(ddp direct) Der Fahrgastverband PRO BAHN warnt die Landesregierungen in Deutschland ausdrücklich vor der Einführung neuer Diskriminierungen für Behinderte bei der Fahrt im öffentlichen Nahverkehr. Die Stuttgarter Landesregierung will die unentgeltliche Beförderung Behinderter einschränken, um Geld zu sparen. Dass diese Sparmöglichkeiten geprüft werden, hat Staatssekretär Hilllebrand (CDU) aus dem Stuttgarter Sozialministerium bestätigt.
Der Fahrgastverband PRO BAHN hat bereits im Jahr 2004 mit Erfolg die damaligen Sparpläne der rot-grünen Bundesregierung zu Fall gebracht. Nach diesen Plänen sollten Behinderte den näheren Umkreis ihres Wohnorts nur noch nach Kauf einer Fahrkarte verlassen dürfen, „Nicht einmal die Behindertenverbände hatten begriffen, dass der Kauf einer Fahrkarte am Automaten für viele Behinderte die einschneidendste Barriere bei der Benutzung des öffentlichen Verkehrs ist,“ erklärt der Rechtsexperte des Verbraucherverbandes PRO BAHN, Rainer Engel. „Nach dem Willen der Regierung sollten Blinde künftig Touchscreen-Automaten bedienen, Sehbehinderte mit der Lupe Automatenbildschirme lesen und geistig Behinderte Tarifinformationen verstehen. Gerade diese Behinderten sind auf den öffentlichen Verkehr existenziell angewiesen, weil sie auch außerhalb ihres Heimatortes ohne fremde Hilfe bewegen können. Behindertengerechte Automaten, die den unterschiedlichen Einschränkungen der Behinderten gerecht werden, sind noch nicht erfunden.“
In Regionalzügen, S-Bahnen, U-Bahnen, Stadt- und Straßenbahnen und vielen Bussen werden heute keine Fahrkarten mehr durch Personal verkauft. „Gerade diese Verkehrsmittel sind in den letzten Jahren vielfach barrierefrei gemacht worden und haben sich zu einem echten Nachteilsausgleich für Behinderte entwickelt. Dadurch sind auch die Ausgleichsleistungen angestiegen,“ erläutert Engel. „Jetzt wird der Stuttgarter Landesregierung der Nachteilsausgleich offenbar zu teuer. Durch die Einsparung von Schaffnern und Zugbegleitern werden aber weit aus höhere Beträge eingespart als durch die Freifahrt für Behinderte, die Automaten nicht bedienen können.“
Hintergrund der Initiative ist die Absicht, langfristig jährlich einige Millionen Euro einzusparen. „Für uns ist der Zusammenhang zwischen den Sparplänen und dem umstrittenen Tunnelbahnhof-Projekt „Stuttgart 21″ unverkennbar,“ erklärt Engel. „Weil die Landesregierung sich verpflichtet, für das Vergraben des Stuttgarter Hauptbahnhofs mehrere Milliarden Euro auszugeben, sollen Schwerbehinderte künftig zuhause bleiben. Das heißt im Klartext: die Benachteiligten dieser Gesellschaft sollen Stuttgarter Prestigeprojekte bezahlen-.“
„Die abwiegelnden Erklärungen aus Stuttgart, dass lediglich eine Einschränkung geprüft werden solle, zeugen von grundlegender Unkenntnis der wirklichen Probleme der Behinderten. Wer am Automaten keinen Fahrschein lösen kann, weil er behindert ist, wird als Schwarzfahrer verfolgt. Eine schlimmere Diskriminierung können wir uns nicht vorstellen,“ so Engel. „Von fehlender Sachkenntnis zeugt es auch, wenn man im Sozialministerium glaubt, mit einer „passgenauen Gestaltung“ der Behindertenfreifahrt können man nennenswerte Summen einsparen,“ so Engel.
Zurzeit können Behinderte, die von der Freifahrt nach dem Sozialgesetzbuch des Bundes Gebrauch machen, bundesweit städtische Verkehrsmittel, S-Bahnen und nichtbundeseigene Eisenbahnen benutzen, in Verkehrsverbünden auch Regionalzüge der Deutschen Bahn. Die meisten Behinderten müssen dafür einen pauschalen Eigenanteil bezahlen. Dafür wendet die Landesregierung Baden-Württemberg jährlich 30 Millionen Euro auf. Im Fernverkehr können Behinderte Fahrkarten ohne Aufschlag im Zug bei den Zugbegleitern kaufen.
Der Fahrgastverband PRO BAHN ist ein unabhängiger und gemeinnütziger Verbraucherverband im Verbraucherzentrale-Bundesverband und vertritt die Interessen der Fahrgäste des öffentlichen Fern- und Nahverkehrs.
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