Familienland Deutschland

Berlin (pressrelations) –

Familienland Deutschland

Auf dem SPD-Parteitag in Berlin wurde am Montag, dem 5. Dezember 2011, folgender Leitantrag beschlossen:

Kurzfassung:

Damit Frauen und Männer Familienarbeit und Berufstätigkeit vereinbaren können, brauchen sie bessere Rahmenbedingungen auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft. Auch die finanzielle Förderung von Familien soll gerechter werden. Eltern, die weniger als 3.000 Euro brutto monatlich verdienen, sollen beim Kindergeld stärker unterstützt werden als Eltern mit hohen Einkommen. Die SPD will die bisherigen Kinderfreibeträge in den oberen Einkommensgruppen begrenzen und strebt stattdessen ein nach Einkommen gestaffeltes Kindergeld an. Anstelle des Ehegattensplittings wird eine Individualbesteuerung von Ehegatten eingeführt, die für künftige Ehen ab einem Stichtag gilt.

Die SPD will die Arbeitswelt familienfreundlicher gestalten und Eltern, die wegen ihrer Kinder Teilzeit arbeiten, besser fördern. Väter und Mütter sollen nicht nur sieben, sondern in Zukunft 14 Monate gleichzeitig Teilzeit arbeiten und Elterngeld beziehen können. Und auch nach dem ersten Lebensjahr eines Kindes sollen Eltern sich Beruf und Erziehung ohne große finanzielle Einbußen teilen können, indem eine „große Familienteilzeit“ mit einem Lohnzuschuss über die Bundesagentur für Arbeit eingeführt wird.

Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Pflege soll verbessert werden, indem die zehntägige Auszeit vom Beruf für die Pflege von Angehörigen mit einer Lohnersatzleistung analog dem Kinderkrankengeld gekoppelt wird. Der Anspruch auf sechs Monate Freistellung von der Arbeit soll zu einem flexiblen 1000-Stunden-Budget mit Lohnersatzleistung weiter entwickelt werden, das in verschiedene Zeitabschnitte einteilbar ist und auch über mehrere Jahre zeitlich gestreckt werden kann.

Langfassung:

Familie heute ist bunt. Neben die traditionelle Mutter-Vater-Kind-Familie ist eine Vielzahl verschiedener Lebensentwürfe getreten. Für uns ist Familie dort, wo Menschen dauerhaft Verantwortung füreinander übernehmen. Dazu gehören Paare – ob mit oder ohne Kinder und Trauschein – ebenso wie Alleinerziehende, Patchwork- und Regenbogenfamilien sowie Menschen, die für ihre pflegebedürftigen Eltern sorgen.

Familien stehen nach wie vor im Zentrum unserer Gesellschaft. Sie übernehmen Verantwortung für einander und für die gesamte Gesellschaft, erziehen Kinder, tragen große Teile unseres sozialen Sicherungssystems und sind die Grundlage für die Entwicklung unserer Gesellschaft.

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten wollen mit unserer Familienpolitik sie alle erreichen – von den Kindern bis zu den Seniorinnen und Senioren. Wir wollen ihnen die Unterstützung geben, die sie brauchen. Ja: auch wir wünschen uns eine Gesellschaft, in der wieder mehr Kinder geboren werden und wollen dafür bessere Voraussetzungen schaffen. Aber unser Maßstab für den Erfolg von Familienpolitik ist nicht nur die Geburtenrate. Vielmehr wollen wir uns auch um die Kinder kümmern die schon da sind. Ziel unserer Familienpolitik ist, dass alle Kinder gesund, materiell abgesichert und mit gleichen Teilhabechancen aufwachsen können. Wir dürfen kein Kind zurücklassen.

Menschen sollen ihre Lebensentwürfe verwirklichen können. Deshalb wollen wir für gute Rahmenbedingungen in der Gesellschaft und auf dem Arbeitsmarkt sorgen. Frauen und Männer sollen Familienarbeit und Berufstätigkeit partnerschaftlich vereinbaren können. Dies entspricht heute auch mehrheitlich den Wünschen von Eltern.

