Beschluss des SPD-Parteivorstandes und der SPD-Bundestagsfraktion zum Thema „Die gegenwärtige Finanzkrise zur dauerhaften Stabilisierung und Regulierung der Finanzmärkte nutzen

(BSOZD.com-NEWS) Berlin. Eine bessere internationale Finanzarchitektur –
auch für die Menschen in unserem Land“ Der SPD-Parteivorstand hat in seiner Sitzung am 17. Oktober 2008 folgenden Beschluss gefasst:

I. Die soziale Marktwirtschaft ist das herausragende ökonomische Erfolgsmodell. Wirtschaftliche Stärke wird mit Wohlstand für breite Schichten und sozialer Sicherheit verbunden, ein nachhaltiges Wirtschaftswachstum gewährleistet Arbeitsplätze und sichert so die Teilhabe der Menschen an einem wesentlichen Bereich des gesellschaftlichen Lebens.

Marktwirtschaft erfordert Märkte. Sie sind notwendig, aber selbst keinen Werten verpflichtet und wandeln sich rasch. Daher braucht es politische, braucht es demokratische Gestaltung und Regulierung – durch den Staat. Im Zeitalter der Globalisierung gilt das mehr denn je. Dabei ist es weltweit komplizierter geworden, die Chancen von Märkten für Wohlstand und Entwicklung für alle zu fördern und ihre negativen Auswirkungen zu minimieren. Das gilt im Besonderen für die globalisierten Finanz- und Kapitalmärkte.

Doch spätestens jetzt ist klar, dass ökonomische Maßlosigkeit in die Krise führt. Die Spekulationen, die mit am US-amerikanischen Grundstücksmarkt ausgekehrten Krediten an Schuldner mit mangelhafter Bonität begannen, zeigen, welchen enormen ökonomischen Konsequenzen Gier und geschwundenes Vertrauen von international verflochtenen Finanzmarktteilnehmern plötzlich und unerwartet für Gesellschaften und Volkswirtschaften haben können.

Die amerikanische Hypothekenkrise war der Auslöser der Erschütterungen, die die Weltfinanzmärkte und auch wir in Deutschland zurzeit erfahren. Die Ursache liegt aber tiefer. An Bilanzen und Regeln vorbei wurden Akteure und Produkte geschaffen, die oft nicht mehr zu durchschauen waren und allein dem Ziel dienten, enorme Profite zu machen.
Risiken auf mehrere Schultern zu verteilen, ist an sich sinnvoll und gut. Aber nur, solange alle Träger davon wissen und das verantwortungsvoll tun. Doch schlechte Darlehensforderungen wurden verbrieft, mit guten vermengt, neugepackt, aufgehübscht und weiter verkauft, jahrelang mit erheblichem Profit. Viele machten einfach mit. Bei Bewertungen und Einschätzungen verließen sich viele einfach auf Rating-Agenturen und große Wirtschaftsberatungsfirmen – die meist mithalfen, die Produkte zu entwickeln, die sie dann bewerteten. Vor allem im angloamerikanischen Raum wurde geduldet, dass neben dem von Notenbanken und Aufsichtsbehörden überwachten Finanzmarkt ein rasant wachsender, intransparenter und in weiten Teilen unkontrollierter Markt entstand.

II.

Auch die Funktionsfähigkeit des deutschen Finanzsystems leidet unter den Auswirkungen der gegenwärtigen Finanzmarktkrise. Dies hat zum einen damit zu tun, dass verschiedene Akteure illiquide Aktiva (Assets) halten, für die kein Markt mehr besteht und damit kein Preis mehr festgestellt werden kann. Sie sind, sofern in Handelsbüchern geführt, aufgrund der geltenden Bilanzierungsvorschriften zu immer stärker verfallenden Werten in die Bilanz aufzunehmen und produzieren so enorme Buchverluste. Das zweite gravierende Problem ist, dass bewährte Refinanzierungsinstrumente ausfallen. So ist der Interbankenmarkt nachhaltig gestört, Banken leihen sich untereinander kaum mehr Geld. Auch andere Refinanzierungsinstrumente geraten zunehmend unter Druck. Die dadurch entstehenden Liquiditätsengpässe erlauben es Finanzinstituten nicht mehr, Risiken angemessen auszugleichen.

