LINDNER-Interview für die „Welt am Sonntag“
Berlin. FDP-Generalsekretär CHRISTIAN LINDNER gab der „Welt am Sonntag“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte DR. ULF POSCHARDT:
Frage: Schönen Gruß von Andrea Nahles: Ihr Spruch über den Staat als „teurer Schwächling? hilft ihr im Wahlkampf.
LINDNER: Gruß zurück ? sie hat ihn gar nicht kapiert. Ich greife ja Ralf Dahrendorf auf. Er hatte davor gewarnt, dass der wohlwollende Staat der Sozialdemokraten von den Menschen irgendwann, so waren seine Worte, als teurer Versager empfunden werden könnte. Weil er überfordert wird und deshalb in seinen Kernaufgaben nicht erfolgreich ist. Diese Mahnung ist aktueller denn je. Der Staat beansprucht heute so viel von der Wirtschaftsleistung wie nie – er ist also teuer. Trotzdem bin ich jedenfalls nicht mit seinen Ergebnissen zufrieden. Als Ordnungskraft der Marktwirtschaft war der Staat in den letzten Jahren zu schwach, siehe Finanzkrise. Er ist weiter zu schwach, um soziale Chancen zu öffnen, weil immer noch junge Menschen ohne Schul- und Berufsabschluss bleiben. Und der Staat ist gegenwärtig auch nicht fähig genug, Menschen zweite Chancen zu eröffnen, wenn sie von langjähriger Arbeitslosigkeit betroffen waren. Wir wollen den effektiven Staat, der seine Stärke aus der Priorität für Wesentliches bezieht. Und dessen Institutionen wegen ihrer Leistungsfähigkeit geachtet werden.
Frage: Ist nicht auch die schwarz-gelbe Regierung ein „teurer Schwächling“? Entgegen aller Ankündigungen gibt es mehr Staatssekretäre und mehr neue Beamte und einen ziemlich miesen Start.
LINDNER: Stimmt nicht. Neue Beamte werden für neue Aufgaben eingestellt, beispielsweise 200 Stellen zur Bekämpfung der Schwarzarbeit. Entgegen anderslautender Gerüchte sinkt trotzdem die Gesamtstellenzahl um 581. Die FDP hat einen Richtungswechsel in der Politik bewirkt. Über Jahre hat die Mittelschicht reale Einkommensverluste erlebt durch die Inflationsgewinne, die der Staat sich im Zuge der kalten Progression in die Tasche gesteckt hat. Seit dem Jahresanfang haben wir Familien um 4,6 Milliarden Euro entlastet. Trotzdem unterbieten wir die Neuverschuldung, die Peer Steinbrück noch geplant hatte. Wir haben so bewiesen, dass wir beides verbinden können: entlasten und konsolidieren.
Frage: Also läuft alles super?
LINDNER: Wir werden in den nächsten Monaten beschreiben, dass unsere Einzelmaßnahmen in einem größeren Zusammenhang stehen. Wir müssen deutlicher machen, was die gesellschaftspolitische Vision der FDP ist. Wofür wir arbeiten. Unser Gespräch haben wir begonnen mit dem Staatsverständnis, das die FDP hat, und mit dem sie heute in unserer Parteienlandschaft mehr oder weniger allein steht. Insgesamt wollen zu viele, in den Worten Dahrendorfs, den wohlwollenden Staat.
Frage: Aber gerade weil der Liberalismus ein so zartes Pflänzchen ist, muss sorgsam mit ihm umgegangen werden. Gelingt der FDP das?
LINDNER: Wir brauchen einfach mehr Zeit. Gegenwärtig steht Wort gegen Wort. Das Wort der FDP, wir werden entlasten und konsolidieren, steht gegen das Wort der Opposition und interessierter Kreise, ihr werdet das nicht schaffen. Wir müssen unsere Kritiker durch erfolgreiches Regierungshandeln widerlegen.
Frage: Aber passiert das im Augenblick?
LINDNER: Mehr als sechs Millionen Wähler haben uns für vier Jahre gewählt. Sie haben uns einen klaren Auftrag gegeben. Und diesen klaren Auftrag müssen wir umsetzen. Unsere große Chance ist, Wort zu halten, berechenbar und prinzipientreu zu sein. Das ist ein Alleinstellungsmerkmal in der Politik. Niemand anders wird uns den Job abnehmen. Wir wollen einen Paradigmenwechsel: Freiheit vor Gleichheit. Viele haben Interesse daran, dass uns der nicht gelingt.
Frage: Die FDP ist die Partei der Eigenverantwortung. Wo fängt Ihre Selbstkritik an? Für NRW werden der FDP sechs Prozent prognostiziert.
