirksamkeit des Sozialstaats und über die soziale Balance in Deutschland bietet nun die Chance, nach der „Agenda 2010“ einen zweiten Anlauf zu unternehmen, den Sozialstaat von den konkreten Bedürfnissen und Aufstiegschancen der Menschen her neu zu denken. Die starke Resonanz auf Guido Westerwelle belegt, dass diese Debatte überfällig war. Die Kritik politischer Wettbewerber zeigt , dass die Politik vielfach den Realismus der Menschen unterschätzt, ihre Alltagserfahrungen ausblendet und insgesamt zu stark den alten Mustern des Verteilungsstaates verhaftet ist.
Unsere Politik für Aufstiegschancen setzt zuerst auf eine Bildungspolitik, die Chancengerechtigkeit sichert, Leistungsbereitschaft anerkennt und Kompetenzen vermittelt. Wir wollen eine Wirtschafts- und Finanzpolitik, die nachhaltiges Wachstum fördert, auf den Erhalt und die Zunahme von Arbeitsplätzen für alle angelegt ist und die Rechte künftiger Generationen im Blick hat. Wir wollen eine Familienpolitik, die der notwendigen frühen Prägung der Kinder Rechnung trägt, ihnen eine sie fördernde Entwicklung ermöglicht und ihnen so alle Chancen in dieser Gesellschaft eröffnet. Wir wollen eine Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, die die Menschen auffängt, ihnen zugleich und sogleich aber neue Perspektiven eröffnet, die eigenen Fähigkeiten zu erkennen und sich für die Überwindung der eigenen Problemlage tatkräftig einsetzen zu können.
Perspektivisch streben wir die Verwirklichung des liberalen Bürgergeldes an. Das Bürgergeld pauschaliert Leistungen und fasst diese zusammen. Damit achtet es einerseits die Würde des Einzelnen, weil es ihn vor der mehrfachen und unnötigen Rechenschaftspflicht gegenüber einer Vielzahl an staatlichen Stellen bewahrt. Andererseits vermeidet das liberale Bürgergeld so eine unnötige und teure Bürokratisierung des Sozialstaates, durch die wertvolle personelle und finanzielle Mittel den auf Hilfe Angewiesenen verloren gehen. Durch Pauschalierungen von Leistungen nimmt das liberale Bürgergeld die Betroffenen in ihrer Fähigkeit zur Eigenverantwortung ernst. Es bevormundet sie nicht und belässt ihnen die Freiheit und Verantwortung für eigene Entscheidungen.
Auf dem Weg zum fairen Sozialstaat bringen wir in die laufenden Beratungen in der FDP und in der Koalition folgende Vorschläge ein:

