(BSOZD.com-NEWS) Flensburg. Willi Schewski über das Buch „Heilung des Inneren Kindes. Ein kreatives Selbsthilfe- und Therapiebegleitbuch“ von der Autorin Petra Pauls.
Erschienen im Autorenverlag Artep, Freiburg 2006, ISBN 3-936544-61-1,
Preis: 9,95 Euro
Der Titel versprach Großartiges: „Heilung des Inneren Kindes“. Auf dem ersten Blick weckte der Begriff „Heilung“ Zweifel bei mir. Konnte die Autorin diesem Anspruch gerecht werden?
Meines Erachtens sollte ein Autor, der ein Selbsthilfebuch für Menschen schreibt, die „sexuellen Missbrauch – oder überhaupt Missbrauch in jeder Form erlebt haben“ über gewisse Voraussetzungen verfügen: a) Fachkompetenz, b) Erfahrung, c) die Fähigkeit Nachweis über seine Thesen/Therapie zu bringen, und d) kritische Distanz. Petra Pauls kommt diesen Punkten im Nichts nach. Ich halte ihr Buch als „Selbsthilfe- und Therapiebegleitbuch“ für Leidende, Ratsuchende, ehemalige kindliche Opfer ungeeignet, wenn nicht gefährlich (mehr dazu weiter unten). Frau Pauls hat das Buch, nach meinem Eindruck, explizit aus IHRER persönlichen Perspektive geschrieben; und als solches darf der Leser dieses betrachten: als eine eigene, persönliche Sicht. Nur diese hat es in sich: Sie führt, nein: sie drängt, sie manipuliert den Leser in eine Richtung: Vergebung der Täter. Ich halte diese Vorgabe nicht nur für unredlich und gefährlich, sondern als eine Beleidigung und als eine Verhöhnung ehemaliger Opfer.
Frau Pauls schreibt in ihrer Einleitung: „Ich entdeckte (…) eine Art von Therapie, die effektiver (Anmerkung: was ist „effektiver“?) ist, als das was sie bisher kannte“. Sie schreibt weiter: „Es war eine Reise in die Vergangenheit, die INNERHALB EINER WOCHE MEINE GANZE EINSTELLUNG ZU MEINEM ELTERNHAUS, zu mir selber und meiner Umgebung RADIKAL VERÄNDERTE. Zum ersten Mal in einem LEBEN WAR ICH FREI VON DEM ZWANG, den Kontakt zu meinen Eltern nicht verlieren zu wollen, weil ich dachte, SIE SEIEN MIR ETWAS SCHULDIG.
Sie stützt ihre Erfahrungen aus einem „Seminar mit der Heilung des Inneren Kindes“ und leitete daraus ab, ein „kreatives Arbeitsbuch, mit dessen Hilfe jeder persönlich seine Erfahrungen er- und verarbeiten kann“. Weiter heißt es:
„In jedem Kapitel findest Du verschiedene Arbeitsanweisungen, die Dich Deinem Inneren Kind Schritt für Schritt näher bringen werden…. Du wirst in der Lage sein, Deine eigene Leere selbst zu füllen, ohne auf Ersatz von außen angewiesen zu sein“.
Das sind hohe Ansprüche. Leidende dursten nach fundierten Informationen, nach kompetenten, redlichen, emphatischen Therapeuten. Wie will die Autorin den Leser anleiten, sich aus der Leere zu befreien? Frau Pauls ist KEINE Psychotherapeutin, schreibt sie doch:
„Dieses Buch ist als Therapiebegleiter gedacht und kann sehr gut während oder nach einer Therapie benutzt werden. Auf keinen Fall ersetzt es eine Therapie von Fachkräften. Ich bitte Dich, dies bei der Bearbeitung zu berücksichtigen und es wird auch immer wieder in dem auch darauf hingewiesen, dass Du Dich nicht scheuen sollst, einen Therapeuten/eine Therapeutin aufzusuchen, wenn Du spürst, dass Du fachliche Hilfe benötigst.“
Richtig Frau Pauls, man benötigt einen Therapeuten, nämlich so einen: Einen parteiischen, moralfreien, einen, der einzig und alleine auf der Seite des ehemaligen Opfers steht (!), einen, der dem Opfer dient, ihm glaubt, ihm hilft, seine Vergangenheit, seine traumatischen Erlebnisse zu durchleben, zu verarbeiten; und einen, der mit dem Leidenden seine EMPÖRUNG ÜBER DAS GRAUSAME GESCHEHENE TEILT, UM DAS EHEMALIGE OPFER VON SEINEN SCHULDGEFÜHLEN ZU BEFREIEN.
