NIEBEL-Interview für die „Hannoversche Allgemeine Zeitung“ (16.02.2011)
Berlin. Das FDP-Bundesvorstandsmitglied, Bundesentwicklungsminister DIRK NIEBEL gab
der „Hannoverschen Allgemeinen Zeitung“ heute das folgende Interview. Die Fragen stellte SUSANNE IDEN:
Frage: Herr Niebel, Sie haben nach den Umstürzen in Tunesien und Ägypten einen
„Demokratisierungsfonds“ für Nordafrika mit 3,25 Millionen Euro und einen Bildungsfonds mit acht Millionen bestückt. Kommt jetzt ein westlicher Werteexport auf die sanfte Tour?
NIEBEL: Nein! Wir sind keine Kolonialherren. Wir müssen alles vermeiden, was den Anschein erwecken könnte, dass es sich hier um eine vom westlichen Ausland gesteuerte Demokratisierungsbewegung handelt. Wir beteiligen uns nur auf Einladung. Ich glaube auch, dass wir oft zu leichtfertig sind mit unserer Vorstellung von Demokratie. In Afghanistan zum Beispiel wird es nie eine Demokratie europäischen Musters geben – aber demokratische Strukturen, die dazu beitragen, dass die Herrschaft des Volkes umgesetzt wird. Das kann man implementieren. Aber jeder Staat, jeder Kulturkreis wird Demokratie für sich und seinen Kulturkreis angepasst umsetzen müssen.
Frage: Was machen Sie also mit Ihrem Demokratiefonds?
NIEBEL: Das erste Projekt läuft in Tunesien, wir haben eine Fachkraft in das dortige Versöhnungskomitee entsandt. Mit dem Demokratisierungsfonds können wir zudem über die deutschen politischen Stiftungen innerhalb und außerhalb des Parlaments konkrete Hilfestellung geben: Wie gründe ich eine Partei? Wie wähle ich Kandidaten aus? Wir beraten bei der Verfassungsgebung, beim Schreiben des Wahlrechts, unterstützen Verwaltungen bei der Organisation von freien, fairen und geheimen Wahlen. Man könnte auch noch die Schulung von Journalisten fördern, vor allem in den neuen Medien, die so entscheidend zur Bewegung beigetragen haben.
Frage: Die US-Regierung will die Rolle des Internets als „Befreiungsinstrument“ stärken. Ist das ein Ansatz auch für Sie?
NIEBEL: Das ist bislang nicht in unserer Planung. Wir sind aber noch nicht am Ende, haben mit den ersten Millionen ja nur einen Grundstock gelegt. Ich will aber auch auf etwas anderes hinweisen: Es muss nicht immer alles vom Staat ausgehen. Die Verbreitung des Internets kann auch eine hochinteressante wirtschaftliche Investition für private deutsche Unternehmen sein – die gleichzeitig dem Zweck dient, mehr Demokratie zu ermöglichen. In den prosperierenden, sehr jungen Gesellschaften Nordafrikas entwickelt sich ein Markt, der wirklich gar keine steuerliche Subvention braucht. Auf jeden Fall glaube ich, dass das keine Frage des Geldes ist, sondern des technischen Knowhows.
Frage: Wollen Sie wirklich einem mittelständischen Unternehmer empfehlen, in instabilen arabischen Ländern mit noch offener Zukunft zu investieren?
NIEBEL: Ausdrücklich ja. Sogenannte Transition- Staaten haben zwar Probleme mit der Rechtsstaatlichkeit, aber wir helfen durch das politische Back-up. Sie sehen doch durch die Ereignisse der vergangenen Wochen: Ohne wirtschaftliche Perspektiven, ohne Chancen auf einen Job nützt auch die beste Hochschulausbildung nichts. Es gibt sehr viele wenig und viele gut ausgebildete junge Leute in diesen Ländern, es gibt aber keine, die wir als Facharbeiter bezeichnen würden. Deshalb ist es wichtig und richtig, dass wir die bessere berufliche Qualifizierung fördern. Dafür brauchen wir die Unterstützung, die Expertise und auch das Geld der Wirtschaft. Wenn wir hier Win- Win-Situationen organisieren können, sind wir auf dem richtigen Weg.
Frage: Win-Win galt ja bislang auch allzu oft für die Kontakte des Westens mit Regimen, die jetzt gestürzt werden. Hat die Entwicklungszusammenarbeit Despoten und Diktatoren zu lange gestützt?
NIEBEL: Ganz bestimmt nicht. Keine dieser Regierungen bekommt Geld zur freien
Verfügung in die Hand gedrückt. Nehmen Sie das Beispiel Jemen: Im Januar haben wir mit der politischen Führung im Jemen über die geplante Verfassungsänderung gesprochen, die dem Präsidenten eine dritte Amtszeit garantieren soll. Wir haben klar gesagt, dass wir die kommenden Regierungsverhandlungen an bestimmte Bedingungen knüpfen, und über die Menschenrechtssituation gesprochen. Aber in der Entwicklungszusammenarbeit mit Jemen geht es allein um die Verbesserung der Lebensbedingungen der Menschen, um Wasser, Bildung, Transfer von technischem Wissen. Ich glaube nicht, dass wir damit ein Unrechtsregime stabilisieren können – aber wenn wir in Ägypten zum Beispiel die Projekte zur Trinkwasserversorgung eingestellt hätten, dann hätte das nur dazu geführt, dass noch mehr Menschen kein sauberes Wasser haben. Das Regime hätte es nicht zu Fall gebracht. Das haben junge, gut ausgebildete Leute getan.
Frage: Jetzt fliehen Tausende von ihnen aus dem neuen, freien Tunesien. Was kann, soll Europa tun?
NIEBEL: Die jungen Leute haben alle einen guten Grund zu fliehen – die mangelnde Perspektive. Die Bekämpfung der Fluchtursachen in den Ländern selbst muss die zentrale Aufgabe der EU sein, und das ist wieder etwas, das unmittelbar mit Entwicklungspolitik und wirtschaftlicher Direktinvestition zu tun hat. Wenn man Entwicklungsziele und wirtschaftliche Ziele zusammenbringt, dann hat man auch einen guten Schritt getan, um die Fluchtgründe zu minimieren.
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