1. Neuordnung der Grundsicherung (ALG II)
Die FDP will die Grundsicherung für erwerbsfähige Hilfebedürftige (ALG II) neu ordnen. Das Bundesverfassungsgericht hat die noch von der rot-grünen Vorgängerregierung zu verantwortende Herleitung des Bedarfs insbesondere bei Kindern verworfen. Auf der Grundlage der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe muss jetzt ein transparentes sowie sachgerechtes Verfahren gewährleistet werden. Ziel ist eine transparente und nachvollziehbare Ausgestaltung der Regelsätze für Erwachsene, die das materielle Existenzminimum gewährt und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben ermöglicht.
Transferbezug darf nicht erblich werden, soziale Ungleichheit darf sich nicht über die Generationen verfestigen. Alle Kinder müssen deshalb einen freien Zugang zu Bildung und kultureller Teilhabe haben ? unabhängig von Herkunft und Einkommen der Eltern. Auf dieses Ziel wollen die Liberalen die unterschiedlichen Unterstützungsangebote der Solidargemeinschaft fokussieren. Geldleistungen als Hilfe zum Lebensunterhalt ziehen wir im Prinzip vor, weil sie eine eigenverantwortliche Lebensführung in Freiheit auch für Bedürftige erlauben. In Familien, die Leistungen aus der Grundsicherung erhalten, müssen die Bedürfnisse der Kinder jedoch nicht vollständig über Transferzahlungen gesichert werden. Durch eine Verbindung von Geld- und ergänzenden Sachleistungen ? in Form beispielsweise von Gutscheinen für die Teilnahme an kulturellen Angeboten oder der freien Mittagsverpflegung in der Schule ? werden die Kinder direkt erreicht und bleiben die Leistungsanreize für die Eltern unberührt. Die Kosten der Unterkunft sollen nach dem Willen der FDP durch einen pauschalierten Festbetrag gedeckt werden, der allerdings regionale Unterschiede im Wohnungsmarkt berücksichtigen muss. Wir stärken so zum einen die Selbstbestimmung der Leistungsempfänger, die frei entscheiden können, zu welche Preisen sie Wohnraum und Heizbedarf erwerben wollen. Zum anderen schaffen wir so mehr Rechtssicherheit für alle Beteiligten und entlasten die Mitarbeiter der Sozialhilfeträger vor Ort sowie die Sozialgerichte, indem wir die bestehende Klageflut eindämmen: Von den rund 200.000 Klagen gegen ALG-II-Bescheide betrifft schließlich die weit überwiegende Zahl diesen Komplex.
Das Schonvermögen, das der Altersvorsorge dient, wird wie geplant verdreifacht, um Eigenverantwortung endlich zu belohnen, statt zu bestrafen. Die selbst genutzte Immobilie soll dem staatlichen Zugriff im Fall der Bedürftigkeit entzogen werden. Der Wohnkostenzuschuss soll hier ebenfalls als pauschalierter Festbetrag ausgezahlt werden.
Die FDP diskutiert, ob volljährige zusammenlebende Partner jeweils den vollen Regelsatz des ALG II erhalten sollten. Die gegenwärtig bestehenden Anreize zur scheinbaren oder faktischen Trennung von Bedarfsgemeinschaften würden so teilweise beseitigt, die für alle Beteiligten würdelose Prüfung der Anspruchsberechtigung bis in den Intimbereich wäre dann entbehrlich. Geprüft werden muss allerdings, ob die entstehenden Entlastungen bei den Kosten der Unterkunft und in der Verwaltung zur Finanzierung dieser Maßnahme allein ausreichend wären.
2. Zuverdienst als Brücke in den Arbeitsmarkt
Die FDP wird die Zuverdienstmöglichkeiten für Empfänger der Grundsicherung verbessern und so den Menschen den Weg aus der Bedürftigkeit ebnen. Das bestehende System gewährt den Betroffenen gerade einmal ein Taschengeld und missachtet ihre Eigeninitiative, weil Arbeit sich für sie nicht lohnt. Die Anreize für die Aufnahme einer gering bezahlten, aber existenzsichernden Beschäftigung sind in Deutschland zu schwach. Die OECD hat dies jüngst erneut moniert: Im Vergleich zu anderen europäischen Ländern muss ein deutscher Arbeitnehmer mit zwei Kindern ein deutlich höheres Einkommen erwirtschaften, nämlich über 60 Prozent des Durchschnittslohns, bis sich seine Arbeit gegenüber dem Transferbezug spürbar lohnt. Durch diese Strukturprobleme geraten viele Betroffene auf dem Weg in die finanzielle Selbstständigkeit ins Stocken.
Ausdrücklich hat die OECD bemängelt, dass die derzeitigen Freibetragsregelungen im ALG II vor allem auf geringfügige Beschäftigung konzentriert sind. Hier wurden Fehlanreize gesetzt. So verdienen etwa 140.000 Menschen exakt 100 Euro, also den verrechnungsfreien Grundfreibetrag. Nach dieser Grenze werden die Anreize für die teilweise Arbeitsaufnahme geringer. Diese Privilegierung kleiner Einkommen ist indes statistisch von der Bundesagentur für Arbeit widerlegt: Menschen verbleiben signifikant seltener im Transferleistungsbezug, wenn sie parallel ein Brutto-Einkommen über 800 Euro erzielen. Fast 90 Prozent gelingt es dann binnen zweier Jahre, die Bedürftigkeit vollständig zu verlassen. Dennoch privilegiert die Sozialpolitik gegenwärtig kleinere Einkommen gegenüber höheren. Den geringsten Anreiz bietet das aktuelle System sogar, die 800-Euro-Schwelle zu überwinden. Dies verfestigt Langzeitarbeitslosigkeit mit kleinem Zuverdienst. Diese Situation will die FDP aufbrechen, indem w ir die Zuverdienstmöglichkeiten neu regeln und den Anreiz zur Arbeitsaufnahme bei zunehmendem Einkommen verstärken. Das ist fair, macht jeden Schritt aus der Abhängigkeit heraus attraktiver und führt im Ergebnis zu einem Sog in voll sozialversicherungspflichtige Beschäftigung.
Die FDP diskutiert konkret zwei Gestaltungsvarianten:
Variante 1

Der Grundfreibetrag von 100 Euro bleibt erhalten.

