100 Jahre Adoptionsvermittlung: Frauen, die ihr Kind zur Adoption frei geben, sind keine Rabenmütter
Stuttgart, 28. August – War es richtig, mein Kind zur Adoption frei zu geben? Hätte ich es doch schaffen können, das Kind alleine groß zu ziehen – solche Fragen bewegen die meisten Mütter, die ihr Kind nach der Geburt zur Adoption frei gegeben haben. Meist müssen sie alleine mit ihrer Entscheidung zurechtkommen. Damit eine Adoption jedoch für das Kind, die leibliche Mutter und die Adoptivfamilie gut geht, beraten und begleiten die Caritas-Mitarbeiterinnen Elisabeth Renz und Sigrid Zwergal alle an der Adoption Beteiligten. Sie sind die Gesichter der Adoptionsberatung und -vermittlung der Caritas Rottenburg-Stuttgart, die in diesem Jahr 100 Jahre alt wird.
Auch Paare, die ein Kind adoptieren wollen, schätzen die umfassende Beratung und Begleitung. So Heike und Michael Baier (alle Namen geändert). Sie sind Anfang 2017 Eltern geworden und nennen es „Glück“, nun eine Tochter zu haben. Achtmal hatten sie versucht, über eine künstliche Befruchtung ein Kind zu bekommen. Sie zogen eine Adoption in Erwägung, wurden beim örtlich zuständigen Jugendamt aufgrund ihres Alters aber nicht als Bewerber aufgenommen. Bei der Adoptionsvermittlungsstelle der Caritas Rottenburg-Stuttgart fühlten sie sich schließlich angenommen. „Hier wurde uns unsere Hoffnung auf ein Kind nicht genommen“, so Heike Baier.
In den vergangenen 100 Jahren haben sich vor allem die Voraussetzungen verändert, warum ein Kind adoptiert wird. Als 1918 die Adoptionsstelle in der Diözese Rottenburg-Stuttgart geschaffen wurde, standen fast sechs Jahrzehnte lang die Wünsche der Adoptivfamilien im Mittelpunkt. Vielfach wurden für kinderlose Erwachsene Kinder gesucht. Sie nahmen beispielsweise Kinder auf, die durch die Weltkriege zu Waisen geworden und wirtschaftlich nicht versorgt waren. Auch für Mütter, die ein nichteheliches Kind zur Welt brachten, war die Adoption häufig der letzte Ausweg. Für sie war es oft unmöglich, ihr Kind alleine groß zu ziehen und zu versorgen. Die Kinder galten als „Schandfleck“. „Mütter und Kinder wurden sozial geächtet und hatten keinerlei materielle Absicherung“, so Renz.
1977 kam mit es zu einem gravierenden Paradigmenwechsel: Das „Wohl des Kindes“ wurde als oberste Leitlinie jeder Adoption gesetzlich verankert. Heute werden Eltern für Kinder gesucht und nicht umgekehrt. Ziel ist, dass das Kind in der Adoptivfamilie Geborgenheit und Zuwendung erhält und sich in seiner Persönlichkeit stabil entwickeln kann. Aus Sicht der Caritas Rottenburg-Stuttgart kann eine Adoption auch für leibliche Eltern die Möglichkeit und Chance bieten, ihr Kind in einer Familie emotional, sozial und rechtlich zu beheimaten.
