Rede des Vorsitzenden der SPD, Sigmar Gabriel, zur Verabschiedung von Franz Müntefering
Rede des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands
Sigmar Gabriel
zur Verabschiedung von Franz Müntefering auf dem SPD-Bundesparteitag der SPD
am 14. November 2009 in Dresden
Liebe Genossinnen und Genossen, ihr habt einen neuen Parteivorstand gewählt. Vielen Dank.
Zuerst danke ich denen, die kandidiert haben, aber nicht gewählt worden sind. Ich finde, wir sollten stolz darauf sein, dass wir mehr Leute haben, die wollen und es auch können, als wir Plätze im Parteivorstand haben. Vielen Dank an die, die nicht gewählt worden sind.
Vor allen Dingen, liebe Genossinnen und Genossen, sage ich natürlich herzlichen Dank an die, die kandidiert haben, aber auch an die, die jetzt aus dem Parteivorstand ausscheiden. Ich glaube, es ist eine gute Tradition, dass wir uns auf dem Parteitag – auch in Anwesenheit möglichst aller Delegierten – bei denjenigen bedanken, die in den letzten Jahren die SPD in nicht ganz einfachen Zeiten geführt und versucht haben, die Partei auf eine sichere Bahn zu bekommen – und das zum Teil seit vielen Jahren.
Zuallererst, liebe Genossinnen und Genossen, lasst uns dem ein herzliches Dankeschön sagen, dem wir, dem die deutsche Sozialdemokratie, unglaublich viel zu verdanken haben. Franz Müntefering, vielen herzlichen Dank für deine Arbeit.
Liebe Genossinnen und Genossen, ein wirklich großer Sozialdemokrat verlässt die Brücke, das Steuer, aber natürlich nicht unser Schiff. Franz, du hast seit Jahrzehnten und seit 1995 an vorderster Linie der Partei für die Sozialdemokratie und für das Land, für Deutschland, viel getan und erreicht.
Es gibt – jedenfalls ist das mein Eindruck – drei Wahlsprüche, die dich in deiner politischen Laufbahn geleitet haben:
Der Erste, den du selber oft zitiert hast, stammt von einem alten, verdienten Genossen; du hast ihn übernommen. Er lautet: Man muss das Leben nehmen, wie es ist, aber man darf es nicht so lassen.
Der Wille zum Handeln und zum Verändern ? das immer verbunden ist mit viel Arbeit und natürlich auch mit Ärger ? spricht daraus.
Der zweite Wahlspruch ? angelehnt an Albert Camus lautet: Man muss sich Sisyphus als einen glücklichen Menschen vorstellen trotz der scheinbaren Vergeblichkeit des Versuchs, den Stein den Berg hinaufzurollen die Freude und Gelassenheit bei alldem nicht zu verlieren.
Das dritte Motto, glaube ich, fällt uns allen am ehesten ein, wenn wir über dich nachdenken oder sprechen: Schlage die Trommel, und fürchte dich nicht. ? Ein mutiger Trommler – ich glaube, das bist du und das bleibst du, lieber Franz. Vielen Dank dafür! Das können wir von dir lernen.
Du hast einen langen Weg in und mit der SPD hinter dir: Stadtratsmitglied in Sundern ? gestern habe ich deinen Ortsverein kennenlernen können , Landtagsabgeordneter im Nordrhein-Westfälischen Landtag, Minister in NRW, Bundesgeschäftsführer, Generalsekretär, Vorsitzender der deutschen Sozialdemokratie. Immer ging es dir darum, deine SPD nach vorne zu bringen und zu stärken.
Damals schrieb mal ein Journalist über dich, über den neuen Bundesgeschäftsführer: Franz Müntefering handelt, während andere noch nicht diskutieren. – Ich glaube, Genossinnen und Genossen, dass man beides machen muss, aber man muss, glaube ich, auch gelegentlich aufpassen, dass wir nicht nur sammeln, sondern ? das, was er uns empfiehlt ? immer beides machen: Führen und Sammeln.