Warum sollten wir bedenkenlos jedem x-beliebigen Therapeuten, der wie Frau Pauls die Vergebung vorgibt, akzeptieren? Was ist mit den vielen Berichten von Menschen dessen Therapien SCHEITERTEN, WEIL SIE VERGEBUNG PREDIGTEN? Darüber kein Wort. Die Autorin berichtet, sie hätte eine „zweijährige Gesprächstherapie“ hinter sich. Doch mit welchem Erfolg? Pauls schreibt:
„In zahlreichen Therapien hatte ich immer wieder versucht, mich von ihnen (Anmerkung: den Eltern) zu lösen … Ich war nicht in der Lage, meinen Erkenntnissen aus den bisherigen Therapien in die Tat umzusetzen. Mir fehlte die Anleitung zum Handeln“
Ich finde, dürr, schwammig umschrieben. Was ist eine „Anleitung zum Handeln“?
Für mich ist Petra Pauls Buch eine für das ehemalige Opfer ehrentwürdigende Selbsthilfeanleitung, sie ist eine manipulative, mit pädagogischen Fallstricken durchsetzte Lektüre. Sie verwirren den Leser, das ehemalige Opfer statt „dem Beginn einer Heilung“ zu ermöglichen.
Es beginnt relativ harmlos: Im Kapitel „Alte Wunden – Ein Blick in die Vergangenheit“ führt sie den Leser an die Ursachen seelischer Erkrankungen hin, leitet ihn an seine alten Gefühle, seine Schmerzen heran. Sie lässt ihm Freiraum diese aufzuschreiben, Tagebuch zu führen, zu malen, zu zeichnen, zeigt Wege, wie man seine Gefühle herauskitzelt. Weiter werden im Kapitel „Loslassen – Einsichten neu ordnen lernen“ Atemübungen gezeigt, Meditations- und Tanzübungen vorgestellt, die über den Abschnitt „Mein Inneres Kind – Die ersten zaghaften Begegnungen“ zum „Beginn der Heilung – Selbstfindung – der Weg zur tiefen Freude“ führen. Im Kapitel „Reise zur Wut“ (Seite 62 bis 65) zeichnet die Autorin auf, wie man Wut gegen die Eltern zu- und ablässt. Das ist, wie ich weiter oben schrieb, absolut not-wendig.
Doch sechs dünne Seiten weiter wird der, aus meiner Sicht, fatalste Teil des Buches eingefädelt, sie beginnt mit Folgendem:
„Meine arme Mutter …Sie machte sich über meine Fantasie lustig, lachte mich aus, als ich sagte, dass ich sie liebe. Im gleichen Atemzug tat sie mir so unsagbar leid…“.
Komisch. Die Autorin lässt uns Leser zunächst teilnehmen, wie sie anfängt, ihre Mutter, die sie zuvor berechtigterweise beschuldigte (Kapitel: Ich klage dich an), plötzlich zu bemitleiden; unverständlich! Fürbass: Sie manipuliert den Leser, bevormundet ihn, fordert ihn auf, die höchst fadenscheinige Frage zu klären:
„Warum hat sich der Mensch, den ich angeklagt habe, damals so verhalten?“
Weiter heißt es:
„1. Schritt: versuche, sein HANDELN ZU VERSTEHEN – OHNE ES ZU VERURTEILEN
2. Schritt: versuche, MITGEFÜHL FÜR SEIN UNGELÜCK ZU EMPFINDEN
3. Schritt: versuche zu VERGEBEN, zu VERZEIHEN
4. Schritt: nun kannst Du loslassen.“
Welch törichte Fragen! Was interessiert einem Leidenden, der mit Panikattacken zusammengekauert in seinem Bett hockt und um sein Leben fürchtet, die Frage, warum die Mutter, die ihn als Kind sexuell manipulierte, so verhielt? Welch ein Dilettantismus: „Mitgefühl für sein (Anmerkung: des Täters) Unglück empfinden“?
