„German Angst“ statt Pionierrolle fuer globale Energiesicherheit
Zu den internationalen Aspekten des „Moratoriums“ in der schwarz-gelben Energiepolitik erklaert der stellvertretende Vorsitzende der SPD-Bundestagsfraktion Gernot Erler:
Die Welt wundert sich. Der hektische energiepolitische U-Turn in Berlin mit der Schnellabschaltung von sieben AKWs wird als Produkt von „German Angst“ wahrgenommen. Also als Kurzschlussreaktion, kaum nachahmenswert fuer andere. Dass es sich um eine auf Einsicht beruhende Umkehr zurueck zu dem Modell des rot-gruenen Aus- und Umstiegs in eine Energiezukunft der autonomen, dezentralen und auf die grenzenlosen Vorraete der erneuerbaren Ressourcen setzenden Versorgung handeln koennte, hat die Bundeskanzlerin ausdruecklich ausgeschlossen. Nach einer kurzen taktischen Pause, Moratorium genannt, soll es weiter entlang von Frau Merkels „energiepolitischer Revolution“ mit der Atomenergie als der laengsten Haengebruecke der Welt gehen. Herr Villis (EnBW) reibt sich schon die Haende beim Gedanken daran, dass nach drei Monaten „die Karten neu gemischt“ werden. Er weiss ja, dass diese Kanzlerin den vier grossen Playern nicht wirklich die Joker aus der Hand nehmen wird.
Der rot-gruene Atomkonsens von 2000 stand auf zwei Beinen:
Geregelter Atomausstieg und Anschub fuer die Erneuerbaren Energien ueber das gleichnamige Gesetz. Fuer Deutschland loeste dieses verkaufte Konzept zu Hause eine bemerkenswerte Erfolgsgeschichte aus: Export-Boom und Systemfuehrerschaft bei den Renewables, mindestens 350.000 qualifizierte neue Arbeitsplaetze und ein weitgehender Konsens ueber die Energiezukunft nach endlosen Kontroversen in der Vergangenheit.
Aber noch viel wichtiger war: Ein grosses und renommiertes Industrieland ging erfolgreich einen Weg aus der Kernenergienutzung heraus. Wer den globalen Markt der Erneuerbaren nicht ueberproportional den Deutschen ueberlassen wollte, musste in diesen Wettbewerb einsteigen – Laender wie die Vereinigten Staaten und China reagierten, allerdings ohne Atomausstieg. Trotzdem setzte das industriepolitische Signale, und ueber Wettbewerb und die „Economies of Scale“ gewannen die Renewables auch weltweit an Gewicht. Waere die Bundesrepublik konsequent auf diesem Weg geblieben, dann haette bis etwa 2020 der Beweis erbracht werden koennen: Ja, es gibt eine machbare und attraktive Alternative zu dem Neu- und Zubau von AKWs, auch fuer aufstrebende und grosse Industriegesellschaften, ein Modell, das eben eine eigenstaendige Energieversorgung unabhaengiger, klimafreundlicher und arbeitsplatzsichernd moeglich macht.
Schwarz-Gelb hat dieses Modell fast irreparabel beschaedigt.
Nach Frau Merkels „Revolution“ faellt es aus als Hoffnungstraeger fuer zahlreiche Laender, die Alternativen zum AKW-Ausbau wenigstens erwaegen. Der globale Schaden dieser Fehlentscheidung und worum es hier geht, wird an einigen Zahlen
deutlich: Heute setzen 29 Laender mit 442 Reaktoren wenigstens teilweise auf Atomtechnologie, aber weitere 65 Anlagen sind bereits im Bau und 65 weitere Laender haben entsprechende Plaene, davon allein 21 auf dem afrikanischen Kontinent. Nach Fukushima wird es aber weltweit eher mehr suchende Blicke nach Beispielen fuer Alternativen geben als vorher. Dass Schwarz-Gelb mutwillig den deutschen Atomkonsens aufgekuendigt, ohne Not die Abhaengigkeit vom Atomstrom verlaengert und damit Deutschlands Pionierrolle als Industriestaat auf dem Weg in eine neue Energiezukunft stark beschaedigt hat – das hat weltpolitische Folgen, deren Tragweite jetzt mit den Ereignissen in Japan erst richtig deutlich werden. Frau Merkels politischer Looping korrigiert das nicht. Der Blick auf „German Angst“ wird keinen einzigen Entscheidungstraeger in den Laendern, die jetzt nach einer neuen energiepolitischen Orientierung suchen, in irgendeiner Weise beeindrucken oder gar umstimmen.
© 2010 SPD-Bundestagsfraktion
Pressestelle
Internet: http://www.spdfraktion.de
E-Mail: presse@spdfraktion.de
Tel.: 030/227-5 22 82
Fax: 030/227-5 68 69