Den Wahlkampf 1998 hast du mit einer modernen und hoch professionellen Kampagne geführt. Ich habe gestern an das Motto, das unser Motto bleibt und für uns richtig ist Innovation und Gerechtigkeit erinnert. 1999 wurde eigens für dich das Amt des Generalsekretärs erfunden. Und hier hattest du mal wieder Gelegenheit, klarzumachen, wie du zur Partei stehst. Von dir stammt der Satz: Ich bin Generalsekretär der Partei, nicht des Vorsitzenden. ? Ich vermute, das hast du mit Andrea Nahles gemein.
Du hast dich früh darum gekümmert, dass junge Leute angesprochen wurden. Denn die SPD hat schon länger das Problem eines nicht gesunden Altersdurchschnitts. Du warst mutig: Die Führung der Partei hast du gleich zweimal übernommen, obwohl Päpste eigentlich nicht wiederkommen. Und es waren nie verlockende Zustände, in denen sich die SPD gerade befand.
2004 gab es die Auseinandersetzung um die Agenda 2010. Du hast ihr nach langer Prüfung ? du hast es dir wahrlich nicht leicht gemacht ? zugestimmt und sie mit durchgesetzt. Aber du hast auch zugegeben, dass du deine Meinung erst nach einem langen Prozess geändert hattest. In vielen Dialogveranstaltungen hast du damals erklärt, warum du der festen Überzeugung bist, dass die Reformpolitik notwendig war. Du sahst es als deine Aufgabe an, unseren Bundeskanzler, Gerhard Schröder, zu stützen – mit
großem Erfolg. Ohne dich wäre die Kanzlerschaft früher zu Ende gegangen. Ich vermute, Genossinnen und Genossen auch wenn wir uns manchmal mit mancherlei Führungs- und Politikfragen gequält haben , dass es nicht lange dauern wird, bis wir uns die Querelen einer Regierungspartei zurückwünschen.
Das ist angenehmer, als wenn man sich weniger quält, aber nichts durchsetzen kann. Die SPD muss an der Regierung orientiert bleiben. Das ist dein Vermächtnis, Franz. Ich glaube, das werden wir nicht vergessen.
Aus Anlass des 40. Jahrestages der Regierungserklärung „Mehr Demokratie wagen“ hast du Willy Brandt einen Pfadfinder genannt. Du bist selber ein Pfadfinder, jemand, der losgeht und nach Wegen sucht. So ein Pfadfinder ? das wissen wir lockt, bittet, überzeugt. Allerdings nötigt er manchmal Leute auch, mitzukommen. Franz kann überzeugen und Menschen mitnehmen. Ich glaube, du bist das, was Johannes Rau einen „Menschenfischer“ genannt hat.
Manchmal wird gesagt, du seiest zu autoritär. Ich habe dich nicht so empfunden. Ich habe dich als jemanden empfunden, der eher die Leinen lose lässt, der aber weiß, dass es notwendig ist, sich abzustimmen. Ich glaube, das ist nicht autoritär. Sich abzustimmen, ist notwendig, liebe Genossinnen und Genossen. Auch das, glaube ich, ist etwas, das wir nicht vergessen dürfen.
Deine zentrale Sorge in der letzten Zeit betraf Folgendes ? das hörte ich immer, wenn ich dich habe reden hören : Die Demokratie in Deutschland ist erfolgreich, aber sie ist erfolgreich, weil sie mit wachsendem wirtschaftlichen und sozialen Wohlstand verbunden war. Was, so deine Frage, wird wohl passieren, wenn das Menschen nicht mehr so erleben wie in den letzten 60 Jahren? Und viele erleben es ja schon nicht mehr so. Du willst dich nicht damit abfinden, dass ein Drittel unserer Bevölkerung nichts mehr vom demokratischen Staat wissen will. Du hast dir Sorgen um die Demokratie gemacht. Auch das ist ein Satz, der uns in Erinnerung bleiben muss: Demokratie muss mehr sein als Zuschauerdemokratie, liebe Genossinnen und Genossen.