LINDNER: Ich kommentiere nicht einzelne Umfragewerte. Es gibt auch andere Umfragen.
Frage: Also erst mal keine Selbstkritik.
LINDNER: Ich werde meine Manöverkritik jedenfalls nicht mit der „Welt am Sonntag“ diskutieren. Es gab eine große Erwartungshaltung an die FDP. Weil die FDP für einen Richtungswechsel steht, der von vielen Menschen in Deutschland eingefordert wird. Nach hundert Tagen ist dieser Richtungswechsel aber noch nicht für jeden spürbar. Ich habe Verständnis dafür, dass die Menschen ungeduldig sind und dass sie sofort sehen möchten, dass die FDP liefert. Zusagen kann ich Ihnen, dass wir liefern. Aber große Systeme, wie das Gesundheitswesen, kann man nicht mit einem Schuss aus der Hüfte reformieren.
Frage: Die Parteispende eines Hotelkettenbesitzers hat Ihnen Jahre erfolgreiche Etablierung als Mittelschichtspartei zerstört.
LINDNER: Der Spender ist überhaupt nicht überwiegend Hotelier. Aber Fakten zählen nicht mehr, wenn man die Öffentlichkeit verunsichern und einen kleinen taktischen Vorteil erringen kann. Insbesondere Sigmar Gabriel verzerrt und skandalisiert ordnungsgemäße Vorgänge in einer Weise, die das politische Klima vergiftet.
Frage: Hätten Sie es als Generalsekretär einer Oppositionspartei nicht genauso gemacht?
LINDNER: Nein, das Niveau von Herrn Gabriel kann ich nicht unterbieten. Das ist nahe an politischer Falschmünzerei. Der reduzierte Mehrwertsteuersatz macht Sinn. Das ist ein konjunkturpolitisch wirksameres Instrument, als manche Maßnahme, die Peer Steinbrück und andere beschlossen haben. Es geht hier um eine Branche, die so geringe Margen hat, dass sie über Jahre nicht hat investieren können. Da gibt es einen Sanierungsstau. Und wir erleben nun, dass viele der kleinen Betriebe ? 97 Prozent sind ja mittelständisch geprägt und keine großen Ketten ? jetzt investieren in den Erhalt der Häuser. Das hilft vor Ort dem Handwerk.
Frage: Glauben Sie diese Argumente werden noch gehört?
LINDNER: Wir wenden uns als FDP an die Leute, die ein Stück weiter denken. Und die auch mit einer gewissen Wertorientierung eine Partei wählen.
Frage: Und die anderen sind zu blöd?
LINDNER: Das ist zu pauschal. Ich bin jedenfalls überzeugt, dass unsere Wähler und Sympathisanten sehr genau differenzieren können und wahrnehmen, was die FDP im Regierungshandeln erreicht hat.
Frage: Ihr Parteichef in NRW wollte die Hotelsteuer erst mal auf Eis legen.
LINDNER: Andreas Pinkwart hat die bürokratische Ausgestaltung kritisiert. Die Koalition in Berlin hat die Ausführungsbestimmungen jetzt weniger verwaltungsintensiv gestaltet.
Frage: Also, es war demnach keine Absetzbewegung eines FDP-Politiker, der im Wahlkampf steht?
LINDNER: Herr Pinkwart hat die Praxistauglichkeit bemängelt. Die Mängel werden behoben.
Frage: Umfragen prognostizieren in NRW eine schwarz-grüne Mehrheit.
LINDNER: ?und Unionsköpfe aus der dritten Reihe spielen sogar mit dem Gedanken. Das ist naiv. Die Grünen in Nordrhein-Westfalen sagen von sich selbst, dass sie der Linkspartei näher stünden als der FDP. Zum Vergleich Schwarz-Gelb und Schwarz-Grün gibt es regionales Anschauungsmaterial: die Entwicklung der Städte Düsseldorf und Köln. Düsseldorf wird seit 1999 und bis heute von einer christlich-liberalen Koalition regiert. Die Stadt ist schuldenfrei und hat die Kindergartenbeiträge abgeschafft. In Köln wurde Schwarz-Grün versucht. In der Folge hat die CDU 13 Prozent verloren. Heute regieren dort SPD, Grüne und Linkspartei. Die Stadt ist leider hochverschuldet und ohne Perspektive.
Frage: Vermissen Sie Ihren Parteichef Guido Westerwelle, der als Außenminister durch die Welt tourt?
LINDNER: Nein, Guido Westerwelle ist doch trotzdem auf der innenpolitischen Bühne voll präsent.
Frage: Wie definieren Sie Ihre Rolle?