Zwischen 100 und 1000 Euro bleiben 40 Prozent des Einkommens anrechnungsfrei. Danach bleiben wie beim heutigen ALG II bis 1200 bzw. bis 1500 Euro 10 Prozent des Einkommens anrechnungsfrei.

Die Anrechnungsverhältnisse sind wie bisher auf das Nettoeinkommen anzuwenden.
Variante 2

Der Grundfreibetrag soll auf 40 Euro reduziert werden.

Zwischen 40 und 200 Euro wird das Einkommen mit dem ALG II komplett verrechnet. Danach bleibt das Einkommen bis 400 Euro zu 40 Prozent anrechnungsfrei, danach bis 1000 Euro zu 50 Prozent. Außerdem bleiben wie beim heutigen ALG II bis 1200 bzw. bis 1500 Euro 10 Prozent anrechnungsfrei.

Die Anrechnungsverhältnisse sind wie bisher auf das Nettoeinkommen anzuwenden.

Das Institut der deutschen Wirtschaft (IW) beziffert die Kosten der beiden Varianten bei einem normierten Indexwert von 100 (bezogen auf den Status quo) für Variante 1 auf ein Kostenniveau von 110 und für Variante 2 auf ein Kostenniveau von 101. Variante 1 würde folglich zu merklichen Zusatzkosten führen, während Variante 2 annähernd kostenneutral wäre.
Die FDP lehnt die Stigmatisierung des ergänzenden Teilbezugs von ALG II zu einem Erwerbseinkommen ab: „Aufstocken“ darf kein Schimpfwort sein. Arbeit ist entscheidend für die persönliche Entfaltung, das Selbstwertgefühl und die gesellschaftliche Teilhabe. Wegen dieser besonderen Bedeutung für die Persönlichkeitsentwicklung wäre Vollzeitbeschäftigung für uns auch dann zu begrüßen, wenn jemand gleichzeitig ergänzende Leistungen bezieht. Oft sind Aufstocker indes in Teilzeit beschäftigt. Ihr Stundenlohn übertrifft in vielen Fällen den individuellen Äquivalenzlohn, der bei einer Vollzeittätigkeit das Ende ihrer Bedürftigkeit markiert. Ihre Aufstiegsperspektive ist deshalb die Ausweitung der Arbeitszeit. Eine Verbesserung der positiven Anreize zum Herauswachsen aus einem Mini-Job oder einer Teilzeittätigkeit durch bessere Zuverdienstmöglichkeiten ist somit auch in dieser Hinsicht notwendig.
Geringverdiener sollten durch eine Absenkung der Sozialabgaben entlastet werden. Dazu trägt die Effizienzsteigerung der sozialen Sicherungssysteme bei. Auch die im Koalitionsvertrag vereinbarte Gesundheitsreform dient diesem Ziel. Darüber hinaus prüfen wir konkret die Erhöhung der Grenze sozialversicherungspflichtiger Midi-Jobs auf 1000 Euro. Der Anstieg der Sozialversicherungsbeiträge bis zur vollen Belastung wird entsprechend gestreckt.
Mehr als ein Viertel aller Alleinerziehenden, nämlich 27 Prozent, erhalten Leistungen aus der Grundsicherung. Um ihnen eine Erwerbsperspektive zu eröffnen, muss die Kinderbetreuung verbessert werden: Für alle Altersgruppen muss ein qualitativ hochwertiges Angebot bestehen, das die beruflichen Bedürfnisse erwerbstätiger Eltern berücksichtigt.
Ebenso bleibt auch die ideelle Stärkung der Motivation der Betroffenen eine wichtige Aufgabe, der auch eine die Stigmatisierung überwindende Umbenennung der Grundsicherung dienen würde.
3. Bekämpfung der Schwarzarbeit
Die FDP will die Schwarzarbeit stärker als bisher bekämpfen. Schwarzarbeit vernichtet sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze, enthält dem Staat Einnahmen vor und belastet die ehrlichen Bürger sowie die Sozialsysteme. Ließen sich alle durch Schwarzarbeit geleisteten Arbeitsstunden in die Legalität überführen, so würden dadurch rund 1.000.000 sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze entstehen. Die jährlichen Mindereinnahmen des Staates werden auf rund 17 Milliarden Euro geschätzt.
