Zum Beschuss des Bundesfinanzhof (BFH) vom 14.05.2013 (Aktenzeichen: X B 183/12)
Die Rechtsfrage, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzung oder Einschränkungen der sogenannte „Zeitreihenvergleich“ eine geeignete Methode zur Schätzung der Besteuerungsgrundlage darstellt, bedarf der höchstrichterlichen Klärung. Dies hat der BFH am 14.05.2013 beschlossen.
In der Rechtsprechung ist der Zeitreihenvergleich bisher nur als Schätzungsmethode in Fällen angewandt worden, in denen die Buchführung nach § 158 AO aus anderen Gründen nicht der Besteuerung zugrunde gelegt werden konnten. In zwei Entscheidungen des FG Düsseldorf deutet sich die Bereitschaft an, den Zeitreihenvergleich weitergehend einzusetzen. „Der Zeitreihenvergleich als Methode des inneren Betriebsvergleichs […] lässt kaum Raum für Zweifel daran, dass Erlöse und Wareneinsatz nicht zutreffend verbucht wurden“.
Dementgegen wird in der wissenschaftlichen Literatur teilweise die Auffassung vertreten, daß es sich beim Zeitreihenvergleich nur um eine Schätzungsmethode handelt und er nur bedingt geeignet ist, eine formell ordnungsgemäße Buchführung zu erschüttern. Andernorts findet sich die Meinung, daß der Steuerpflichtige selbst bei einer ordnungsgemäßen Buchführung einen Zeitreihenvergleich der Finanzbehörde widerlegen müsse und sich darauf schon während des laufenden Veranlagungszeitraums durch Zwischeninventuren, eigene Zeitreihenvergleiche oder gar simulierte Betriebsprüfungen vorbereiten solle.
Ebenso vertreten wird die Ansicht, daß die Möglichkeit bestehe, mit dem Zeitreihenvergleich die Vermutung des § 158 AO (daß eine formell ordnungsgemäße Buchführung grundsätzlich sachlich richtig und der Besteuerung zugrunde zu legen ist) zu entkräften. Nach dieser Ansicht kommt der Zeitreihenvergleich sowohl als Verprobungsmethode als auch als Schätzungsmethode in Betracht. Der Zeitreihenvergleich weist zwar kein exaktes Rechenergebnis aus, sondern „zunächst nur“ eine Schwankungsbreite von Perioden- Rohgewinnaufschlagsätzen. Jedoch ist wesentlich für das Verständnis des Zeitreihenvergleichs, dass Grund dieser Schwankungsbreiten gebuchte wirtschaftliche Sachverhalte sind, die auf ihre Plausibilität hin untersucht werden, nämlich Wareneinkäufe und Erlöse. Insoweit kann nach einer gründlichen Prüfung eine Betriebes die Feststellung getroffen werden, dass die im Hinblick auf die einzelnen Perioden extrem unterschiedlichen Rohgewinnaufschlagsätzen, die sich aus den gebuchten Wareneinkäufen und den gebuchten Erlösen ergeben, unter Berücksichtigung von festgestellten im wesentlichen gleich bleibenden Einkaufs- und Verkaufspreisen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht stimmen können. So können nach den Grundsätzen des Freibeweises Feststellungen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit getroffen werden. Nach dieser Ansicht kann der Zeitreihenvergleich grundsätzlich auch in einem Steuerstrafverfahrens angewandt werden.
Hintergrund des Beschlusses des Bundesfinanzhofs vom 14.05.2013 bilden Entscheidungen des Finanzgerichts Köln sowie des Finanzgerichts Münster.
Der Entscheidung des Finanzgerichts Köln (Urteil vom 27.01.2009 – 6 K 3954/07) lag zugrunde, dass das Finanzamt anlässlich einer Betriebsprüfung einer Gaststätte im Rahmen eines Zeitreihenvergleiches die Ein- und Verkäufe aller Speisen und Getränke wochenweise gegenübergestellt und Schwankungen beim Rohgewinnaufschlagsatz festgestellt hat. Neben kleineren Beanstandungen der Kassenführung nahm das Finanzamt dies zum Anlass, die Buchführung der Gaststätte zu verwerfen und die Einnahmen zu schätzen. Das führte zum Ergebnis, dass für die drei Streitjahre eine Steuernachforderung in Höhe von rund 89.000 € festgesetzt wurde.
Das FG Köln entschied, dass eine Hinzuschätzung nicht gerechtfertigt sei, wenn die Buchführung ordnungsgemäß ist und ein Zeitreihenvergleich nicht zu dem Ergebnis kommt, dass die Buchführung schlechterdings nicht zutreffen kann. Die einzelnen Beanstandungen bei der Kassenführung hielt das Gericht für unwesentlich. Das Finanzgericht hat der Klage des Gastwirtes in vollem Umfang stattgegeben.
