Dr. Lars Pracejus im Ratgeber Gesundheit von KnowHowNow: Erstes Expertengespräch über Phobien und Ängste

Erstes Gespräch der Interviewreihe zur Thematik ‚Phobie‘ mit dem Diplom-Psychologen und Hypnotherapeuten Dr. Lars Pracejus aus Gießen

(Gießen, den 14.07.2011) KnowHowNow – Ängste, Panikattacken, Phobien; Jedermann hat sich in der heutigen Zeit bereits einen Begriff von diesen Worten gemacht. Doch was tatsächlich für Mechanismen oder Ursachen hinter Angststörungen stecken, bleibt den meisten Menschen ein Rätsel. Viele Betroffene finden sich mit Ängsten ab. So heisst es oft ‚Ich habe eben Angst vor Spinnen‘ – als sei es ein Naturgesetz; etwas, woran man sich nur gewöhnen kann. Tatsächlich kann die ‚Phobie‘ in der Psychologie eine typische, behandelbare Erscheinung sein. KHN hat sich dieser Thematik gemeinsam mit seinen Referenten angenommen.

Was steckt hinter der Angststörung und was genau ist eine Phobie im psychologischen Sinne – KHN befragt Dr. Lars Pracejus, Diplom-Psychologe und Spezialist für Hypnotherapie aus Gießen in Hessen, zur Phobie im Allgemeinen. Es ist das erste Expertengespräch der Interviewreihe rund um die Aufklärung zu Phobien.

KnowHowNow
Herr Dr. Pracejus, Phobien oder Angststörungen sind in der Bevölkerung ein schon lange bekannter Begriff. Doch was verbirgt sich dahinter? Was genau stellt eine Phobie im psychologischen Sinne dar?

Dr. Lars Pracejus
Man unterscheidet in der Psychotherapie Angststörungen mit spezifischem Auslöser und ohne. Jene, die einen spezifischen Auslöser haben, sind Phobien: Angst vor Menschenmassen, offenen Plätzen, engen Räumen, Beurteilungen durch andere, Spinnen, Schlangen, Hunden, sonstigen Tieren, Spiegeln, dem Erbrechen, dem Fliegen, unterschiedlichen Krankheiten von AIDS bis Fuchsbandwurm, Gewitter, Feuerwerkskörpern, Puppen, Haaren und vielen mehr. Jede dieser Phobien trägt einen meist aus dem griechischen stammenden, klangvollen Namen.

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Gibt es allgemeine Ursachen für diese Erscheinung oder gängige Beispiele? Was kann zu einer Phobie beim Menschen führen?

Dr. Lars Pracejus
Erst mal ist „Angst“ eine Form physiologischer Aktiviertheit. Sie führt zur Erhöhung von Atem- und Herzfrequenz und damit zu einer besseren Durchblutung der Skelettmuskulatur. Wir sind also in Alarmbereitschaft, falls wir fliehen oder kämpfen müssen. Als Signalreiz ist die Angstreaktion daher erst mal sinnvoll.

Die alte Diskussion, ob psychische Erkrankungen auf Anlage oder Umwelt zurückzuführen sind, also angeboren oder erlernt wurden, wird auch hier angestrengt. Seligmann (1970) sprach von „vorbereitet sein“. Wir sind dafür genetisch vorbereitet, vor bestimmten Situationen oder Auslösern schnell Angst zu erlernen. Besonders, wenn diese für Leib und Leben potentiell bedrohlich sein können. Die spezifischen Phobien vor Tieren sind ein gutes Bespiel dafür. Eine Spezies ist evolutionsbiologisch besser gerüstet, wenn sie schnell vor bestimmten Feinden flieht, z. B. vor Wölfen. Die Spezies, die vertrauensvoll auf diese Feinde zu geht, wird gefressen. Es ist also von Vorteil schnell aktiviert zu sein.

Wenn ich auf dem Weg zu meinem Auto einer Schlange begegne, schnell ins Auto springe und mir dabei den Daumen in der Autotür klemme – wovor entwickele ich Angst? Vor Schlangen oder Autotüren? Interessanterweise vor Schlangen, dabei hat mir die gar nichts getan. Verletzt hat mich die Autotür. Aber Angst vor Tieren lernen wir schneller als andere Ängste. Das erklärt noch nicht Phobien vor Spinnen, die in unseren Regionen selten giftig sind und auch nicht beißen oder kratzen. Auf die Theorie des „Vorbereitet-Seins“ setzt sich deshalb noch das allgemeine Erlernen von Ängsten, wie es das Klassische oder Operante Konditionieren erklären. Hiernach wird ein neutraler Reiz mit einem angstauslösendem Reiz gekoppelt, so dass irgendwann auch der neutrale Reiz allein ausreicht, um Angst zu induzieren. Ich denke, dass Spinnenphobien häufig innerhalb der Familie weitergegeben werden, wenn die Mutter dem Kind die Angst vorlebt. Dies nennt die Psychologie „Lernen am Modell“.