Ohne ein funktionierendes Finanzsystem ist der Zugang von Bürgerinnen und Bürgern, aber auch von kleinen und mittleren Unternehmen zu Krediten nachhaltig gestört. Die Bürger könnten in diesem Fall nicht mehr sicher und mit Gewinn sparen. Die gewohnte Zwischenfinanzierung von Arbeitslöhnen, Investitionen und anderen wichtigen Sicherheiten für Unternehmen sind nicht länger gewährleistet.

Misstrauen regiert überall, und die, die noch vor kurzem einen Rückzug des Staates und eine immer weitergehende Deregulierung der Märkte gefordert haben, reden nun einem starken Staat das Wort, der ausgleichen soll, was Manager angerichtet haben.

III.

Die SPD nimmt die Herausforderung an, in einer der gefährlichsten Finanzmarktkrisen der modernen Zeit Schaden von Deutschland abzuwenden. Sie übernimmt – wie stets, wenn es kritisch wird – Verantwortung für die Menschen in unserem Land. Zentrale Aufgabe ist, schnell für die Wiederherstellung des Vertrauens zu sorgen. Aktuell kann nur noch der Staat Vertrauen in die Finanzmärkte wieder herstellen. Er gewährleistet damit ein öffentliches Gut.

Mit dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz werden wir einen ersten Schritt aus der Krise tun. Deshalb brauchen wir dieses Gesetz. Der Finanzmarktstabilisierungsfonds wird zwar über die möglichen Maßnahmen der Garantien, der Rekapitalisierung sowie als letztes Mittel der Risikoübernahme Liquidität und Vertrauen im Markt zurückbringen. Zugleich werden aber Bedingungen für Stabilisierungsmaßnahmen aufgestellt.
Und wir wollen, dass Defizite, die nach Abwicklung des Fonds verbleiben sollten, nicht durch Steuergelder, sondern mit Hilfe geeigneter Maßnahmen durch die Finanzbranche selbst ausgeglichen werden müssen.

Denn es geht nicht um den Schutz der Banken oder der Manager, sondern um den Schutz der Bürgerinnen und Bürger.

Wir begrüßen ausdrücklich, dass dieses Maßnahmenpaket mit europäischen und internationalen Partnern abgestimmt ist und die Maßnahmen in den Rahmen passen, den die europäischen G8-Staats- und Regierungschefs, der EU-Finanzministerrat und die G7-Finanzminister- und Notenbankgouverneure im Oktober 2008 beschlossen haben.

Vor allem Bundesfinanzminister Peer Steinbrück schafft durch sein Krisenmanagement Vertrauen und Sicherheit für die Menschen in unserem Land. Er hat darin unsere volle Unterstützung, auch und gerade für die bereits von ihm im „Beitrag der Bundesregierung zu Vorschlägen auf internationaler und europäischer Ebene zur Vermeidung ähnlicher Finanzmarktkrisen in der Zukunft“ vorgelegten Punkte. Denn über ein erfolgreiches Krisenmanagement hinaus gilt es, Konsequenzen zu ziehen und für die Zukunft so vorzusorgen. Eine Krise dieses Ausmaßes darf sich nicht mehr ereignen.

So wird die gegenwärtige Krise auch negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung unseres Landes haben. Wie groß diese Auswirkungen sein werden, kann derzeit nicht seriös quantifiziert werden. Deswegen muss nach den Ergebnissen der Steuerschätzung und im Rahmen der Beratungen zum Bundeshaushalt 2009 geprüft werden, ob weitere staatliche Maßnahmen zur Unterstützung der Wirtschaft geboten sind. Dabei könnte es sich insbesondere um Maßnahmen zur Stabilisierung und Ausweitung von nachhaltigen Investitionen in Infrastruktur, Energieeinsparung und Bildung handeln.

In der festen Überzeugung, dass dem Finanzmarktstabilisierungsgesetz weitere Schritte folgen müssen, und in dem Bewusstsein, eine neue, bessere Finanzarchitektur in Deutschland und international mitgestalten zu wollen, fordern wir:

1. Die Rolle des IWF ist zu stärken. Bevor einzelne Staaten in den Bankrott zu gehen drohen, brauchen sie – vielleicht mehr denn je – internationale Solidarität. Die Staatengemeinschaft wird nur mit einer geschlossenen Kraftanstrengung in der Lage sein, die gegenwärtige Systemkrise der Finanzmärkte zu lösen, aber auch zu überwinden. Der IWF ist die richtige Organisation, um einen neuen gemeinsamen Weg zu gehen.