Wir wollen bessere Bildungschancen für alle Kinder. Deshalb werden wir ein stärkeres Gewicht auf Investitionen in eine qualitativ hochwertige Bildungs- und Betreuungsinfrastruktur setzen. Auch die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf sowie die bessere Unterstützung von Menschen mit Pflegebedarf und deren Angehörige haben wir im Blick.
Die monetäre Förderung von Familien soll gerechter werden. Wir wollen insbesondere Familien mit geringem Einkommen stärker unterstützen.

Eine soziale Familienpolitik umfasst also ein ganzes Maßnahmebündel, das sowohl Bildung und Betreuung als auch Arbeitsmarkt- und Finanzpolitik, Gleichstellungspolitik sowie Aspekte der Pflegepolitik beinhaltet.

Eckpunkte einer sozialdemokratischen Familienpolitik

Wir wollen, dass Deutschland ein familienfreundliches Land wird. Dafür brauchen wir zuallererst eine Kultur der Wertschätzung für Familien in der ganzen Gesellschaft. Und wir brauchen eine bessere Unterstützung von Familien in ihren unterschiedlichen Lebenssituationen.

Mit einem Fünf-Punkte-Programm wollen wir die Lebenssituationen von Familien in unserem Land verbessern:

1. Gute Bildung und Betreuung: Wir wollen mit einem konkreten Stufenplan den Rechtsanspruch auf Ganztagsangebote in Kitas und Schulen bis 2020 verwirklichen.

2. Gute Arbeit: Wir wollen gesetzlichen Mindestlohn sowie gleichen Lohn für gleiche Arbeit, den „gender pay gap“ überwinden und gleichwertige Arbeit. Wir wollen partnerschaftliche Arbeitsteilung weiter stärken und Existenzsichernde, abgesicherte Arbeitsverhältnisse.

3. Zeit für Familie: Wir wollen dass die Arbeitswelt familienfreundlicher wird. Deshalb wollen wir die Elternzeit partnerschaftlich weiterentwickeln, partnerschaftliche Teilzeitmodelle fördern und die Vereinbarkeit von Beruf, Sorgearbeit und Pflege verbessern.

4. Sozialdemokratische Kindergrundsicherung: Wir wollen die Bildungsteilhabe aller Kinder verbinden mit einer gerechten materiellen Absicherung für Familien. Uns ist jedes Kind gleichviel wert. Dafür wollen wir den Familienleistungsausgleich gerecht umgestalten und Familien mit geringem Einkommen besser fördern.

5. Wertschätzung von Familien: Wir wollen eine Kultur des Willkommens von Kindern in unserer Gesellschaft befördern. Das Leben mit Kindern ist eine Bereicherung – für den Einzelnen und für die Gesellschaft insgesamt. Der Zusammenhalt der Generationen ist uns wichtig. Wir wollen ihn unterstützen. Familie ist für uns da, wo Kinder sind. Insbesondere Alleinerziehende müssen wir stärker unterstützen, über 90 Prozent von ihnen sind Mütter. Gleichgeschlechtliche Paare brauchen dieselben Adoptions- und Sorgerechte wie heterosexuelle Väter und Mütter.

1. Gute Bildung und Betreuung

Um Chancengleichheit und Inklusion herzustellen, sind bedarfsgerechte und hochwertige Bildungs- und Betreuungsangebote für Kinder aller Altersgruppen unabdingbar. Ein flächendeckendes Netz der Prävention durch frühe Hilfen in Geburts- und Kinderkliniken, durch Kinder- und Frauenärztinnen und -ärzte, Familienhebammen sowie die Kinder- und Jugendhilfe wollen wir weiter stärken und ausbauen. Wir brauchen überall eine systematische kommunale Familienpolitik, denn Familienbildung und –beratung sind vor Ort konzentriert. Auch deshalb stärken wir die finanzielle Handlungsfähigkeit der Kommunen, um Strukturen für Familien zugänglich zu machen. Gute Krippen, Kindergärten und Horte sind die wesentliche Voraussetzung dafür, dass Kinder unabhängig von ihrer sozialen Herkunft früh gefördert werden und dass Beruf und Familie vereinbar sind.