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Jeder kennt die Angst vor Spinnen oder Platzangst. Doch gibt es sogar Phobien die sich auf Wolken oder Holz beziehen. Was sind die gängigsten Phobien oder gibt es überhaupt Tendenzen?

Dr. Lars Pracejus
Sehr gängig sind Ängste vor offenen Plätzen (Agoraphobien) und Soziale Phobien. Da diese häufig sind, haben sie im Internationalen Klassifikationskatalog ICD 10 eine eigene Ziffer erhalten. Alle anderen sind unter „Spezifische Phobien“ zusammengefasst. Darin gibt es besonders häufig Infektionsphobien und Tierphobien. Bei der Angst vor Ansteckungen ist besonders interessant, dass sich die Angst auch auf Krankheiten beziehen kann, die nach Kenntnisstand der Wissenschaft kaum durch Infektionen übertragen werden, beziehungsweise sehr selten sind. Bei den Tierängsten gibt es auch sehr exotische, wie z. B. Angst vor Schmetterlingen.

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Gibt es Personengruppen, die eine besondere Anfälligkeit für Phobien aufzeigen? Welche könnten Sie benennen?

Dr. Lars Pracejus
Besonders belastet können Menschen sein, die Angststörungen in der Ursprungsfamilie haben. Besonders das Modelllernen spielt hier eine große Rolle.

Phobien treten komorbid (als Begleitung einer anderen Krankheit) besonders häufig bei Depressionen auf. Generell finden sich bei Phobikern aber auch andere Störungen des neurotischen Formenkreises: Zwang, Belastungsstörungen, somatoforme Störungen wie beispielsweise Hypochondrie.

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Manche Menschen meiden Spinnen – und wieder andere brechen in Panik aus. Ab wann kann man von einer tatsächlichen Phobie sprechen; bzw. wann besteht therapeutischer Bedarf?

Dr. Lars Pracejus
Diagnose und Behandlungsbedarf müssen getrennt betrachtet werden. Zu den Diagnosekriterien gemäß ICD 10 gehört, dass die Angst der Situation nicht angemessen ist und zu lange anhält. Oft ist die Angst für die Betroffenen nicht erklärbar, beeinflussbar oder zu bewältigen. Als Konsequenz kommt es zu einer Beeinträchtigungen des Lebens der Betroffenen oder einer Einschränkung des Kontakts zu fremden Menschen.

Behandlungsbedürftig ist eine Phobie dann, wenn es zu einem Leidensdruck für den Phobiker kommt. So kann man in Deutschland bestimmt gut mit einer Skorpionphobie leben. Diese Tiere kommen eher in Büchern, Filmen oder auf Exotenbörsen vor. Mit einer Spinnenphobie lebt es sich auf dem Land eher schlecht. Begegnungen sind vorprogrammiert und auch mit Anstrengung schwer zu vermeiden. Ein Patient kommt eher in eine Praxis für Psychotherapie, wenn er leidet und bekundet selbst die Behandlungsbedürftigkeit.

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Welche Behandlungsmethoden bietet die Psychotherapie bei Phobien?

Dr. Lars Pracejus
Die Verhaltenstherapie nennt Konfrontationen in sensu (in der Vorstellung) oder in vivo (im wirklichen Leben). Dabei unterscheidet man eine graduelle Annäherung an den angstauslösenden Reiz (Systematische Desensibilisierung) oder eine Reizüberflutung (Flooding).

Psychodynamische Verfahren (Psychoanalyse, Tiefenpsychologisch fundierte Verfahren) suchen oftmals nach der Ursache. Das mag im Fall unspezifischer Ängste, wie einer generalisierten Angststörung, hilfreich sein, aber bei spezifischen Phobien sind eine Kombination aus verhaltenstherapeutischen Techniken und imaginativen Verfahren schneller und praktischer.

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Wie kann man sich eine solche Therapie gegen seine Phobie vorstellen?

Dr. Lars Pracejus
Die Verhaltenstherapie arbeitet damit, einen Patienten dem angstauslösenden Reiz auszusetzen, bis die Angst von alleine abnimmt (Flooding in vivo). Tatsächlich funktioniert das auch. Das Angstsystem feuert dann nicht über Stunden, sondern erschöpft nach einer überschaubaren Zeit. Patienten berichten oft, dass sie diese Behandlungsform als sehr unangenehm empfinden. Daher ist die systematische Desensibilisierung in der Vorstellung mein bevorzugtes Verfahren und wird in der Hypnotherapie von imaginativen und suggestiven Techniken begleitet.

