Erfurt (BSOZD.com-NEWS). Wissenschaftler der Universitäten Zürich und Erfurt weisen in einer Studie mit 3-8-jährigen Kindern nach, dass in dieser Altersspanne Kinder das Wohlergehen ihrer Partner zunehmend in ihren Entscheidungen berücksichtigen. Während bei 3-6-Jährigen Eigennutz das Verhalten dominiert, berücksichtigen 7-8-Jährige das Wohl anderer Kinder. Allerdings werden Kinder in dieser Zeit nicht einfach großzügiger sondern entwickeln eine ausgeprägte Abneigung gegen Ungleichheit. Diese Entwicklung, die bei anderen Gattungen bisher nicht nachgewiesen werden konnte, ist vermutlich eine entscheidende Erklärung für die außergewöhnliche Kooperationsfähigkeit der Menschen, schlussfolgern die Wissenschaftler in der am 28. August 2008 im Wissenschaftsmagazin Nature erscheinenden Studie.
Menschliche Gesellschaften basieren auf detaillierter Arbeitsteilung und Kooperation in großen Gruppen zwischen genetisch nicht verwandten Individuen. Menschliche Kooperation unterscheidet sich spektakulär vom Kooperationsverhalten anderer Arten, gerade auch weil Menschen ausgeprägte Präferenzen für das Wohlergehen der Anderen haben. Ein Mensch, dem das Wohl der Anderen „am Herzen liegt“ betätigt sich tendenziell weniger als Trittbrettfahrer in gemeinsamen Aktivitäten und ist eher geneigt soziale Normverletzungen zu ahnden, damit diese zukünftig weniger häufig auftreten. Die evolutionären Wurzeln dieser Präferenzen für das Wohlergehen der Anderen sind bisher weitgehend unbekannt. Ein besseres Verständnis der Entwicklung dieser Präferenzen über das Lebensalter verspricht tiefere Einsichten in die evolutionären Wurzeln des unterschiedlichen Kooperationsverhaltens der Spezies. Eine an der Universität Zürich von Ernst Fehr, Helen Bernhard (beide Universität Zürich) und Bettina Rockenbach von der Universität Erfurt durchgeführte experimentelle Studie mit 229 Kindern im Alter von 3 bis 8 Jahren geht der Frage der Entwicklung dieser Präferenzen nach. Da der Zeitpunkt des Entstehens von Präferenzen für das Wohl der Anderen bisher unbekannt ist wurden bereits die jüngsten Kinder ausgewählt, mit denen ein solches Experiment durchführbar ist. Die Kinder nahmen an 3 verschiedenen Experimenten teil, in denen sie die Aufteilung einer wertvollen Ressource (verschiedene Süßigkeiten) zwischen sich und einem anonymen (von Experiment zu Experiment wechselndem) anderen Kind durchführen mussten. Etwa die Hälfte der Kinder führte diese Entscheidung im Wissen, dass das andere Kind aus demselben Kindergarten bzw. derselben Schule ist durch. Die anderen Kinder wussten, dass das andere Kind aus einem anderen Kindergarten bzw. einer anderen Schule ist.
Vom Eigennutz zur Ungleichheitsaversion
Bei den 3-4-jährigen Kindern ist Eigennutz die vorherrschende Verhaltensweise. Die vorgenommenen Aufteilungen maximieren die eigene Auszahlung und eine Präferenz für das Wohlergehen der Anderen ist in dieser Altergruppe kaum vorhanden. 5-6-jährige Kinder zeigen zwar ein gegenüber den jüngeren gesteigertes Interesse am Wohle der Anderen, dennoch ist auch hier Eigennutz das vorherrschende Verhalten. Betrachtet man hingegen die 7-8-Jährigen, so ergibt sich ein deutlich anderes Bild: fast die Hälfte der Kinder diesen Alters teilt mit dem Anderen und die deutliche Mehrheit zeigt eine Präferenz für das Wohlergehen des Anderen auf. Dabei geht es jedoch weder um die Maximierung der Auszahlung des Anderen noch um die Maximierung der gemeinsamen Auszahlung, sondern um die Herstellung von Auszahlungsgleichheit: das andere Kind soll weder mehr noch weniger als das aufteilende erhalten. Von Schimpansen wurde unlängst gezeigt, dass sie eine geringe Bereitschaft aufweisen Futter mit einem Bekannten zu teilen und eigennütziges Verhalten ähnlich dem der sehr jungen Kinder aufweisen. Bereits das Verhalten der 7-8-Jährigen unterscheidet sich deutlich von dem der erwachsenen Schimpansen.
Eigene Gruppe wird bevorzugt
Kinder der eigenen Gruppe (Kindergarten bzw. Schule) erhalten mehr Ressourcen zugeteilt als die einer fremden Gruppe und diese Bevorzugung steigt sogar mit dem Alter an. Das heißt, dass die Wissenschaftler nicht nur eine Entwicklung vom Eigennutz zur Ungleichheitsaversion im Alter zwischen 3 und 8 beobachten, sondern sich im gleichen Alter auch eine starke Bevorzugung der eigenen Gruppenmitglieder entwickelt. „Die simultane Entwicklung von altruistischem Verhalten und Gruppenbevorzugung gibt interessante neue Impulse für die Vermutung, dass diese beiden Prozesse durch denselben evolutionären Prozess getrieben werden“ betont Ernst Fehr, Wirtschaftswissenschaftler von der Universität Zürich und weist gleichermaßen darauf hin, dass dies keinesfalls die Bedeutung der zeitgleich stattfindenden kulturellen und sozialen Entwicklung der Kinder schmälert. „Im Gegenteil: die kulturelle Bedeutung des Teilens mag ein entscheidender Faktor für die Evolution der Ungleichheitsaversion sein“, so Fehr. Bettina Rockenbach, Wirtschaftswissenschaftlerin von der Universität Erfurt weist auf die Unterschiede zum Verhalten von Schimpansen hin: „Erwachsene Schimpansen zeigen in einer Aufteilung mit einem identifizierbaren Bekannten keine Präferenz für Teilen auf. Fast die Hälfte der 7-8-jährige Kinder hingegen teilt sogar mit einem anonymen Anderen“. „Dass uns Menschen – im Gegensatz zu anderen Spezies – das Wohle der Anderen „am Herzen liegt“, mag eine entscheidende Erklärung für die außergewöhnliche Kooperationsfähigkeit der Menschen sein“ schlussfolgern die Wissenschaftler der am 28. August 2008 im Wissenschaftsmagazin Nature veröffentlichten Studie.
Kontakt:
Ernst Fehr, Director of the Institute for Empirical Research in Economics, University of Zurich
Tel. ++41 -1-634 3709
E-Mail: efehr@iew.unizh.ch
Bettina Rockenbach
Microeconomics, University of Erfurt
Tel. ++49-361-737 4521
E-Mail: bettina.rockenbach@uni-erfurt.de