Wieso sollte eine junge Frau dessen Vater sie jahrelang vergewaltigte und für den Rest ihres Lebens schädigte, SEIN HANDELN VERSTEHEN, geschweige denn MITGEFÜHL FÜR SEIN UNGLÜCK empfinden? Grotesk! Welchen Heileffekt soll dieses bezwecken?
Wird in dieser Frage nicht das Schuldgefühl des ehemaligen, sexuell manipulierten Kindes für immer verankert?
Petra Pauls Argumentation ist nicht nur voller Widersprüche, sie stellt ebenso die Scharlatanerie ihrer Gedanken offen zur Schau. So berichtete die Autorin auf den Seiten 15 und 16 von schlimmsten Kindesmisshandlungen; sie schreibt:
„Kinder die was wollen, die kriegen was auf die Bollen!“ … so schmerzte jeder Griff, jedes Kneifen dermaßen, das ich jeden hasste, der diesen Spruch losließ und mir dabei in meine Schenkel kniff. Mein Wollen und Nichtwollen waren unerwünscht. Ja, es war mit Schmerz verbunden, etwas zu wollen. Meine Wünsche waren nicht gefragt und irgendwann ERSTARRTE mein Wünschen. Wünsche mussten bis Weihnachten warten! Dass es auch nichtmaterielle Wünsche gab, schien zumindest in meiner Umwelt fremd gewesen zu ein. Mein erstes Gefühl gebot mir, vorsichtig zu sein. Ein Hauch von ´nicht erwünscht zu sein´, spielte eine große Rolle in meinem jungen Leben.“
Nur sechsundsechzig Seiten später berichtet sie, in einem völligen Widerspruch:
„Ich schätze die Kraft und die Energie, mit der sich meine Mutter durch ihr Leben gekämpft hatte… Sie hatte ein wunderbares Lachen, das man sogar noch ein Haus weiter hören konnte. Auch war ihre Kontaktfreudigkeit ein besonderer Wesenszug, der mit gut tat. Sie war beliebt und gern gesehen.“
Was fühlt ein Kind, dessen Mutter wunderbar lachen kann, aber unfähig ist, ihr Kind zu lieben, zu achten und zu respektieren?
Exemplarisch, wie die Autorin nur wenige Sätze später ihre Mutter verteidigt und schlussendlich ihr Schuldgefühl zementiert:
„Meine Mutter – sie war so sehr mit ihren Sorgen und Ängsten beschäftigt, dass sie uns Kinder kaum wahrnehmen konnte.“ … Als Kind hat sie mir das Wichtigste beigebracht – vielleicht ohne es zu wissen – so dass ich ÜBERLEBEN konnte: SIE HAT MICH DAS BETEN GELEHRT!
Worin liegt der Sinn, einem Kind das Beten beizubringen? Warum liebte die Mutter das Kind nicht einfach, achtete, respektierte und beschützte es? Weil es selber Opfer von Missbrauch und Vernachlässigung war und nicht anders handeln konnte? Sicher. Das bringt Petra Pauls in ihrem Buch offen zum Ausdruck. Aber es ist für den erwachsenen Leidenden (in der Therapie) völlig unrelevant und fördert in keiner Weise seinen Heilungsprozess, ob die Mutter, der Vater, die Großmuter oder andere Erziehungspersonen in ihrer Kindheit selber einmal Opfer ihrer Erzieher waren.
NIEMAND ist von Schuld frei. Eltern, die ihr(e) Kind(er) misshandeln, verhalten sich de facto schuldhaft und das sollte ohne wenn und aber in der Therapie besagt werden. Auf Schuld und Sühne basiert unser Rechtssystem und von niemanden wird dieses in Frage gestellt. Überdies regelt seit dem Jahre 2000 das Bürgerliche Gesetzbuch eindeutig, dass Gewalt von Seiten der Eltern gegen ihre Kinder unter Strafe steht. Warum sollte das Prinzip Schuld NICHT für schlagende, misshandelnde, vergewaltigende, vernachlässigende Eltern gelten, die uns vor zwanzig, dreißig oder mehr Jahren als Kinder massakrierten? Ist es so, das wir (oder der Therapeut) etwa immer noch – unbewusst – die böse blickenden Eltern fürchten? Sind wir alle kollektive Sklaven des 4. Gebotes: Du sollst deine Eltern ehren?