Im Bund und in den SPD-geführten Ländern haben wir in den vergangenen Jahren wichtige Fortschritte erreicht: Wir haben durchgesetzt, dass es ab 2013 für alle Kinder ab dem ersten Geburtstag einen Rechtsanspruch auf einen Platz in der Kita oder Tagespflege gibt und der Bund den notwendigen Platzausbau bis 2013 mit insgesamt 4 Mrd. Euro mitfinanziert. Danach beteiligt sich der Bund Jahr für Jahr mit 770 Mio. Euro an den laufenden Kosten. Auch dies ist ein Erfolg der SPD.

Wir haben in die Qualität der frühkindlichen Bildung investiert und in vielen Ländern ein bzw. mehrere Kita-Jahre von Elternbeiträgen befreit und Familien damit entlastet. Und wir haben 2003-2009 mit dem „Zukunftsprogramm Bildung und Betreuung“ im Umfang von 4 Mrd. Euro die Initialzündung für den Ausbau von Ganztagsschulen gegeben und damit einen bildungspolitischen Paradigmenwechsel eingeleitet. Diese positive Entwicklung wollen wir weiterführen.

Stufenplan für einen Rechtsanspruch auf Ganztagsangebote in Kitas und Schulen

Die SPD will durch Einsparungen und Subventionsabbau im Bundeshaushalt, eine gerechtere Steuerpolitik und die Wiedereinführung der Vermögenssteuer in einer gemeinsamen Kraftanstrengung stufenweise die Bildungsausgaben um 20 Milliarden € pro Jahr erhöhen. Denn wir stehen in den kommenden Jahren vor drei Herausforderungen:

Erstens: Die Umsetzung des Rechtsanspruches auf Bildung und Betreuung ab dem ersten Geburtstag für alle Kinder muss gesichert werden. Derzeit stehen bundesweit für 23 Prozent der Kinder unter drei Jahren Plätze in Kinderbetreuungseinrichtungen zur Verfügung. Selbst von den zunächst bis 2013 angestrebten 35 Prozent ist dies noch weit entfernt. Expertinnen und Experten gehen davon aus, dass der Bedarf deutschlandweit bei über 40 Prozent liegt. Hinzu kommt ein bereits schon jetzt in einigen Regionen bestehender Mangel an Erzieherinnen und Erziehern.

Um den zusätzlichen Fachkräftebedarf in Zukunft decken und die Qualität der Betreuung weiter verbessern zu können, ist darüber hinaus eine breit angelegte Fachkräfteoffensive für Erzieherinnen und Erzieher dringend erforderlich.

Zweitens: Die bestehenden Rechtsansprüche für Kinder unter drei Jahren und im Alter zwischen drei und sechs Jahren müssen auf Ganztagsansprüche erweitert werden. Derzeit werden in Westdeutschland nur knapp 30 Prozent der 3-6jährigen mehr als sieben Stunden täglich betreut, da der seit 1996 geltende Rechtsanspruch für diese Altersgruppe häufig nur als Halbtagsanspruch ausgestaltet ist. Darin liegt insbesondere für Alleinerziehende eine entscheidende Hürde für die Sicherung des Lebensunterhaltes durch eigene Erwerbstätigkeit und ein massives Hemmnis für eine höhere Erwerbsbeteiligung von Frauen. Alleinerziehende sollen daher bereits ab 2013 einen Anspruch auf ein Ganztagsangebot haben.

