LINDNER-Interview für „Spiegel Online“
Berlin. Der FDP-Spitzenkandidat in NRW und designierte NRW-Landesvorsitzende CHRISTIAN LINDNER gab „Spiegel Online“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellten FLORIAN GATHMANN und PHILIPP WITTROCK.
Frage: Sie gelten als letzte Hoffnung der FDP – wie fühlt sich das an, eine ganze Partei auf den Schultern tragen zu müssen?
LINDNER: Bitte nicht so dramatisch. Bei der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen geht es nicht um mich, sondern um Entscheidungen für das Land: um ein Ende der Schuldenpolitik, um den Erhalt eines vielfältigen Bildungssystems mit Gymnasium und um die Zukunft eines Industriestandorts, der durch steigende Energiepreise bedroht ist.
Frage: Und es geht um das Überleben der FDP.
LINDNER: Mir wird zu viel über Personen, Umfragen und Konstellationen gesprochen. Das Wichtigste ist doch: Wir müssen den Staat aus der Abhängigkeit der Finanzmärkte befreien. Deshalb muss die Entschuldung Priorität haben, noch vor an sich wünschenswerten Entlastungsschritten und vor neuen Aufgaben für den Staat. Das ist ein neues Denken für Nordrhein-Westfalen. Und eine Selbstkorrektur der FDP NRW.
Frage: Die Umfragen zeigen einen leichten Aufwärtstrend für die FDP – dennoch bleibt das Überspringen der Fünf-Prozent-Hürde ein sehr ehrgeiziges Ziel. Wie wollen Sie das Wunder vom Rhein schaffen?
LINDNER: Wir müssen uns auf Argumente konzentrieren. Bei uns gibt es keinen Schnickschnack und keine unsachliche Polemik, sondern ernsthafte Aussagen in der Sache. Die Prinzipienfestigkeit der FDP hat ja überhaupt erst zu Neuwahlen geführt, weil wir die Zustimmung zum rot-grünen Schuldenhaushalt verweigert haben. Wenn die FDP heute sagt, lieber neue Wahlen als neue Schulden, dann stellen wir uns den Wählern mit verändertem politischen Profil und neuer Glaubwürdigkeit.
Frage: Kein Schnickschnack – was meinen Sie damit?
LINDNER: Wir konzentrieren uns auf die Themen des Landes – und machen die Landtagswahl zu einer Haltungswahl: Die Menschen, die leistungsorientiert sind, Verantwortung nicht zuerst an den Staat delegieren wollen, und die unter Gerechtigkeit Chancen und nicht Gleichheit verstehen – die brauchen eine Stimme im Parlament. Das sind wir.
Frage: Zum Thema Haltung gehört wohl auch das Nein der FDP zu den Schlecker-Hilfen. Gewinnt Ihre Partei so Glaubwürdigkeit zurück?
LINDNER: Auch hier geht es nicht um die FDP, sondern um 11.000 Beschäftigte und deren Familien, die durch unternehmerisches Versagen in einer schwierigen Situation sind. Natürlich sind sie auf Solidarität angewiesen – aber dafür haben wir in der Sozialen Marktwirtschaft Instrumente, die über eine Notlage hinweghelfen. Die Bundesagentur für Arbeit schickt hochspezialisierte Beraterteams, die den Betroffenen vor Ort und individuell zu neuer, sicherer Arbeit verhelfen. Es gibt 25.000 offene Stellen in der Branche. In einer staatlich gestützten Transfergesellschaft wären die Beschäftigen in Pseudoqualifikation geparkt worden, hätten ihre Abfindungsansprüche verloren und die Insolvenzmasse wäre geschützt worden, wovon nur die Banken profitiert hätte. Wäre das die sozialste Lösung gewesen?
Frage: Dennoch hat Ihre Partei für die Schlecker-Blockade viel Prügel eingesteckt. Was ist aus Christian Lindners Konzept vom mitfühlenden Liberalismus geworden?
LINDNER: Ich habe die Leserreaktionen bei Spiegel Online genau verfolgt. Die zeigen ein differenziertes Bild. Unsere Position bei Schlecker ist alles andere als kaltherzig. Es geht schließlich nicht um einen Wettbewerb der sozialsten Rhetorik, sondern um die sozialsten Resultate für 11.000 Menschen. Und das sind doch wohl neue Arbeitsplätze.