LINDNER: Ich habe meinen eigenen Stil. Ich setze auf das Argument. Obwohl ich das Florett bevorzuge, kann ich notfalls aber mit der Streitaxt arbeiten.
Frage: Wollen Sie Ihre Streitaxt gegen das Anwachsen des Sozialmissbrauchs nutzen: irgendwo muss ja gespart werden.
LINDNER: Wo es Trittbrettfahrer gibt, hat der Staat heute schon Sanktionsmöglichkeiten. Vielleicht muss die Sozialverwaltung hier und da besser werden. Jedenfalls gehört es zur Fairness zwischen den Leistungsgebern und den Leistungsempfängern in unserer Gesellschaft, dass Solidarität nicht missbraucht wird. Bei der Neubegründung des Sozialstaats geht es uns allerdings nicht zuerst um Sparen. Wir wollen die Freiheit der größten Zahl. Zur Freiheit gehört einerseits, dass Menschen keine Angst haben vor Krankheit, Armut, Alter, Ausgrenzung, Arbeitslosigkeit. Und dass sie durch Bildung zur Eigenverantwortung befähigt sind. Dafür wollen wir die Voraussetzungen schaffen. Andererseits darf der Sozialstaat nicht überbehüten, weil er sonst den Antrieb der Menschen beschädigt und sie der Eigenverantwortung entwöhnt. Wir wollen also bessere Ergebnisse, die zugleich Kosten senken. Ein Beispiel: Dieser Tage wurde von einem Mann berichtet, der gezwungen wurde, zum dritten Mal den immer glei chen Gabelstapler-Schein zu machen. Das schönt irgendeine Statistik. Solche Beschäftigungspolitik wollen wir beenden. Gleichzeitig leisten wir so einen Beitrag dazu, dass die Menschen mit mehr Würde behandelt werden.
Frage: Warum hat die FDP einem höchst fragwürdigen Kauf von Steuer-CDs zugestimmt: sowohl im Bund wie in NRW ? aus Angst vor dem Besserverdiener-Klischee?
LINDNER: Eben haben Sie nach Sozialmissbrauch gefragt. Steuerhinterziehung ist eine andere Form davon. Da darf es keine Nachsicht geben. Daten kaufen oder nicht kaufen ? keine dieser Alternativen ist problemlos. Die jetzige Entscheidung sollte eine Ausnahme bleiben. Der Rechtsstaat darf nicht Denunzianten und Diebe zu Handlungen ermuntern, die ihm selbst untersagt sind. Besser wäre es, ein offizielles Abkommen mit der Schweizer Regierung für den generellen Informationsaustausch in ähnlich gelagerten Fällen zu prüfen.
Frage: Wie bewerten Sie den Streik des öffentlichen Dienstes für fünf Prozent mehr Lohn angesichts leerster Kassen?
LINDNER: Ver.di-Chef Bsirske hat neulich im Fernsehen damit geprahlt, dass er in Krankenhäusern OPs lahmlegen kann. Ich wünsche ihm mehr Weisheit. Weil ich mich in Tarifverhandlungen nicht einschalten will, sage ich es mal so: In der Privatwirtschaft haben Arbeitgeber und Gewerkschaften in der Vergangenheit maßvolle Lohnabschlüsse vereinbart, die unsere Wettbewerbsfähigkeit gestärkt und Beschäftigung gesichert haben. Das war vorbildlich.
Frage: Will Philipp Rösler den Gesundheitsfonds vor die Wand fahren lassen statt für seine Sache zu werben?
LINDNER: Jeder sieht doch, dass die Gesundheitspolitik von Rot-Grün und der großen Koalition nicht funktioniert. Der jetzt nötige Ulla-Schmidt-Gedächtnisbeitrag von acht Euro ist der beste Beweis. Philipp Rösler hat angekündigt, dass er die hohen Kosten für Pharmaprodukte auf den Prüfstand stellt. Das wird im Gesundheitsfonds aber erst 2011 wirksam. Und er arbeitet an einer neuen Finanzierung, die fairer und weniger bürokratisch ist.
Frage: Auf Ihrer Facebook-Seite nennen Sie den Porsche 911 als Lieblingsprodukt. Wenn genügend Elfer-Besitzer spenden, können Sie die Benzinsteuer für die 911er senken?
LINDNER: Nein. Wenn man Luxus haben will, dann muss man ihn auch selber bezahlen. Leider ist mein Porsche aber keine Quelle von Freude. Ich habe einen 22 Jahre alten Günstigen gekauft. Jetzt habe ich lernen müssen: Es gibt keine 22 Jahre alten, günstigen und guten Porsche. Ich werde ihn an jemanden verkaufen, der selbst dran schrauben kann.
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