Drittens: Mit dem Vier-Milliarden-Ganztagsschulprogramm ist es uns seit 2004 gelungen, an gut 34 Prozent aller Schulen Ganztagsangebote zu schaffen. Das ist ein großer Fortschritt, nicht allein für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern vor allem für die Qualität der Bildung, für mehr Chancengleichheit und Teilhabechancen. Denn Ganztagsschule ist ein Ort des Lernens und des sozialen Miteinanders, wo mehr Zeit zur Verfügung steht für die individuelle Förderung der Kinder und Jugendlichen einschließlich inklusiver Bildung. Aber Ganztagsschulen sind in Deutschland regional und nach Schulformen sehr unterschiedlich verteilt und bieten nicht überall tatsächlich ein Angebot bis in den späten Nachmittag. Wir wollen deshalb die Ganztagsschule flächendeckend ausbauen und weiterentwickeln, um in einem ersten Schritt bis 2015 zusätzlich 6.000 Ganztagsschulen – also ganztägige Lehr- und Betreuungsangebote – zu schaffen. In einem zweiten Schritt soll bis zum Jahr 2020 ein flächendeckendes und bedarfsgerechtes Angebot an Ganztagsschulen sichergestellt werden.

Denn Zukunftsinvestitionen bringen neben ihrer familien- und bildungspolitischen Bedeutung einen hohen ökonomischen Ertrag: Sie sind die Grundvoraussetzung dafür, dass Eltern einer Existenzsichernden Beschäftigung nachgehen und damit auch spätere Rentenansprüche erwerben können. Sie machen den Standort Deutschland attraktiver und helfen den Fachkräftebedarf zu decken. Und sie bringen Mehreinnahmen für die öffentlichen Haushalte und Sozialkassen: Einkommenssteuern, Sozialversicherungsbeiträge und Einsparungen bei ALGII-Leistungen durch steigende Frauenerwerbstätigkeit insbesondere bei Alleinerziehenden. Eine Studie zum Ausbau der Betreuungsangebote für Schulkinder hat kürzlich ergeben, dass die laufenden Kosten allein durch die Mehreinnahmen bei der Einkommenssteuer gedeckt würden. Auch bei den Kindern zahlen sich diese Investitionen in bessere Bildung von Anfang an später vielfach aus: Durch Einsparungen bei der Kinder- und Jugendhilfe, bei den ALGII-Leistungen und Fördermaßnahmen der Bundesagentur für Arbeit sowie durch die langfristige Sicherung eines ausreichenden Fachkräfteangebots bei sinkenden Kinderzahlen.

Wir wollen den Rechtsanspruch auf Ganztagsangebote in Kitas und Schulen bis 2020 verwirklichen. Dazu brauchen wir überall in Deutschland ein bedarfsdeckendes und hochwertiges Ganztagsangebot für Kinder und Jugendliche. Damit Länder und Kommunen dieses Ziel erreichen können, muss der Bund ausreichend Finanzmittel zur Verfügung stellen. Dazu schlagen wir folgenden Stufenplan vor:

1. Stufe:

Realisierung des Rechtsanspruchs auf Bildung und Betreuung für Kinder ab Eins bis 2013 durch zusätzliches finanzielles Engagement des Bundes auf der Basis einer aktualisierten Bedarfsprognose.

2. Stufe:

Einführung eines Rechtsanspruchs auf ganztägige Bildung und Betreuung in Kitas für Kinder von Alleinerziehenden ab 2013.

3. Stufe:

Rechtsanspruch auf Ganztagsangebote für alle Kinder vom ersten Geburtstag bis zur Einschulung ab 2017.

4. Stufe:

Ausbau eines flächendeckenden und bedarfsgerechten ganztätigen Angebots an Schulen. Bis 2015 Schaffung von 6.000 zusätzlichen Ganztagsschulen. Ab 2020 Einführung eines Rechtsanspruchs auf Ganztagsschule.

2. Gute Arbeit

Gute Arbeit bedeutet auch familienfreundliche Arbeit. Wir brauchen mehr unbefristete, gut entlohnte und sozial abgesicherte Arbeit.

Befristete Arbeitsverträge sind vor allem für junge Menschen zur Regel geworden. Sie stellen einen der wesentlichen Hemmnisse bei der Familiengründung dar: Mehr als 25 Prozent der 35jährigen waren nach einer IG-Metall-Studie bisher ausschließlich befristet beschäftigt. Jeder zweite neue Arbeitsvertrag ist befristet. Wer aber ständig um seine Existenz bangt und sich nicht langfristig an einen Ort binden kann, entscheidet sich nur schwer für Kinder. Diese Praxis muss wieder auf ein begründetes Maß zurückgeführt und das Normalarbeitsverhältnis zur Regel gemacht werden.