In meiner psychologischen Praxis arbeite ich lösungs- und ressourcenorientiert. Das heißt, wir aktivieren die zur Verfügung stehenden inneren Kräfte des Patienten. Der Patient kann so die Kontrolle zurückgewinnen um dem Gefühl der Ohnmacht und dem Ausgeliefertsein zu entgehen.

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Ist Heilung ein realistisches Ziel oder eher ein berechenbarer und normaler Umgang – allerdings nach wie vor mit der Phobie?

Dr. Lars Pracejus
Das zweite ist ein Schritt, der auf dem Weg zum ersten liegt. Patienten sind schon erleichtert, wenn die Angstsymptomatik gelindert wird. Wenn der ehemals angstauslösende Reiz berechenbarer wird und der Umgang damit immer normaler, dann sind wir auf dem Weg zur Heilung. Phobische Störungen können unterschiedliche Schweregrade haben, auch wenn das in der Psychodiagnostik nicht extra klassifiziert wird. Wenn sich andere psychopathologisch relevante Themen dazu mischen, beispielsweise Traumata in Kindheit und Jugend oder familiensystemische Verknüpfungen, dann macht das die Behandlung umfangreicher und langwieriger.

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Woran kann man an sich erkennen, ob eine tatsächliche Phobie besteht oder eine nur einfache Abneigung? Gibt es Grenzmomente zur Selbsteinschätzung?

Dr. Lars Pracejus
Auch hier geht es wieder um den Leidensdruck des Betroffenen. Die klassischen Zeichen einer Angstreaktion lassen sich physiologisch wahrnehmen: Erhöhung der Atemfrequenz, Erhöhung der Herzfrequenz, Schweiß, Temperaturveränderung, innerliches oder äußerliches Erstarren und einige andere. Das kann oft deutlich unterschieden werden von einem Unwohlsein oder einer Abneigung. Ich formuliere es mal etwas umgangssprachlich: Wenn Sie eine Angstattacke mit spezifischem Auslöser haben, werden Sie sie als solche erkennen.

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Welche allgemeinen Ratschläge können Sie Betroffenen geben, um im Alltag mit einer Phobie umzugehen – vielleicht bereits vor oder während einer Therapie?

Dr. Lars Pracejus
Vermeidung des angstauslösenden Reizes ist bereits eine Bewältigungsstrategie. Es ist die Frage, ob diese dauerhaft funktioniert. Falls ja, ohne massive Einschränkungen der Lebensqualität, kann der Patient im Alltag damit umgehen. Ist die Lebensqualität stark beeinträchtigt oder versagt das Vermeidungsverhalten, sollte eine Psychotherapie erwogen werden, um neue Bewältigungsstrategien zu erlernen.

KnowHowNow
Welchen abschließenden Rat möchten Sie den Lesern geben?

Dr. Lars Pracejus
Spezifische Phobien kommen verhältnismäßig häufig vor und sind, wenn sie isoliert vorliegen, relativ gut zu behandeln. Falls Sie eine Therapie in Erwägung ziehen, gehen sie es rechtzeitig an. Ein Flugphobiker sollte nicht erst vierzehn Tage vor dem Urlaub in die Behandlung kommen. Suchen Sie sich eine Zeit aus, in der Sie sonst weitestgehend unbelastet sind und nicht unter Zeitdruck geraten. Unter Druck sind wir Menschen weniger leistungsfähig. Das gilt auch für therapeutische Veränderungen.

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„Was steckt hinter der Phobie?“ – Herr Dr. Pracejus, wir danken Ihnen für dieses Gespräch mit KnowHowNow!

Dr. Lars Pracejus arbeitet in eigener Privatpraxis für Psychotherapie (HPG) in Gießen. Er steht für Beratung und Nachfrage zur Thematik persönlich zur Verfügung.

Praxis für Psychotherapie (HPG)
Dipl.-Psych. Dr. Lars Pracejus
Südanlage 12, 35390 Gießen
Tel.: 0641 – 55 99 613

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http://www.hypno-dialog.de

Dies ist das erste Interview zur Gesprächsreihe über Phobien. Experten-Interview ‚Einführung in die Thematik Phobie‘, Im Gespräch Dr. Lars Pracejus. Praxis: Südanlage 12, 35390 Gießen. Diplom-Psychologe aus Gießen und Spezialist für Psychotherapie und Hypnotherapie, Hessen. Promotion (rer. nat.) und Studium der Psychologie und Medizin an der Justus Liebig Universität Gießen.
Interviewkennung bei Rückfragen an KnowHowNow: med/0006

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