(BSOZD.com-NEWS) Gütersloh. Stellungnahme zur Studie der TU Chemnitz zum ALG II Regelsatz:
TU Chemnitz erstellt Hartz IV Studie – und wir wundern uns über die Lage im Lande? : Die Herren Professoren Friedrich Thießen & Christian Fischer veröffentlichen eine Studie mit dem Titel „Die Höhe der sozialen Mindestsicherung – Eine Neuberechnung „bottom up““. Die Veröffentlichung erfolgte in der Zeitschrift für Wirtschaftspolitik (Lucius & Lucius, Stuttgart), Jg. 57 (2008), Heft 2 S. 145-173. Diese Studie löste Bundesweit Deutliche Reaktionen aus – so auch bei uns.
Diese Studie interessiert scheinbar Millionen Deutscher Bürger, also widmen wir Ihr auch ein paar kritische Blicke – und sind entsetzt.
Was vermittelt uns diese Studie, nachdem Sie das Mahlwerk der „grossen“ Presse durchlaufen hat? Nun, der momentane Regelsatz (Zur Erinnerung: Regelsatz ist das Geld, von dem der ALG-II Empfänger einen Monat leben können muss, Wohnung und Heizung nicht enthalten, alles andere schon) beträgt aktuell 351,00 Euro für einen Alleinstehenden. Das könnte auch mit 132 Euro klappen – so erfährt es der Deutsche Bürger aus diversen Medien und Politikermündern. Die Originale Studie ist da schon vorsichtiger, gibt Sie doch immerhin einen Bereich an: „Ohne Wohnkosten betragen die Kosten der sozialen Mindestsicherung im Raum Chemnitz im Minimumfall 132 Euro und im Maximumfall 278 Euro.“ (Zitat Studie, Seite 26, letzter Absatz). DAS liest sich doch schon ganz anders – im Maximumfall sollen also laut der Herren Professoren 278 Euro gebraucht werden. In Chemnitz.
Nur in Chemnitz? Aber natürlich NUR IN CHEMNITZ, denn woanders haben die beiden ja nicht geschaut: „Die Ermittlung der Preise wurde in der Stadt Chemnitz zwischen dem 11. und 15. Mai 2006 durchgeführt.“ (Zitat Studie, Seite 15, erster Satz) Oh, gleich noch ein Problem sticht dadurch schmerzhaft ins Auge: NUR in Chemnitz, und das vor über zwei Jahren. Was haben die letzten Zwei Jahre doch gleich mit den Preisen gemacht? Richtig, deutlich angehoben. Mal mehr, mal weniger – aber wirklich billiger geworden ist aus der Sicht des Normalen Bürgers doch nicht wirklich was. Die Preisentwicklung wurde daher auch konsequent ausser Acht gelassen.
Aber das macht ja bei Professoren nie wirklich viel aus… Zwei Jahre Preisschraube, das merkt doch keiner? Tut mir leid, liebe Herren Professoren, die Betroffenen merken das sehr wohl. Jeden Tag. Und es tut echt weh. Jeden Tag.
Wie wirkt sich denn der Preisunterschied zwischen Chemnitz und dem Rest des Landes aus? Einfachstes Beispiel: Der Öffentliche Nahverkehr. Netterweise kann man das einfach vergleichen am Beispiel Düsseldorf. Am 09. September 2008 boten beide Verkehrsbetriebe auf den jeweiligen Internetseiten ein vergleichbares Ticket an: Gültig einen ganzen Monat, fahren rund um die Uhr in Bus und Strassenbahn/Tram im ganzen Stadtgebiet, das Ticket ist auch übertragbar. Monatliche Kosten in Chemnitz: 36,20 Euro. Monatliche Kosten in Düsseldorf: 53,17 Euro. Was, 16,97 Euro Unterschied? Da Verkehrskosten in der Studie berücksichtigt sind mit ~20 Euro kann man ja überlegen, ob der Umzug nach Chemnitz nicht vielleicht Sinn macht, man muss ja weniger Essen einsparen um unter anderem die Einladungen zu Gesprächen über die Berufliche Situation wahrnehmen zu können. Und offenbar ist das kein Einzelfall. So geht die Studie auch von folgendem aus: Nicht berücksichtigt werden müssen „Polstergarnitur, Schrankwand, Stehleuchte, Couchtisch, Beistelltisch, Fenstervorhang/Stores, Zimmerefeu. Besteck und Geschirr einfach. Alle diese Gegenstände werden von sozialen Einrichtungen kostenlos abgegeben.“ (Zitat Studie, Seite 10, Tabellenfeld 05) Trotz intensiver Suche im Grossraum Düsseldorf konnte hier keine einzige Stelle gefunden werden, die die benannten Artikel kostenlos abgeben wollte (einzige Ausnahme: Wer dem Sperrmüll-Transport zuvorkommt wird üblicherweise nicht Strafrechtlich belangt) – das höchste der Gefühle war ein 20% – Rabatt auf aufgearbeitete Second Hand Waren. Ist leben in Chemnitz so deutlich günstiger? Offensichtlich. Zumindest scheint es das anno 2006 gewesen zu sein.