Die Alltagserfahrung zeigt, dass in bestimmten Fällen Schwarzarbeit und missbräuchlicher Sozialleistungsbezug verbunden werden. Deshalb sind die Erhöhung der Zuverdienstgrenzen und die Bekämpfung der Schwarzarbeit korrespondierende Maßnahmen. Neben der gewerblichen Schwarzarbeit muss auch ? zumindest stichprobenartig ? der Sozialmissbrauch kontrolliert werden. Die Wirkungen der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) auf den Schwarzarbeitsmarkt müssen durch Evaluationsinstrumente messbar werden. Zusätzlich soll der Zoll Verbindungsbeamte bereitstellen, die als direkte Ansprechpartner für die Mitarbeiter der Sozialverwaltung bzw. der Leistungsträger zur Verfügung stehen. Die Kontrollen können so besser vernetzt und im Ergebnis wirksamer werden.
4. Zusammenführung von Leistungen
Die Vielzahl der Sozialleistungen ist inzwischen zu einem Dschungel gewachsen. Er ist für Bedürftige wie den Staat selbst nicht mehr durchschaubar. Die Wirksamkeit der Instrumente und ihr Zusammenwirken sind zu oft nicht bekannt. Im schlimmsten Fall schaffen sie Fehlanreize und behindern statt zu helfen. Die FDP bekräftigt deshalb ihre Forderung nach einer Gesamtübersicht und -evaluation aller sozialen Leistungen mit dem Ziel ihrer Bündelung. Diese Aufgabe der Bundesregierung ist im Koalitionsvertrag verankert und muss nun mit Leben gefüllt werden.
Das Wohngeld und der Kinderzuschlag sind Leistungen außerhalb des ALG II, die mit diesem nicht abgestimmt sind. Deshalb sollen sie nach dem Willen der FDP langfristig in der Grundsicherung aufgehen. Das Sozialgeld soll in die Sozialhilfe integriert werden. Langfristiges Ziel bleibt die Zusammenlegung von ALG II und Sozialhilfe.
Durch die Zusammenlegung von Behörden können Effizienzreserven gehoben und gleichzeitig Qualitäten verbessert werden: Insbesondere die Familienkassen ? Statistiken beziffern sie sie auf 12.000 ?, Sozialhilfeträger und weitere Behörden können zusammengefasst werden. Dadurch werden zugleich Verfahrensmängel beseitigt. Familienkassen und Grundsicherungsträger koordinierten beispielsweise zu Beginn des Jahres nicht ihre Zahlungen, sodass am Ende viele Familien sogar Gelder zurückzahlen mussten. In der Perspektive strebt die FDP eine noch weitere Fokussierung der öffentlichen Verwaltungen an. In den Niederlanden zieht etwa das Finanzamt nicht nur Steuern ein, sondern zahlt auch Sozialleistungen an die Bürger aus.
5. Vermittlung in den Arbeitsmarkt
Jeder von Arbeitslosigkeit Betroffene hat einen Anspruch auf eine wirksame Unterstützung beim Wiedereinstieg in den Beruf. Übergeordnetes Ziel aller Maßnahmen ist, die Betreuung vor Ort schneller und zielgenauer zu machen, um die Menschen so wieder in Beschäftigung zu bringen und niemanden zurückzulassen oder aufzugeben. Dazu gehört die Unterstützung bei der Suche nach einem Arbeitsplatz, die passgenaue Beratung der Arbeitgeber und die nötige Qualifizierung der Arbeitssuchenden. Daher wollen wir die Fachkompetenz und Motivation der Mitarbeiter in der Arbeitsvermittlung vor Ort fördern. Wir wollen eine anerkennende, leistungsbezogene Entlohnung prüfen und ihre Qualifizierung verbessern. Die Dauer des Einarbeitungsprogramms für neu eingestellt Arbeitsvermittler sollte verlängert werden, denn die vermittelten Kenntnisse reichen für kompetente Vermittlung und sichere Rechtsanwendung heute oft nicht aus. Schließlich ist zu prüfen, ob eine bessere Relation zwischen Vermittlern und Kunden erreicht werden muss und ob eine kostenneutrale Erhöhung der Qualifizierungsmittel möglich ist. Um jede Chance auf einen Arbeitsplatz zu nutzen, muss zudem die Zusammenarbeit mit privaten Arbeitsvermittlungen im Alltag weiter vereinfacht werden.
Die Qualifizierungsarbeit der Bildungsträger muss verbessert werden. Zur Zertifizierung der Träger und Maßnahmen ist eine unabhängige Stelle einzurichten oder zu beauftragen, die nicht in Konkurrenz mit potenziellen Trägern steht. Die FDP spricht sich für ein Ranking der Qualifizierungsmaßnahmen aus, das von einer unabhängigen Stelle verwaltet wird.
