Lehrer mit Migrationshintergrund – eine Antwort auf die Heterogenität im Klassenzimmer? Lehramtsstudentin Derya Akdag erforscht das Thema in ihrer Masterarbeit
Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund – eine Antwort auf die Heterogenität im Klassenzimmer? – dieses Thema erforscht Derya Akdag in ihrer Masterarbeit an der Universität Hildesheim. Die 36-jährige Studentin hat türkische Wurzeln. Ein Gespräch mit Derya Akdag über Hürden und Chancen, die ihre türkische Zuwanderungsgeschichte mit sich bringt.
Hinweis: Am Mittwoch, 30. November 2011, startet der Schülercampus „Mehr Migranten werden Lehrer“ an der Universität Hildesheim.
Sie schreiben gerade Ihre Masterarbeit. Sind Lehrerinnen und Lehrer mit Migrationshintergrund eine Antwort auf die Heterogenität im Klassenzimmer?
Derya Akdag: Ja, sie könnten eine Antwort sein. Der Wirkfaktor ist leider noch nicht erforscht worden. Aber sie können nicht die einzige Antwort sein. Alle Lehrerinnen und Lehrer, unabhängig von der Herkunft, müssen sensibilisiert werden, mit der Heterogenität im Klassenzimmer umzugehen. Sie sollten Heterogenität als Chance begreifen, neue Sprachen und Kulturen kennenzulernen und dies nicht als Defizit und Problem abstempeln.
Wie sieht Ihre Zuwanderungsgeschichte aus?
Ich bin in Hannover geboren, in einem Brennpunkt-Viertel aufgewachsen, in meiner Familie wurde hauptsächlich Türkisch gesprochen. Mein Vater kam als Gastarbeiter Ende der 1960er Jahre nach Deutschland, hat meine vier älteren Geschwister und meine Mutter nach Deutschland geholt. Heute würde man sagen: eine typische Gastarbeiterfamilie, die Eltern eher bildungsfern. Meinen Eltern war es wichtig, dass aus uns Kindern etwas „Besseres“ wird. Nach meinem Realschulabschluss habe ich eine Ausbildung als Apothekenhelferin absolviert, die Fachhochschulreife nachgeholt, fünf Jahre in meinem Ausbildungsberuf und sieben Jahre im Vertriebsaußendienst in der Telekommunikationsbranche gearbeitet, ein komplett anderer Beruf. Dann habe ich meine Hochschulzugangsberechtigung nachgeholt und an der Universität Hildesheim das Studium aufgenommen. Ein langer Weg zum Lehrerberuf.
Sollte sich die Vielfalt in den Klassenzimmern auch im Lehrerzimmer wiederspiegeln?
Es sollte als „normal“ angesehen werden, dass die Lehrerin einen Migrationshintergrund hat. Somit würde sich der Schüler auch selbst als „normal“ empfinden und nicht als Exot oder als etwas Besonderes. Die kulturellen Hintergründe und Sprachkompetenzen, die ein Mensch durch seine Biographie mitbringt, sind eine Bereicherung. Die Chance liegt darin, aufzuzeigen: auch wenn wir nicht alle die gleichen kulturellen Wurzeln haben sind wir eine Gemeinschaft. Eine Isolierung durch „Die da“ und „Wir “ spaltet unsere Gesellschaft und erschwert das Zusammenleben. Es muss ein „Wir alle“-Zustand erreicht werden. In der schulischen Praxis ist das besonders wichtig.
Integration – was bedeutet dieses Wort für Sie?
Integration bedeutet nicht Anpassen von einer Seite in eine Richtung. Es ist ein beidseitiger Prozess. Integration bedeutet, sich von Seiten der Mehrheitsgesellschaft angenommen, akzeptiert und respektiert zu fühlen, nicht nur geduldet zu sein. Man muss Integrationswillen zeigen, sei es, die Sprache zu erlernen oder das deutsche Grundgesetz zu achten.
Spielte Ihr Migrationshintergrund in Ihren Schulpraktika eine besondere Rolle?
In einer 2. Klasse hatte ich eine Schülerin mit türkischen Wurzeln, die mit dem Wort „Wichteln“ auch nach eingehender Erklärung auf Deutsch nichts anfangen konnte. Es gibt ähnliche „Bräuche“ im türkischen Kulturkreis, also konnte ich Transferarbeit leisten und auf deutsch-türkisch die Bedeutung erklären. Das türkische Sprachsystem habe ich als Werkzeug im Gepäck, kann zwischen der Erst- und Zweitsprache Bezüge herstellen.
Welche Rolle nimmt Sprache in Integrationsprozessen ein?
Integration darf nicht allein an der perfekten Beherrschung der deutschen Sprache festgemacht werden. Als Basis für den Unterricht ist die deutsche Sprache sehr wichtig. Aber: Alle Sprachen sind wertvoll. Die vielen Sprachen, die die Kinder in der Grundschule bereits sprechen, sind doch beeindruckend. In meiner eigenen Schulzeit durfte kein Türkisch gesprochen werden. Ich habe mich gefühlt, als wäre ich weniger wert. Obwohl ich doch mit dieser Muttersprache hätte zeigen können: Hier kann ich etwas richtig gut. Interkulturelle Kompetenzen und der Bereich Deutsch als Zweitsprache sollten in der Lehreraus- und -fortbildung Pflicht sein.
Vielen Dank für das angenehme Gespräch.
Das Gespräch führte Isa Lange.
Schülercampus „Mehr Migranten werden Lehrer“ startet am 30. November in Hildesheim
30 Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte nehmen vom 30. November bis 3. Dezember 2011 am Schülercampus „Mehr Migranten werden Lehrer“ an der Stiftung Universität Hildesheim teil. Sie erhalten Einblicke in das Lehramtsstudium und den Lehrerberuf.
Das Programm finden Sie unter www.uni-hildesheim.de/schuelercampus.
Hinweis an Redaktionen
Die Pressestelle (Isa Lange, 0177.8605905, presse@uni-hildesheim.de) stellt gerne den Kontakt zu Lehramtsstudierenden mit Zuwanderungsgeschichte (Derya Akdag, Anastasiya Walterowicz, Karolina Seta), zu Professoren (Schwerpunkt Deutsch als Zweitsprache, Heterogenität und Unterricht) und zum Universitätspräsidenten her. Alle stehen gerne für Interviews zur Verfügung. Individuelle Gespräche, Foto- und Drehtermine sind möglich. Bitte melden Sie sich diesbezüglich in der Pressestelle.
Für Nachfragen stehe ich Ihnen gerne unter 0177.8605905 zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen,
Isa Lange
Stiftung Universität Hildesheim
Kommunikation und Medien
Pressesprecherin
Marienburger Platz 22
31141 Hildesheim
Fon: 05121.883.102
Mobil: 0177.860.5905
Mail: presse@uni-hildesheim.de
www.uni-hildesheim.de