Nun wenden wir uns mal dem zu, um den es in der Studie geht: „Grundlage der Untersuchung ist ein gesundes, rational handelndes Individuum frei von Sucht- oder anderen Erkrankungen oder Behinderungen“ (Zitat Studie, Seite 11). Ergänzend sei festgehalten: Die Studie geht davon aus, das Rauchen als Sucht abgeschafft wird bei Antragsstellung. Somit währe gleich eine ganze Industriesparte überflüssig geworden – wer mit dem Rauchen aufhören will braucht nur ALG-II beantragen, Nikotinpflaster und andere Entwöhnungshilfen werden nicht mehr gebraucht. Danke, TU Chemnitz! Davon abgesehen, ein „Gesundes Individuum“ meint im Sinne der Studie ganz eindeutig NUR den Erwachsenen, Männlichen, Alleinstehenden ALG-II Empfänger ohne Familie und Mitbewohner. Dieser Musterbürger ist nicht Medien- aber dafür Realitäts-Konform, da Arbeitswilligkeit vorausgesetzt wird. Familien werden gar nicht berücksichtigt.
Für die weniger gut informierten Leser, die Ihre Informationen zum Sozialgesetz von Bundeskanzlerin Merkel oder der Bild-Zeitung erhalten: NUR der Alleinstehende ALG-II Empfänger bekommt den Regelsatz in voller Höhe. Sobald eine Bedarfsgemeinschaft ins Spiel kommt wird reduziert! Eine ebenfalls ALG-II empfangende Frau im Hause z.B. sorgt dafür das die beiden nicht mehr jeder 351 Euro erhalten, sondern jeder nur 316 Euro. 90% statt dem vollen Betrag, nur weil jemand dabei ist. Was macht das aus den Zahlen der Studie? Der Untere Grenzwert von 132 Euro wird zu 118,80 Euro, der Obere Grenzwert von 278 Euro zu 250,20 Euro. Und Kinder bis 14 Jahre kriegen sogar noch weniger, 60%. Macht also bei der Studie sagenhafte 79,20 Euro (soviel habe ich letzten Monat allein für die Schulbücher des 11-Jährigen ausgegeben) bzw. 166,80 Euro beim höheren Satz. Zum Vergleich: 118,80 Euro (Jeder will ja nur den kleinsten Wert haben) sollen für einen Erwachsenen Menschen zum Leben in Gesundheit und Würde genügen – Die Haltung eines Schäferhundes im Tierheim kostet durchschnittlich nur 90 Euro, ein Pferd im Stall kostet schon 200 Euro (Beide Zahlen wuden nicht repräsentativ durch Telefonische Umfrage bei 5 entsprechenden Einrichtungen in NRW ermittelt). Und wenn mein Grossvater sich nicht geirrt hat kostete die Unterbringung eines Kriegsgefangenen damals 2 Mark am Tag, also bei 30 tagen 60 Mark… Leider lässt sich dieser Satz nicht vernünftig auf heutige Zahlen und Währungen umrechnen, aber die Ähnlichkeit der Zahlen sorgt bei Freiheitsliebenden, an Demokratie und Menschenrechte glaubenden Bürgern doch für Angstattacken, oder?
Aber wir wollten uns ja eigentlich weiter mit der Studie befassen – allerdings sollte bereits jetzt schon klar sein, das es eigentlich keinen Sinn macht. Die Studie ist so eingeschränkt in Sichtweise und zugrundeliegendem Datenmaterial, das jedes weitere Wort darüber eine Verschwendung währe. Ich sehe es als erwiesen an, das die Studie einen amüsanten Blick in die Chemnitzer Vergangenheit erlaubt, aber mit der heutigen Realität nicht einmal im Statistischen Bundesdurchschnitt konform läuft – Meine Herren Professoren: Setzen, Sechs. Aber ein Fleiss-Sternchen gibt es, denn die Studie ist teilweise erschreckend ehrlich, zum Beispiel auf Seite 8: „Die vagen Formulierungen in den Gesetzen lassen es nicht zu, eine eindeutige Entscheidung hinsichtlich der Art und Menge von Gütern zu treffen, die in der sozialen Mindestsicherung enthalten sein sollten.“
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