„Frauen, die ihr Kind zur Adoption frei geben, werden aber auch heute noch häufig als Rabenmütter angesehen. Da hat sich in den letzten 100 Jahren gesellschaftlich noch zu wenig getan“, so Renz. Deshalb verheimlichten viele Frauen auch heutzutage die Adoption in ihrem Umfeld. „Wir Adoptionsberaterinnen sind oft die einzigen Menschen, denen sie sich anvertrauen und mit denen sie offen über die Adoption reden können.“ Zwergal und Renz sehen vor allem auch die Chancen, die eine Adoption bietet: Als eine neue Form, Familie zu werden. „Bei der Vielfalt an Familienformen ist es eine Möglichkeit, gemeinsame Lebenswege zu gehen.“
Für die Caritas-Adoptionsvermittlungsstelle steht die Beratung und Begleitung aller betroffener Personen im Vordergrund. Entsprechend finden schwangere Mütter hier auch emotionale und stärkende Unterstützung bei ihrer Entscheidungsfindung. „Wir schauen, ob die Adoption der richtige Weg ist oder ob es für die Mutter auch eine gute Möglichkeit gibt, mit dem Kind zu leben“, so Zwergal. Der Blick liegt auf dem Wohl des Kindes: Wo findet es seinen richtigen Platz. Es soll sich angenommen und sicher fühlen. Kommt es zur Adoption, bleiben die Beraterinnen mit allen Beteiligten auch nach der Adoption im Dialog – mit den adoptierten Kindern, leiblichen Eltern und den Adoptiveltern. „Durch unsere Begleitung versuchen wir Rahmenbedingungen zu schaffen, die ein Gelingen der Adoption für alle Beteiligten unterstützt“, so Zwergal.
Lesen Sie, welchen Weg Heike und Michael Baier gegangen sind, um ihre Tochter Lea zu adoptieren: https://www.caritas-rottenburg-stuttgart.de/hilfe-finden/hilfefelder/adoptionsvermittlung/aktuelles
Weitere Informationen unter https://www.caritas-rottenburg-stuttgart.de/hilfe-finden/hilfefelder/adoptionsvermittlung/
Für weitere Fragen stehen Ihnen Elisabeth Renz und Sigrid Zwergal zur Verfügung. Sie sind auch Ansprechpartnerinnen, sollten Sie Interesse am Kontakt mit Adoptierten, Adoptiveltern oder leibliche Eltern haben.
Die Adoptionsberatungs- und vermittlungsstelle der Caritas ist eine nach dem Adoptionsvermittlungsgesetz anerkannte Vermittlungsstelle und für den gesamten Bereich der Diözese Rottenburg-Stuttgart zuständig. Mit einem Umfang von 1,25 Stellen beraten zwei Beraterinnen Mütter, Väter und Paare, die sich aus einer schwierigen Lebenssituation heraus mit dem Gedanken auseinandersetzen, ein Kind zur Adoption frei zu geben. Sie informieren umfassend über alternative Hilfsangebote der Jugendhilfe. Außerdem beraten sie Paare, die ein Kind adoptieren möchten. Adoptierte begleiten sie bei der Auseinandersetzung mit ihrer spezifischen Lebensgeschichte und bei der Suche nach ihrer Herkunftsfamilie. Die Anzahl der beratenen Personen schwankte in den vergangenen fünf Jahren zwischen 120 und 150 pro Jahr. 27 Kinder wurden in diesem Zeitraum in eine Adoptionsfamilie vermittelt.
Der Caritasverband Rottenburg-Stuttgart e.V. ist der Wohlfahrtsverband der katholischen Kirche in der Diözese Rottenburg-Stuttgart und feiert in diesem Jahr sein 100-jähriges Bestehen. Als Spitzenverband der Freien Wohlfahrtspflege in Baden-Württemberg engagiert er sich politisch für die Interessen von armen, benachteiligten und hilfebedürftigen Menschen und tritt gegen deren Ausgrenzung ein. Regional und landesweit vertritt er die Interessen von 1.740 katholischen Einrichtungen und Diensten in wichtigen Fragen pflegerischer und sozialer Arbeit. Insgesamt arbeiten unter seinem Dach 33.000 hauptamtliche und genauso viele ehrenamtliche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. In neun Caritasregionen bietet der Caritasverband soziale Dienstleistungen für Kinder, Jugendliche und Familien, alte und pflegebedürftige Menschen, Menschen mit Behinderung, Arbeitslose, Wohnungslose, Menschen mit Fluchterfahrung oder mit einer Suchterkrankung an.
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