Wir wollen den Missbrauch der Leiharbeit beenden, indem der Grundsatz „Gleiches Geld für gleichwertige Arbeit“ endlich ohne Ausnahme durchgesetzt wird, und wieder eine Höchstüberlassungsdauer im Arbeitnehmerüberlassungsgesetz festschreiben.

Gleicher Lohn für gleiche Arbeit und ein gesetzlicher Mindestlohn

Die Armut von Kindern ist die Armut ihrer Eltern. Kinderarmut lässt sich am besten vermeiden, indem Eltern einer Existenzsichernden Arbeit nachgehen. Menschen, die Vollzeit arbeiten, müssen vom Lohn ihrer Arbeit auch leben können. Wir wollen einen flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohn als absolute Lohnuntergrenze einführen.

Solange erwerbstätige Frauen schlechter bezahlt werden als Männer – im Durchschnitt 23 Prozent, bei gleicher Tätigkeit 13 Prozent – kann es eine partnerschaftliche Rollenverteilung auch in der Familie nicht geben. Gute Arbeit bedeutet für uns deshalb auch gleiche Bezahlung für Frauen und Männer.

Das Prinzip gleicher Lohn für gleichwertige Arbeit wollen wir durchsetzen und so genannte typische Frauenberufe aufwerten. Um die bestehende Lohnungleichheit zwischen Frauen und Männern zu beseitigen, bedarf es eines Gesetzes zur Durchsetzung der Entgeltgleichheit. Bei den Mini-Jobs wollen wir zunächst die wöchentlich zulässige Arbeitszeit wieder begrenzen, um Lohndumping zu verhindern.

Reform des Ehegattensplittings

Das Ehegattensplitting und die Steuerklasse V zementieren das Modell des männlichen Haupternährers und der weiblichen Zuverdienerin. Das birgt erhebliche persönliche Risiken insbesondere für Frauen: keine eigene soziale Absicherung, kein nennenswerter eigener Rentenanspruch, drohende Armut im Falle von Trennung oder Scheidung, in der Regel keine berufliche Entwicklungsmöglichkeit, keine Absicherung vor Altersarmut.

Wir wollen deshalb anstelle des Ehegattensplittings eine Individualbesteuerung von Ehegatten einführen. Das soll aus Gründen des Vertrauensschutzes ab einem Stichtag nur für künftige Ehen gelten. Gegenseitige Unterhaltverpflichtungen werden steuerlich berücksichtigt.

3. Zeit für Familie

Partnerschaft, die Erziehung von Kindern, die Pflege, ehrenamtliches Engagement oder auch allein das Kümmern um Familienmitglieder braucht Zeit. Wir wollen helfen, die Arbeitswelt so zu gestalten, dass die Menschen in unserem Land mehr Zeit für Familie haben, ohne dass dies zu Lasten ihrer beruflichen Entwicklungsmöglichkeiten geht. Dafür brauchen wir eine neue Arbeitskultur, eine Stärkung der partnerschaftlichen Arbeitsteilung von Frauen und Männern und bessere Möglichkeiten für einen befristeten Ausstieg aus dem Beruf, eine befristete Reduzierung der Arbeitszeit und eine Arbeitskultur.

Eine partnerschaftliche Weiterentwicklung von Elternzeit und Elterngeld

Wir haben die Elternzeit seit 1998 entscheidend modernisiert und damit endlich das Niveau europäischer Nachbarländer erreicht. Das gilt ganz besonders für die Einführung des Elterngeldes für 12 bzw. 14 Monate im Jahr 2007. 96 Prozent der Mütter nehmen Elterngeld in Anspruch und inzwischen auch 24 Prozent der Väter. Das ist ein erheblicher Schritt hin zu mehr Partnerschaftlichkeit in der frühen Familienphase, aber im Vergleich zu den skandinavischen Ländern mit einer Väterbeteiligung von über 90 Prozent noch relativ gering.