2. Die international existierenden Steueroasen und weitgehend regulierungs- und rechtsfreie Offshore-Finanzzentren müssen trocken gelegt werden. Vor allem Steuerhinterziehung ist entschlossen zu bekämpfen. Auch neue Wege sind dazu erforderlich. Bedauerlicherweise finden sich Steueroasen und „Parkplätze für schwarze Kassen“ auch immer noch in Europa. Daher muss Europa bei deren Bekämpfung auch vorangehen.

3. Wir fordern eine internationale Regulierung und Aufsicht von Rating-Agenturen, die verantwortliches Handeln sicherstellt. Der bestehende „Code of Conduct“ sollte nach einer Überarbeitung rechtsverbindlich werden. Da es bislang nur US-amerikanische Rating- Agenturen gibt, sollte zeitnah geprüft werden, wie durch Errichtung einer europäischen Rating- Agentur ein Gegengewicht geschaffen werden könnte. Rating-Agenturen haben künftig die grundlegende Systematik ihrer Bewertungsmaßstäbe offenzulegen. Es ist Sorge dafür zu tragen, dass beratende Tätigkeiten bei Kreditverbriefungen, – bündelungen sowie der Erstellung anderer Produkte nicht zusammen mit deren anschließender Bewertung durch Rating-Agenturen, erst recht nicht durch die gleiche Unternehmensgruppe, erfolgen dürfen. Das Beratungsgeschäft ist vom eigentlichen Rating-Geschäft zu trennen. Des Weiteren sind einheitliche Standards für Rating-Agenturen vorzusehen, die sorgfältige und pflichtgemäße Bewertungen und Risikoanalysen zu verbessern helfen.

4. Es darf künftig keinen unregulierten Marktbereiche und keine „Regulierungs- Arbitrage“ mehr geben. Dies ist durch verstärkte internationale Kodifizierung von Finanzmarktregulierungen, aber auch durch stärkere internationale Kooperation der Aufsichtsbehörden sicherzustellen. Zudem müssen internationale Vereinbarungen wie Basel II auch gelten und dazu in internationalem Gleichklang in geltendes Recht umgesetzt werden.

5. Es ist zu gewährleisten, dass Risiken nicht außerhalb von Bilanzen platziert werden dürfen. Dazu sind international einheitliche Bilanzierungsstandards zu schaffen, die insbesondere klare und einheitliche Bewertungsregeln mit jeweils adäquaten Wertansätzen enthalten. Möglichkeiten zur Vermeidung von Prozyklität sollten genutzt werden. Um Krisenverschärfungen wie gegenwärtig zu vermeiden, soll im Krisenfall klar reguliert und beaufsichtigt eine flexible, aber begrenzte Übertragung zwischen Handels- und Bankenbuch erfolgen dürfen.

6. Wir wollen neue Transparenzpflichten für Risiken und eine höhere Risikovorsorge bei den Kreditinstituten. Jeder Finanzmarktakteur muss künftig verpflichtet sein, im Falle eines Erwerbs von Finanzprodukten, insbesondere strukturierten Produkten, eine eigene, zu dokumentierende Risikoeinschätzung des jeweiligen Produkts zu treffen und hierfür Risikovorsorge zu treffen. Einschätzungen von Rating-Agenturen und anderen sind nur als Indiz zu berücksichtigen. Bei Veräußerungen von Risiken sind mindestens 20 Prozent in der eigenen Bilanz zu halten. Die Eigenkapitalunterlegung ist zu verstärken. Bankinternes Risikomanagement ist auszubauen.

7. Die stetige Integration der Finanzmärkte erfordert eine starke, effektive und effiziente Kontrollinstanz – national, europäisch, international. Eine starke und qualitativ gute Aufsicht liegt auch im Interesse der Finanzmarktakteure. Einheitliche nationale Aufsichtsbehörden sind zu errichten. Hier ist Deutschland auf einem guten Weg. Zudem müssen die Kompetenzen der nationalen Aufsichtsbehörden europäisch in einer engen Zusammenarbeit gebündelt werden. Dies meint nicht zwangsläufig die Gründung einer einheitlichen europäischen Aufsichtsbehörde. Gleiches gilt für die internationale Zusammenarbeit, die jedoch einem zentralen Koordinator wie z.B. dem Internationalen Währungsfonds unterstellt werden sollte.