Wir wollen im Zuge der Neuorganisation der Aufgabenwahrnehmung im Rechtskreis des SGB II ein klares Transparenzsystem einführen. Die Arbeitsergebnisse der unterschiedlichen Leistungserbringer müssen vergleichbar sein. Transparenz und Benchmarking des Erfolges der jeweiligen Kreise und Leistungsträger in der Arbeitsvermittlung sind Grundlage für einen produktiven Wettbewerb untereinander. Die hierfür notwendige Datenerhebung muss durch eine unabhängige Stelle, z. B. das Statistische Bundesamt, überprüft werden. Eine Zuweisung von Bundeszuschüssen in Form von Pauschalen könnte darüber hinaus zukünftig in Form eines Bonus- wie Malussystems den Erfolg von Ermittlungsarbeit vor Ort mit finanziellen Anreizen versehen.
Wir wollen dem Grundsatz „Keine Leistung ohne Gegenleistung“ überall Geltung verschaffen. Demjenigen, der arbeitsfähig ist und die Aufnahme einer Arbeit verweigert, werden die Leistungen für den Lebensunterhalt durch eine konsequente Anwendung der bestehenden Rechtslage gekürzt. Die extreme Spreizung der Sanktionsquoten ? in Bayern wird zu gut 50 Prozent öfter sanktioniert als in Bremen ? ist auch ein Indiz dafür, dass die Rechtsanwendung unterschiedlich erfolgt und mancherorts verbesserungswürdig ist.
Arbeitsgelegenheiten wie 1-Euro-Jobs sollten nach Auffassung der FDP dort angeboten werden, wo sie der Qualifizierung und Integration in den Arbeitsmarkt von Langzeitarbeitslosigkeit dienen. Sie sind jedoch keine reguläre Gegenleistung für den Leistungsbezug, insbesondere da dies sozialversicherungspflichtige Beschäftigung massiv gefährden würde. Dies zeigt auch der einschlägige Bericht des Bundesrechnungshofs aus dem Jahr 2008. Bei 80 Prozent der 1-Euro-Jobs wurde beanstandet, dass sie nicht zusätzlich, sondern anstatt solcher Aufgaben stattfanden, die eigentlich durch reguläre Beschäftigung abgedeckt werden müssten. Aktuelle Forderungen nach einem so genannten gemeinwohlorientierten Arbeitsmarkt sind deshalb volkswirtschaftlich schädlich ? und verdecken, dass Menschen Chancen auf reguläre Arbeit durch die Verriegelung eines Niedriglohnsektors vorenthalten bleiben sollen.
Die Mitnahme von Sozialleistungen ist verantwortungslos und darf von der Gesellschaft nicht toleriert werden ? das gilt für Leistungsbezieher genauso wie für Arbeitgeber. Mit ehrlichen Kaufmannstugenden, auf denen nach Überzeugung der FDP unsere Wirtschaftsordnung basiert, ist nicht vereinbar, wenn einzelne Arbeitgeber beispielsweise systematisch mit einem ergänzenden Sozialleistungsbezug ihrer Vollzeitkräfte kalkulieren, Subventionen mitnehmen oder missbräuchlich von Kriseninterventionen wie dem Kurzarbeitergeld profitieren wollen. Es wäre aber falsch, die Gesamtheit der deutschen Unternehmen unter einen Generalverdacht zu stellen. Dennoch muss auch hier der Sozialstaat durch wirksame Kontrolle und Evaluation Exzesse verhindern. Insbesondere wenn einzelne Arbeitgeber die Ausweitung der Zuverdienstmöglichkeiten für Lohndumping nutzen wollen, werden wir diesen Missbrauchsversuchen wirksam Einhalt gebieten.
6. Tarifautonomie statt staatlicher Lohnpolitik
Einen gesetzlichen Mindestlohn lehnen wir strikt ab, weil er naturgemäß nicht flexibel wäre, eine für viele Grundsicherungsempfänger kaum zu überwindende Marktzugangsbarriere errichten und insgesamt Arbeitsmöglichkeiten in großem Umfang vernichten würde. Die FDP sieht die Gefahr, dass ein staatlicher Mindestlohn Gegenstand eines Überbietungswettbewerbs in Wahlkämpfen werden würde ? und sich dann von der Entwicklung der Produktivität in unserer Volkswirtschaft in gefährlicher Weise abkoppeln könnten.
Die Rechtsprechung zum Verbot sittenwidriger Löhne werden wir gesetzlich verankern und das bestehende branchenbezogene Allgemeinverbindlichkeitsinstrumentarium evaluieren.

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