Wir wollen zusätzliche Anreize für eine partnerschaftliche Aufteilung von Elternzeit und Elterngeld. In einem ersten Schritt wollen wir für Eltern, die beide gleichzeitig den Elterngeldbezug mit Teilzeitarbeit kombinieren, die Auszahlung des Elterngelds von aktuell 7 Monate auf 14 Monate verlängern (Aufhebung des doppelten Anspruchsverbrauchs).

Förderung partnerschaftlicher Teilzeitmodelle

Viele Mütter in Deutschland arbeiten Teilzeit. Der deutliche Anstieg der Frauenerwerbstätigkeit in den letzten Jahren ist vor allem ein Anstieg von Teilzeitbeschäftigung: Insgesamt arbeiten nur 48 Prozent aller erwerbstätigen Frauen (d.h. 28 Prozent aller erwerbsfähigen Frauen) Vollzeit, 25 Prozent dagegen in sozialversicherungspflichtiger Teilzeit – darunter viele „kleine Teilzeitstellen” unter 20 Stunden – und sogar 27 Prozent in Minijobs. Der Anteil von Frauen in regulären Vollzeitarbeitsverhältnissen ist zugleich gesunken.

Das heißt: Es sind zwar immer mehr Frauen erwerbstätig, sie teilen sich jedoch – anders als in fast allen anderen europäischen Ländern – ein nahezu gleichbleibendes Arbeitsvolumen und erwerben über ihre Arbeit oft keine eigene Existenzsicherung. Damit wird innerhalb der Familie die traditionelle Rollenverteilung mit der Frau als Zuverdienerin festgeschrieben – und im Falle von Trennung, Scheidung, Arbeitslosigkeit oder Tod des Hauptverdieners die Abhängigkeit von staatlichen Transfers programmiert.
Die Mehrzahl der Familien in Deutschland lebt inzwischen nach diesem 1,5-Verdiener-Modell (44 Prozent gegenüber 23 Prozent Alleinverdiener-Familien, 16 Prozent mit beiden Elternteilen in Vollzeit und nur ca. 5 Prozent mit partnerschaftlichen Teilzeitmodellen) – oft unfreiwillig. Viele Eltern wünschen sich – das zeigen alle Umfragen -, eine stärkere partnerschaftliche Arbeitsteilung.

Wir wollen daher sicherstellen, dass Teilzeit nicht zur Falle wird. Das Recht auf Teilzeit muss zeitnah durchsetzbar sein. Es soll auch befristet in Anspruch genommen werden können. Den bestehenden Anspruch auf Aufstockung der Arbeitszeit wollen wir bekannter machen.

Darüber hinaus prüfen wir eine „große Familienteilzeit” für Frauen und Männer, die auch durch die Bundesagentur für Arbeit gefördert werden kann. Dabei sollen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern mit Kindern bis zu einer bestimmten Einkommensgrenze, die ihre Arbeitszeit um 20 Prozent partnerschaftlich reduzieren, einen Lohnzuschuss von 10 Prozent des ursprünglichen Einkommens erhalten. Dabei stellen wir sicher, dass diese Regelung den Eltern dient und nicht zu einer einseitigen Flexibilisierungsmöglichkeit für die Betriebe genutzt wird. Es gibt bereits viele gute Beispiele von freiwilligen Regelungen, aber Eltern brauchen Rechtssicherheit durch staatliche Rahmenbedingungen – und sie brauchen in bestimmten Einkommensbereichen auch finanzielle Unterstützung, um es sich leisten zu können, ihre Arbeitszeit zu reduzieren.

Beruf und Pflege besser vereinbaren

Hilfe- und pflegebedürftige Menschen wollen möglichst in ihrem vertrauten Umfeld bleiben. Dafür ist eine bedarfsgerechte wohnortnahe Infrastruktur notwendig: Hier sind z.B. Pflegestützpunkte, Angebote der Tages- und Kurzzeitpflege und der Tagesbetreuung sowie bezahlbare und legale haushaltsnahe Dienstleistungen zu nennen. Pflegebedürftige sollen möglichst in der eigenen Häuslichkeit bleiben können.