Es ist das gute RECHT des Opfers, die SCHULD DER ELTERN und ihre Vergehen, ihre Verbrechen, ihre Misshandlungen im Rahmen der Therapie (!) offen und deutlich auszusprechen und es wäre DIE PFLICHT DES THERAPEUTEN das Opfer darin zu bestärken und mit ihm seine Empörung zu teilen. Wenn man von Heilung spräche, dann nur auf diesem Weg: Nichts als die Wahrheit heilt, ohne Moral, ohne Vergeben und ohne Verzeihen der Täter. Die Forderung nach Verzeihen und Vergeben der Täter impliziert die – unbewusste – Angst des ehemaligen Opfers vor Repressalien und sie verkittet nur eines: dessen Schuldgefühle.
In welch beeindruckender Weise die manifestierten Schuldgefühle der Autorin in ihrem Buch zum Ausdruck kommen, erkennt der Leser an folgender Passage:
„Ich spreche meine Mutter frei! … Frei von allen Punkten der Anklage, weil sie selber ein verwundetes Inneres Kind in sich trägt, das heute keine Heilung erfahren hat. … sie ist nicht Schuld an Dingen, die aus ihrer Unwissenheit und ihrem Unvermögen heraus entstanden sind. Ich spreche sie frei!“
Doch damit nicht genug. In einer, wie ich finde, unverschämt erpresserischen, erzieherischen und drohenden Art subsumiert die Autorin ihre Schlussfolgerungen:
„Freisprechen musst Du auf alle Fälle, das gehört mit zum Heilungsprozess, egal wie du jetzt auch empfinden magst. Das mag für einige hart klingen, aber ES GIEBT NUR DIESEN EINEN WEG, um inneren Frieden zu finden, in dem Du die Person freisprichst! Du wirst einen Wandel durchleben, der in Dir Wunden der Vergangenheit schließt. Versuche es! …“
Die Autorin spricht vom „Heilungsprozess“. Doch welchen? Womit begründet sie diesen? Belegt sie ihn mit wissenschaftlichem Nachweis? Mit authentischen Patientenberichten? Sie sagt: „es gibt nur diesen einen Weg“ – ohne ihn zu BEWEISEN. Sie schreibt, man würde einen „Wandel durchleben“. Doch welchen Wandel? Und wohin? Ins Verderben? Sie nennt keine Zeugnisse für ihre Thesen, schildert weder klinische Tests noch wissenschaftlich fungierte Quellen. Sie dient dem Leser mit keinerlei Fakten, die unverfälscht bezeugen könnten, das sie auf der richtigen Schiene liegt.
Der Autorin wird es misslingen wissenschaftlich gesicherte Heilungsbeweise vorzulegen: Es gibt weltweit keine einzige Studie die dokumentiert, das Vergebung der Täter, die uns als Kind halt tot schlugen, heilt!
Ich halte es für höchst riskant, mit dieser moralisierenden, unseriösen Vorgabe der Autorin, Leser zu animieren und nach ihrer Methode zu „arbeiten“. Die Gefahr ist zu groß, das leidende Menschen, die bereits mit Schuldgefühlen voll gesaugt sind, sich weiter – unbewusst – im Tümpel der Schuld suhlen, das Symptome sich verschärfen, das der Leidende in eine Endlos-Spirale aus Verlogenheit, Verrat und weiterer Schuld gerät.
Fazit: Ich rate ab dieses Buch zu kaufen. Es ist hoch manipulativ, verräterisch, bietet für das ehemalige kindliche Opfer keinerlei seriöse, fundierte Informationen. Der Titel „Heilung des Inneren Kindes“ ist heuchlerisch, die Anleitungen indoktrinierend und voll gesaugt mit Schwarzer Pädagogik. Schon das Buchcover lässt einen erraten, wohin die Reise der „kreativen Selbsthilfe“ führt: in die Irre. Ich empfehle jedem offenen und zugänglichen Leser als Alternative, die wissenschaftlich fundierten Forschungen der Autorin Alice Miller, besonders die letzten Publikationen, zu lesen.
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