Der 11. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg hat mit Beschluss vom 08. Februar 2012 nochmals betont, dass eine baurechtliche Nachbarklage nur dann Aussicht auf Erfolg hat, wenn die subjektive Rechtsverletzung konkret gegeben ist. Der Senat hat sehr deutlich gemacht, welche Anforderungen an eine solche Klage gestellt werden, was für alle Seiten Rechtssicherheit verschafft. ilex erklärt die Hintergründe.
1. Die Entscheidung
Gegenstand der Entscheidung ist ein Bauvorhaben. Hierfür erteilte die zuständige Bauaufsichtsbehörde, der Landkreis Potsdam-Mittelmark, dem Bauherren die erforderliche Baugenehmigung. Ein Nachbar sah das Bauvorhaben sehr kritisch. Er fürchtete, dass die Bauarbeiten das Wurzelwerk einer auf dem Grundstück befindlichen Douglasie, die auch unter dem Schutz der örtlichen Baumschutzsatzung steht, weiter beschädigen. Er ging davon aus, dass hierdurch eine Umsturzgefahr hervorgerufen werden, die seine Familie und ihn bedrohe.
Daher richtete er einen Eil-Antrag an das zuständige Verwaltungsgericht und verlangte, dass der örtlich zuständigen Stadtverwaltung aufgegeben werden, gegen den Bauherren einen Baustopp zu verhängen und stützte seinen Anordnungsanspruch auf § 13 Ordnungsbehördengesetz Brandenburg. Das Verwaltungsgericht wies den Antrag zurück und begründete dies im Wesentlichen damit, dass das Baumschutzrecht nur öffentlichen Interesse diene und er daher keine subjektive Rechtsverletzung geltend mache.
Die hiergegen gerichtete Beschwerde wies der 11. Senat des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg zurück. Der Senat erkannte zwar an, dass mit dem Vortrag, die Familie des Antragsstellers und der Antragssteller selbst seien gefährdet, durchaus die Geltendmachung einer subjektiven Rechtsverletzung verbunden sei. Gleichwohl war der Beschluss zurückzuweisen, „weil weder dargelegt noch ersichtlich ist, dass und welche weiteren, über die von den Beigeladenen ohnehin bereits veranlassten Maßnahmen (Beauftragung des S. mit Schutzmaßnahmen und anschließender baubegleitender Kontrolle der Einhaltung des Wurzelschutzes, Absperrung des Wurzelbereichs für Fahrzeuge und Einholung einer Zusicherung der Montagefirma zur Beachtung der gebotenen Vorsicht hinsichtlich des Baumes) zur vorläufigen Sicherung des Baumes gegen Beschädigungen durch die noch ausstehenden Bauarbeiten im Rahmen des hiesigen Verfahrens überhaupt noch möglich und erforderlich sein könnten.“
Im Rahmen eines vorgezogenen obiter dictum wies der Senat noch darauf hin, dass als Anspruchsgrundlage wohl eher die Brandenburgische Bauordnung als das Allgemeine Ordnungsrecht in Betracht komme. Diese Rechtsfrage konnte allerdings offen bleiben, da es an der subjektiven Rechtsverletzung fehlte.
2. Rückschlüsse für unsichere Bauherren
Bauherren gehen stets ein gewisses Risiko ein, wenn Sie ein Bauvorhaben umsetzen bevor eine Baugenehmigung gegenüber jedermann bestandskräftig wird, so dies in der nachbarrechtlichen Konstellation überhaupt möglich ist. Vor diesem Hintergrund muss das Risiko, dass der Nachbar die Baugenehmigung bzw. die Baumaßnahmen angreift auf solche Fälle beschränkt werden, in denen eine Verletzung der Rechte des Nachbarn ersichtlich ist.
Bauherren größerer Vorhaben (etwa Investoren) ist daher dringend zu raten, die Nachbarschaft in die Entscheidungsprozesse derart einzubinden, dass kein Ärger droht. Letzteres lässt sich aber niemals mit 100%iger Gewissheit ausschließen.
3. Rückschlüsse für Nachbarn
Nachbarn, die den Bauvorhaben ihrer Nachbarn kritisch gegenüberstehen, ist angesichts dieser Entscheidung zu raten, frühzeitig tätig zu werden. Der Rechtsweg bei einer baurechtlichen Nachbarklage bzw. einem Nachbareilantrag ist mit vielen Ungewissheiten verbunden, insbesondere mit der Frage, ob eine subjektive Rechtsverletzung darstellbar ist.
Zur Erklärung: Eine baurechtliche Nachbarklage bzw. ein baurechtlicher Nachbarantrag ist nur dann zulässig, wenn der Nachbar eine Verletzung seiner subjektiven Rechte und nicht etwa diejenigen der Allgemeinen geltend macht. Dies soll sog. Popularklagen ausschließen. Die Klage bzw. der Eilantrag ist dann auch nur begründet, wenn das subjektive Recht auch wirklich verletzt ist. Trotz des Amtsermittlungsgrundsatzes vor dem Verwaltungsgericht, sind die Erfolgschancen eines solchen Vorgehens klar davon abhängig, wie man den Fall dem Gericht präsentiert.
4. Fazit
Das Spektrum denkbarer Nachbarstreitigkeiten ist groß und reicht von Auseinandersetzungen zwischen zwei Einfamilienhauseigentümern über Streitigkeiten zwischen besorgen Bürgern und Industrieunternehmen bis hin zum Streit zwischen zwei gewerblichen Großbauherren. Entscheidend ist, dass alle Streitigkeiten mehr oder weniger am gleichen Recht gemessen werden. Es ist daher wichtig, derartige Streitigkeit vorauszusehen und entsprechend gegenzusteuern. Einen Prozess kann man immer noch führen; manchmal wird dies auch nicht zu vermeiden sein.
Dr. Stephan Gärtner
Rechtsanwalt