Wenn Angehörige Hilfe benötigen, stehen berufstätige Frauen und Männer vor dem Problem der Vereinbarkeit von familiären Fürsorgepflichten und ihrer Erwerbstätigkeit. Pflegende Angehörige brauchen Entlastung im Alltag. Auch deswegen wollen wir eine neue Arbeitskultur etablieren. Für die Vereinbarkeit von Sorgearbeit, Pflege und Beruf sind sie auf flexible Arbeitszeitmodelle sowie sozial abgesicherte Modelle befristeter Auszeiten vom Beruf angewiesen. Wir wollen auch erreichen, dass Frauen und Männer sich die Verantwortung für Sorgearbeit und die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf gleichberechtigt aufteilen.

Schwarz-Gelb macht die Pflege zur reinen Privatsache, indem die pflegebedingten Auszeiten allein von den Arbeitnehmer/innen finanziert werden sollen. Das ist allenfalls ein Nischenangebot für eine sehr kleine Zielgruppe: für diejenigen, die einen sicheren Arbeitsplatz haben und sich den Einkommensverzicht leisten können.

Wir haben in der vergangenen Legislaturperiode den Rechtsanspruch auf eine 10tägige Auszeit für Pflege eingeführt, um die Vereinbarkeit von Beruf, Pflege und Sorgearbeit zu verbessern. Angehörige sollen kurzfristig Zeit für die Organisation der neuen Lebenssituation haben. Dabei handelt es sich jedoch – aufgrund des damaligen Widerstands der Union – um eine unbezahlte Freistellung, die entsprechend nur sehr zurückhaltend wahrgenommen wird. Darüber hinaus haben wir den Rechtsanspruch auf Pflegezeit eingeführt, bei der Beschäftigte mit einen Rechtsanspruch auf vollständige oder teilweise Arbeitsfreistellung für maximal sechs Monate haben, wenn sie sich um die Pflege eines Angehörigen kümmern müssen.

Wir wollen die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf weiter verbessern.

Deshalb wollen wir die 10-tägige Auszeit mit einer Lohnersatzleistung analog Kinderkrankengeld koppeln.

Zudem wollen wir den 6-monatigen Freistellungsanspruch zu einem ebenfalls bezahlten, flexibel handhabbaren Zeitbudget weiterentwickeln. Flexibel heißt: Der etwa 1000 Stunden bzw. sechs Monate umfassende Freistellungsanspruch soll in verschiedene Zeitabschnitte einteilbar sein und auch über mehrere Jahre zeitlich gestreckt werden können. Eine Lohnersatzleistung soll die finanziellen Einbußen, die Angehörigen durch die Reduzierung der Arbeitszeit entstehen, abfedern. Das Zeitbudget soll auch aufteilbar sein. Die Betroffenen müssen die Sicherheit haben, dass ihnen in diesem Zeitraum keine beruflichen Nachteile entstehen. Gleichzeitig sollen sie weiterhin die Möglichkeit haben, am Erwerbsleben teilzuhaben. Dabei orientieren wir uns an Ländern wie Dänemark, Schweden und Frankreich: Sie haben für Beschäftigte unterschiedlich ausgestaltete Pflegezeiten eingeführt, die die Menschen arbeits- und sozialrechtlich absichern und auch ihre Einkommensverluste in dieser zeitlichen Phase abfedern.

Schließlich wollen wir mit einem zusätzlichen Zeitbudget mit Lohnersatz von wenigen Wochen jenen Angehörigen helfen, die einen sterbenden Menschen in seiner letzten Lebensphase begleiten.

Nach unseren Berechnungen wäre für diese drei Bausteine mit zusätzlichen Kosten von rund 1,6 Mrd. Euro pro Jahr verbunden, der über eine solidarische Pflegeversicherung finanziert werden muss.