Ebenfalls mit einem Gaststättenbetreiber zu befassen hatte sich das Finanzgericht Münster (Urteil vom 26.07.2012 – 4 K 2071/09 E,U). Dieser hatte seine Bareinnahmen mit Hilfe einer Registrierkasse erfaßt. Daneben führte er eine weitere Barkasse an der Theke, deren Einnahmen nicht über die Registrierkasse abgerechnet wurden. Die täglichen Bareinnahmen der beiden Kassen stellte er den Barausgaben und Entnahmen gegenüber und ermittelte so die Kassenbestände. Zudem waren die Tagessummenbons nicht vollständig bzw. nicht datiert. Das Finanzamt sah die Buchführung nicht als ordnungsgemäß an und schätzte die Umsätze und Gewinne auf Grundlage eines Zeitreihenvergleichs. Es ermittelte wöchentliche Rohgewinnaufschlagsätze und bildete für je zehn aufeinanderfolgende Wochen Mittelwerte. Den jeweils höchsten Mittelwert wendete es auf den erklärten Wareneinkauf an. Der Kläger wendete ein, dass seine Buchführung ordnungsgemäß sei und äußerte Bedenken gegen die Anwendung des Zeitreihenvergleichs.
Das FG Münster bestätigte, dass eine Schätzungsbefugnis dem Grunde nach besteht, wenn die Buchführung nicht ordnungsgemäß ist. Es sind Besteuerungsgrundlagen zu schätzen, soweit sie nicht ermittelt oder berechenbar sind. Das FG hält den inneren Betriebsvergleich für besser geeignet, ein wahrscheinliches Ergebnis zu liefern, als einen äußeren Betriebsvergleich. Dies gelte jedenfalls dann, wenn sich innerhalb des Prüfungszeitraums keine wesentlichen Änderungen in der Betriebsführung und der Betriebsstruktur ergeben haben. Das FG Münster ist der Ansicht, dass in einer Speisegaststätte keine saisonalen Schwankungen anzunehmen seien. Jahreszeitbedingte Schwankungen der Einkaufspreise von Lebensmitteln würden bereits dadurch widerlegt, dass sich aus den Zeitreihenvergleichen keine nach Jahreszeiten schwankenden Rohgewinnaufschlagssätze ergäben. Schätzungsunschärfen würden dadurch vermieden, dass die ermittelten Ergebnisse abgerundet und Abschläge zugunsten der Unternehmer in einer Größenordnung von 10- 15 % vorgenommen werden.
Da das FG Münster keine Revision zuließ, erhob der Gaststättenbetreiber Nichtzulassungsbeschwerde. Dieser Beschwerde gab der BFH statt, sodass nun höchstrichterlich zu klären ist, ob und unter welchen Voraussetzungen oder Einschränkungen der Zeitreihenvergleich eine geeignete Methode zur Schätzung der Besteuerungsgrundlagen darstellt.
Beim Zeitreihenvergleich werden nur unternehmensinterne Daten für den Betriebsvergleich verwendet. Andererseits muss nicht gleich jede Abweichung oder Auffälligkeit zwangsläufig auf Unregelmäßigkeiten bei der Erstellung der Buchführung hindeuten. Der Zeitreihenvergleich geht mathematisch-statistisch davon aus, dass neue Waren immer erst dann eingekauft werden, wenn die vorhandenen Waren aufgebraucht sind. Lagerbestände, die erst zeitversetzt zur Erlöserzielung eingesetzt werden, finden deshalb beim Zeitreihenvergleich keine Berücksichtigung, was allenfalls bei verderblichen Waren zutreffend sein mag. Dagegen wird vorgetragen, daß die meisten Waren jederzeit, d.h. täglich, angeliefert werden können und preisstabil seien, weshalb eine große Vorratshaltung aus diesem Grunde überflüssig sei. Um diese Vermutung widerlegen zu können, müssen im Nachhinein unterjährige Warenvorräte genau quantifiziert werden. Abhilfe kann hier eine permanente Inventur schaffen.
Eine weitere Grundannahme des Zeitreihenvergleichs ist, daß der gesamte bzw. immer der gleiche Anteil am Wareneinkauf zur Erlöserzielung verwendet wird. Es werden keine Restbestände oder Schwankungen berücksichtigt, die es jedoch in der Praxis gibt. Auch werden keine saisonalen Unterschiede einbezogen. Diese haben allerdings in der Praxis erheblichen Einfluss auf den erzielbaren Rohgewinnaufschlag. Die Schwierigkeit besteht darin, die saisonalen Schwankungen im Rahmen der Betriebsprüfung noch ermitteln und nachweisen zu können.
Daher dürfte sich zum Schutz vor Hinzuschätzungen aufgrund eines Zeitreihenvergleichs anbieten, stets zusätzliche Aufzeichnungen hinsichtlich der vorbenannten Kriterien zu fertigen. Diese Vorsichtsmaßnahme kann maßgebliche Auswirkungen auf den Ausgang eines Besteuerungsverfahrens wie eines Steuerstrafverfahrens haben, da hier wie dort die Schätzung eine häufige Methode der Ermittlung der Besteuerungsgrundlagen und damit auch der Steuerverkürzung im Rahmen der Steuerhinterziehung ist.
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