Verdoppelung der Hartz IV-Klagen droht – Deutscher Sozialgerichtstag warnt vor Auflösung der ARGEn

Mit großem Unmut bis hin zu blankem Entsetzen reagierten mehr als 130 SGB II-Experten auf einen Bericht über die aktuelle Arbeit des Bundesministeriums für Arbeit und Soziales (BMAS) anläss-lich eines Workshops des Deutschen Sozialgerichtstags am Dienstag dieser Woche. „Das Gute ist: Uns geht die Arbeit nicht aus!“ so die sarkastische Bemerkung eines Teilnehmers, mit der er die Stimmung der Sozialrichter, Anwälte, Verbands- und Trägervertreter zusammenfasste. Zuvor hatte Heiko Siebel-Huffmann für das BMAS berichtet, dort werde mit hohem zeitlichen Druck eine Änderung des SGB II vorbereitet. Ziel sei es, die Aufgabenbereiche der Bundesagentur für Arbeit und der Kommunen bei Hartz IV so zu entflechten, dass Ende nächsten Jahres eine getrennte Aufgaben-wahrnehmung möglich werde.:

„Eine getrennte Aufgabenwahrnehmung bedeutet, dass zukünftig jeder Leistungsempfänger für den selben Zeitraum zwei Bescheide erhält, einen Bescheid über die Regelleistungen von der Bundesagen-tur und einen Bescheid über die Kosten der Unterkunft und Heizung von der Kommune,“ erläuterte Monika Paulat, Präsidentin des Deutschen Sozialgerichtstags, gegenüber der Presse. „Dies bedeutet aber auch,“ so Monika Paulat weiter, „dass für jeden Leistungsempfänger zwei verschiedene Akten geführt werden, er bei zwei Stellen Anträge und Unterlagen einreichen muss und für ihn mindestens zwei verschiedene Sachbearbeiter zuständig sind, die sich nicht ohne weiteres miteinander abstimmen können. Zudem muss der Leistungsempfänger im Streitfall zwei verschiedene Klagen erheben. Für die Sozialgerichte rechnen wir daher annähernd mit einer Verdoppelung der Verfahren und dies obwohl die Gerichte trotz erheblicher Personalaufstockung bereits jetzt permanent überlastet sind. Der Deutsche Sozialgerichtstag appelliert daher an die Regierungen im Bund und in den Ländern, alles dafür zu tun, dass es bei der Betreuung eines Leistungsempfängers durch eine einzige Stelle bleibt.“

Hintergrund der Arbeiten des BMAS ist ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom Dezember 2007. Darin hatte das Gericht die Arbeitsgemeinschaften (ARGEn), in denen die Bundesagentur für Arbeit und die Kommunen Grundsicherungsaufgaben bisher gemeinsam wahrnehmen, in der derzeiti-gen Form für verfassungswidrig erklärt. Gleichzeitig hatte es den Gesetzgeber aufgefordert, bis Ende 2010 eine Neuregelung zu schaffen. Seither hat es weitgehend unbemerkt von der Öffentlichkeit zahlreiche Verhandlungen zwischen Bund und Ländern sowie kontroverse Diskussionen zwischen aber auch innerhalb von Parteien und Fraktionen gegeben. Favorisiert wurden eine Grundgesetzände-rung, durch die die Arbeit der ARGEn über das Jahr 2010 hinaus gesichert werden sollte oder eine vollständige Aufgabenübertragung auf die Länder und Kommunen. Demgegenüber haben sich CDU/CSU und FDP bereits in der Koalitionsvereinbarung gegen eine Grundgesetzänderung und damit für die Abschaffung der ARGEn ausgesprochen. Zwar wird mit der Koalitionsvereinbarung eine vertragliche Zusammenarbeit der Bundesagentur und der einzelnen kommunalen Träger angestrebt, doch kann nach Meinung vieler Fachleute eine den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts entsprechende gemeinsame Aufgabenwahrnehmung so nicht erreicht werden.

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HINTERGRUND:
Der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. ist ein interdisziplinärer Fachverband. Er beteiligt sich auf allen Gebieten des Sozialrechts an der rechtspolitischen Debatte. Zu diesem Zweck veranstaltet er alle zwei Jahre einen öffentlichen Kongress, den „Deutschen Sozialgerichtstag“. Zwischen den Sozialgerichts-tagen verfolgt er sein Ziel durch die Veranstaltung von Workshops und die Begleitung an Gesetzge-bungsverfahren. Er wirkt als Sachverständiger bei Anhörungen des Deutschen Bundestags und in Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht mit. Der Deutsche Sozialgerichtstag e.V. ist keine berufsständische Vertretung, sondern ein Forum für alle, die dem Sozialrecht beruflich verbunden sind.

Die Präsidentin des Deutschen Sozialgerichtstag e.V. Monika Paulat ist Präsidentin des Landes-sozialgerichts Berlin-Brandenburg.

Heiko Siebel-Huffmann ist Referent für Leistungsfragen der Grundsicherung für Arbeitssuchende im Bundesministerium für Arbeit und Soziales