8. Eine Zulassungspflicht für Finanzmarktprodukte und Finanzinstrumente ist zu prüfen, auch mit der Option, solche Produkte und Instrumente verbieten zu können, wenn sie mit zu hohen Risiken verbunden sind, die sich systemisch auswirken könnten. Leerverkäufe generell zu untersagen gehört auf diese Tagesordnung. Auf EU-Ebene, besser sogar im internationalen Bereich müssen künftig Anforderungen an riskante Finanzprodukte definiert und überwacht werden. Privatanleger müssen wirksamer als bisher vor hochriskanten Finanzprodukten geschützt werden. Im Fall einer falschen Beratung müssen sie ihre Ansprüche wirksamer durchsetzen können.

9. Kreditfinanzierungen über sog. leveraged buy-outs (LBO), wie sie vorwiegend von Hedge-Fonds und Private Equity-Gesellschaften durchgeführt werden, gehören stärker reguliert. Einheitliche europäische, besser internationale Mindeststandards bei Kontrolle und Aufsicht der Akteure bei ihrer Kreditaufnahme sind notwendig. Eigenkapitalanforderungen und der Einsatz von Eigenkapital bei LBOs sind wesentlich zu verschärfen. Dies kann auch über ein zeitweises Verbot fremdfinanzierter Sonderausschüttungen oder einer Begrenzung des LBO durch eine Mindestkapitalquote für einen bestimmten Zeitraum erfolgen.

10. Die Vergütung von Vorständen und Managern muss neuen Regelungen unterworfen werden. Die Bezahlung von Managern hat sich in den letzten Jahren von der Entwicklung der übrigen Gehälter abgekoppelt. Das hat nicht nur zu einem Gerechtigkeitsdefizit geführt, sondern auch zu falschen Vergütungsanreizen. Dies war für die jetzige Finanzmarktkrise mit ursächlich. Es ist Aufgabe der Aufsichtsräte, auf die Angemessenheit der Vorstandsgehälter zu achten. Dieser Verantwortung scheint man nicht immer gerecht geworden zu sein. Vergütungssysteme wie z.B. (Jahres-) Boni oder Tantiemen, die nur zu kurzfristigem Gewinn des Unternehmens motivieren, aber auch Aktienoptionen und andere kurzfristige Renditeinteressen begünstigende Vergütungselemente müssen stark eingeschränkt werden. Dazu soll das Kriterium der „Angemessenheit“ in § 87 Aktiengesetz konkretisiert werden. Eine auf den kurzfristigen Shareholder Value ausgerichtete Unternehmenspolitik wird nicht länger goutiert. Es ist eine ausdrückliche gesetzliche Regelung für die persönliche Haftung der Aufsichtsräte bei unangemessener Vergütungsfestsetzung zu schaffen, der Ausübungszeitraum bei Aktienoptionen ist von mindestens zwei auf mindestens drei Jahre oder mehr zu verlängern. Die Verantwortung für Vorstandsvergütungen ist dem Aufsichtsrat insgesamt zu übertragen und nicht einem Ausschuss vorzubehalten. Die Verpflichtung zur Offenlegung der individuellen Vorstandsvergütung ist zu konkretisieren, insbesondere im Hinblick auf Abfindungen und Ruhegelder. Die Möglichkeiten, bei einer schlechten Unternehmensentwicklung Managergehälter nachträglich zu begrenzen, sind deutlich zu verbessern.

11. Die Haftung der Vorstände und Aufsichtsräte (§§ 93, 116 AktG) ist heute bereits strikt geregelt. Sie haften gegenüber der Gesellschaft für leichtestes Verschulden ohne jede höhenmäßige Begrenzung mit ihrem gesamten Privatvermögen. Außerdem gilt eine Beweislastumkehr zu ihren Lasten. Es wurden bisher aber nur selten Schadensersatzsprüche geltend gemacht. Offenbar bedarf es vor allem eines grundlegenden Kulturwandels in den Unternehmensführungen. Insbesondere die Aufsichtsräte müssen künftig ihre Kontrollaufgaben im Sinne des Unternehmens als Ganzem und seiner Anteilseigner verantwortungsbewusster und mit größerem Nachdruck wahrnehmen und im Falle unzureichender Ergebnisse des Managements die gesetzlich möglichen Sanktionen auch durchsetzen. persönliche Haftung von Vorständen und Aufsichtsräten ist zu verschärfen.

12. Wir erwarten, dass in europäischer Abstimmung ein Weg gefunden wird, mögliche Verluste aus Rettungsmaßnahmen auf die gesamte Finanzbranche oder auf die Institute zu verteilen, die Leistungen des Finanzmarktstabilisierungsfonds in Anspruch genommen haben.

Sozialdemokratische Partei Deutschlands
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