4. Sozialdemokratische Kindergrundsicherung

Für die SPD ist eine Grundsicherung für Kinder mehr als Geld – sie besteht immer aus zwei Elementen: Der Bildungsteilhabe für alle Kinder gekoppelt mit einer materiellen Absicherung von Familien. Mit dem Stufenplan für einen flächendeckenden Ausbau von Ganztagsangeboten in Kitas und Schulen wollen wir die Bildungschancen aller Kinder verbessern. Gleichzeitig wollen wir einen gerechten Familienleistungsausgleich schaffen. Vor allem Geringverdienerinnen und Geringverdiener und ihre Kinder wollen wir stärker unterstützen. Denn sie gehören zu den Leistungsträgern in unserer Gesellschaft, ihr Einkommen liegt aber wegen schlechter Löhne oft nur geringfügig über der Bedürftigkeitsgrenze.

Der bestehende Familienleistungsausgleich ist ungerecht. Bisher werden Familien mit höherem Einkommen stärker monetär entlastet als Familien, in denen die Eltern Geringverdiener sind. Für Spitzenverdiener liegt die monatliche Entlastung fast 100 Euro über dem Kindergeld. Gleichzeitig gelingt es im vorherrschenden System nicht, materielle Kinderarmut wirksam zu bekämpfen. Kinder sind heute immer noch ein Armutsrisiko für viele Familien. Wir wollen deshalb den Familienleistungsausgleich vom Kopf auf die Füße stellen. Wir wollen, dass diejenigen mehr bekommen, die weniger verdienen.

Für ein neues und faires Kindergeld.

Um das Ziel eines fairen und gerechten Familienleistungsausgleichs zu erreichen, wollen wir die steuerliche Entlastungswirkung der bisherigen Kinderfreibeträge in den oberen Einkommensgruppen begrenzen und streben stattdessen ein nach Einkommen gestaffeltes Kindergeld an. Unsere Reform eines neuen und fairen Kindergeldes hat vor allem diejenigen Eltern im Blick, die arbeiten gehen: Weder sollen Familien oder Alleinerziehende, die arbeiten, nur aufgrund des Bedarfs ihrer Kinder Sozialhilfe beantragen müssen, noch wollen wir weiterhin hinnehmen, dass die Entlastung entlang des Einkommenssteuertarifs die staatlichen Leistungen für Kinder nach oben „veredelt“ und nach unten „verelendet“.

Das neue Kindergeld soll auch den bisherigen Kinderzuschlag mit einbeziehen. Dieser wurde aufgrund eines komplizierten Antragsverfahren und der Notwendigkeit zur Offenlegung der Vermögensverhältnisse von rund zwei Dritteln der Anspruchsberechtigten nicht genutzt und hat dazu geführt, dass aktuell rund 600.000 Kinder in verdeckter Armut aufwachsen. Diese Kinder und ihre Familien sollen mit dem neuen Kindergeld bessere Unterstützung erfahren. Das neue Kindergeld soll im Rahmen des üblichen Antragsverfahrens und mit Einkommensnachweis bei Familien mit geringem Einkommen bis ca. 3.000 Euro brutto von der Familienkasse einkommensabhängig ausgezahlt werden. Mit diesem einfachen Verfahren stellen wir sicher, dass die Leistung tatsächlich bei den Familien ankommt. Unsere Forderung nach einem eigenständigen Regelsatz für Kinder im ALGII-Bezug bleibt bestehen.

Das neue Kindergeld – gemeinsam mit der Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns und unseren Vorschlägen zum Ausbau Früher Hilfen, Kitas und Ganztagsschulen – ist auch unsere sozialdemokratische Antwort auf die in der Diskussion stehendenden Konzepte einer Kindergrundsicherung. Denn mit dem neuen Kindergeld machen wir den ersten Schritt zu einer von den Befürworterinnen und Befürwortern einer Kindergrundsicherung zu Recht geforderten gerechten, transparenten, leicht zugänglichen und am Existenzminimum ausgerichteten finanziellen Leistung für Familien.

Sozialdemokratische Partei Deutschlands Parteivorstand Wilhelmstraße 141, 10963 Berlin Telefon (030) 25991-300, FAX (030) 25991-507
Herausgeberin: Andrea Nahles
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