Frage: Die Aufforderung von Parteichef Philipp Rösler, die Schlecker-Frauen sollten sich „selbst um eine Anschlussverwendung bemühen“, klang nicht besonders mitfühlend.
LINDNER: Ich formuliere anders.
Frage: Der Profilierungskurs der FDP geht auch zu Lasten der Union. Haben Sie keine Sorge, in der Koalition im Bund wieder als Streithansel dazustehen?
LINDNER: Ich rate davon ab, den NRW-Wahlkampf nach Berlin zu tragen. Das hilft keinem. Die Bürger erwarten von Union und FDP professionelles Regieren. Es gibt genügend Themen, wo die Koalitionspartner an einem Strang ziehen und alle davon profitieren können. Beispiel Haushalt: Es ist möglich, bereits 2014 im Bund eine schwarze Null zu schreiben. Das wäre ein gemeinsamer Erfolg – und ein deutlicher Kontrast zur Minderheitsregierung in NRW, die immer mehr Schulden macht.
Frage: In Düsseldorf läuft vieles auf Rot-Grün hinaus. Freuen Sie sich schon auf Ihre künftige Rolle als Fraktionschef im Landtag?
LINDNER: Ich sehe Rot-Grün noch längst nicht bei einer eigenen Mehrheit. Was die Landespolitik angeht: Ich habe dort zehn Jahre Bildungs- und Familienpolitik gemacht, mir macht das Freude. Und wenn die Menschen uns ihr Vertrauen schenken, führe ich gerne unsere Fraktion im Landtag.
Frage: Das bezweifeln manche. Sie sagen, NRW ist dem Lindner viel zu klein geworden.
LINDNER: Die kennen mich nicht gut. Im größten Bundesland die Politik mit gestalten zu können, ist eine schöne Aufgabe. Wie Sie wissen, spreche ich aus Erfahrung. Zumal der Landesverband der FDP auch Einfluss in der Bundespartei hat. Wir haben ja in NRW durchaus eine etwas andere Akzentuierung vorgenommen.
Frage: Was meinen Sie damit?
LINDNER: Wir haben bereits über die Priorität der Entschuldung gesprochen. Es ist ein liberales Traditionsthema, auf die Grenzen der staatlichen Handlungsfähigkeit zu achten. Das hat in der Schuldenkrise eine neue Aktualität. Im Stil habe ich meiner Landespartei eine Verbindung aus Selbstbewusstsein und Bescheidenheit empfohlen. Diese Souveränität wünsche ich mir von meiner FDP insgesamt, gerade in kritischen Situationen.
Frage: Da besteht also Nachholbedarf in der Bundespartei?
LINDNER: Über den erheblichen Vertrauensverlust in den vergangenen zwei Jahren kann man nicht hinweggehen. Das erfordert ein anderes Auftreten. Vertrauen gewinnt man nicht durch Lautstärke zurück, sondern indem man die eigene Politik erklärt.
Frage: Also hat Guido Westerwelle ein Auftrittsverbot im NRW-Wahlkampf?
LINDNER: Das habe ich nicht auf Kollegen bezogen. Unsere NRW-Spitzen Guido Westerwelle und Daniel Bahr, aber auch Philipp Rösler, Rainer Brüderle und viele andere werden uns helfen.
Frage: Eine Woche vor Ihnen soll Wolfgang Kubicki die FDP in den Landtag hieven. Kubicki lobte Sie gerade über den grünen Klee, sieht Sie als künftigen Bundeschef. Ein vergiftetes Lob?
LINDNER: Warum?
Frage: Als möglicher Rösler-Nachfolger könnte man Ihnen unterstellen, Sie seien schon wieder auf dem Sprung nach Berlin, wie CDU-Kollege Röttgen.
LINDNER: Ich will die FDP wieder in den Landtag führen und danach meine Arbeit als Fraktions- und Landeschef machen. Alles andere beschäftigt mich nicht.
Frage: Aber wenn die FDP aus dem Kieler Landtag fliegt, droht eine Rösler-Debatte – und man wird Sie als Parteichef handeln. Wie gehen Sie damit um?
LINDNER: Gar nicht. Wolfgang Kubicki ist doch der interessanteste und kompetenteste Kopf in der Landespolitik von Schleswig-Holstein überhaupt. Ich glaube fest an seinen Erfolg.
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