Wenn von der SPD und ihrem Vorsitzenden die Rede ist, dann kommt oft der Satz ? ich erinnere das auch bei Gerhard Schröder : Du hast es uns nicht immer leicht gemacht, wir dir aber auch nicht. Aber so ist das: Tennisspieler in der Partei kannst du eben nicht leiden, die hast du über kurz oder lang zu Fußballspielern gemacht ? meistens jedenfalls.
Franz ist authentisch – ich glaube, auch gelassen. Man spürt, dass du immer im Einklang mit dir selbst bist. Ich glaube, dass man das von dir lernen kann. Du bist auch ein Kärrner im Wehnerschen Sinn. Franz ist ein alter, aber eben auch junger und moderner Sozialdemokrat, der weiß, dass es am Ende bei uns um Werte geht, die uns zukunftsfähig machen, die uns traditionell zum Erfolg verholfen haben, aber auch um Werte, die heute umso notwendiger sind, von Freiheit und Solidarität, von Freiheit und Gerechtigkeit.
Du hasst Stillstand und bist auch selbst immer in Bewegung. Wir alle haben dich übrigens auch zutiefst bewundert, als du trotz deines innerlichen Engagements, trotz der Sorge um die Partei und trotz der Tatsache, dass du wusstest, dass viel zu tun bleibt, dich am Ende auch selber verantwortlich gefühlt hast für einen Menschen, der dir über viele Jahre ganz nahe war – Ankepetra. Ich glaube, dass das etwas ist, was nicht nur uns in Erinnerung bleibt: Verantwortung nicht nur für die Gesellschaft zu predigen, sondern sie auch selber für den Nächsten und den Allernächsten zu übernehmen, wenn es notwendig ist.
Ich finde, du bist ein großes Vorbild an Mitmenschlichkeit. Du bist allerdings auch ein Solitär in einer redseligen Zeit. Es ist klar, du kannst Geheimnisse für dich behalten. Ich bin immer an deinem Gesicht verzweifelt, weil ich versucht habe, herauszufinden: Was denkt der Kern jetzt eigentlich? ? So wie eben, als es dir dann doch nicht gelungen ist, dein Gesicht unter Kontrolle zu behalten. Dann wusste man, wenn du denkst: Mein Gott, was redet der da?
Aber ich glaube, die Regierungsfähigkeit, deine Mitmenschlichkeit, dein Wille zum Handeln, zum Führen – das alles bleibt in der Partei erhalten. Du willst eben, dass die Partei keine Selbsterfahrungsgruppe ist, auch dann nicht, wenn ihr das schwerfällt. Du willst, dass es eine Partei ist, die sich verändert, aber auch eine, die die Welt zum Besseren verändert.
Liebe Genossinnen und Genossen, Franz bleibt der Sozialdemokratie erhalten. Er hat vor Kurzem gesagt: für immer. Ich finde, wir sollten ihn beim Wort nehmen.
Ich glaube, Menschen wie du, wie Hans-Jochen Vogel, wie Erhard Eppler, wie Helmut Schmidt, die auch dann, wenn sie die Führung der Partei verlassen, ihr solidarisch, mit Rat und Tat und nicht mit billiger Polemik zur Seite stehen, das sind Sozialdemokraten, die der Partei und allen, die nach uns kommen, in Erinnerung bleiben werden, mehr als andere.
Noch einmal: Wir haben dir viel zu verdanken. Du hast die SPD so genommen, wie sie ist, aber du hast sie nicht so gelassen. Liebe Genossinnen und Genossen, lasst uns noch einmal einem großen Sozialdemokraten herzlich applaudieren. Vielen Dank, Franz Müntefering!
Jetzt musst du noch einmal nach vorne kommen.
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