Meyer-Krahmer: ‚Branche beispielhaft für neues Wachstum‘

Berlin (pressrelations) –

Meyer-Krahmer: „Branche beispielhaft für neues Wachstum“

Staatssekretär und VDE-Präsident eröffnen Mikrosystemtechnik-Kongress

Ob Mikromedizin, Brennstoffzellentechnologie oder intelligente Textilien – in allen wichtigen Hightech-Feldern ist heute Mikrosystemtechnik zu finden. Dabei gehört Deutschland zu den weltweit führenden Forschungs- und Produktionsstandorten. 766.000 Arbeitsplätze sind in Deutschland direkt oder indirekt mit Mikrosystemtechnik verbunden, so schätzen Experten. „Damit ist der Beschäftigungseffekt dieser Schlüsseltechnologie noch größer geworden – im Vergleich zu 2005 um gut 45.000 Beschäftigte“, sagte Prof. Frieder Meyer-Krahmer, Staatssekretär im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), am Montag in Berlin. Der Staatssekretär bezog sich auf eine aktuelle Prognos-Studie: Danach erwarten Experten bis zum Jahr 2020 zusätzlich 250.000 Arbeitsplätze. „Hier passiert genau das, was wir mit der Hightech-Strategie verfolgen: Wir wollen dort ansetzen, woher das neue Wachstum kommt.“

Auf dem Mikrosystemtechnik-Kongress 2009, den das BMBF gemeinsam mit dem Branchenverband VDE organisiert, zog der Staatssekretär eine positive Bilanz nach sechs Jahren Forschungsförderung im Rahmenprogramm „Mikrosysteme“ des BMBF. Meyer-Krahmer stellte die Ergebnisse eines Trendpapiers vor, das das BMBF und der VDE für den Kongress erstellt haben. Gerade BMBF-geförderte Unternehmen erweisen sich danach als besonders krisenresistent. Nach einer aktuellen Erhebung beschreiben 60 Prozent die Geschäftslage als befriedigend, 25 Prozent sogar als gut. Allerdings sind die Unternehmen je nach Branche unterschiedlich stark von der Krise betroffen. Automobilzulieferer oder Maschinenbauer leiden demnach schwerer als etwa Medizintechnik-Unternehmen. Letztere konnten selbst in der Krise weiter wachsen.

Mikrosysteme in der Medizintechnik bergen ausgezeichnetes Innovationspotenzial – bestes Beispiel ist die Firma BIOTRONIK, ein Unternehmen, das durch innovative Anwendung von Mikrosystemtechnik zu einem führenden Hersteller von Medizintechnik wurde. So brachte BIOTRONIK als weltweit erster Anbieter einen Herzschrittmacher mit integrierter Fernüberwachungsfunktion auf den Markt. Patientendaten werden vollautomatisch ausgelesen und per Mobiltelefon an den behandelnden Arzt gesandt. In kritischen Situationen wird so das sofortige Eingreifen des Arztes ermöglicht – eine potenziell lebensrettende Technologie, die in diesem Jahr für den Deutschen Zukunftspreis des Bundespräsidenten nominiert wurde.

Vor allem mittelständische Mikrosystemtechnik-Unternehmen setzten in den zurückliegenden Monaten bewusst auf Innovationen. Lediglich fünf Prozent der geförderten Mittelständler verwiesen auf eine gesunkene Innovationstätigkeit – für Meyer-Krahmer ein Beweis erfolgreicher Forschungspolitik der Bundesregierung: „Forschungsförderung im Bereich Mikrosystemtechnik ist Mittelstandsförderung“, so der Staatssekretär. Dreiviertel aller Forschungsgelder für die Industrie gingen an kleine und mittlere Unternehmen mit einem Umsatz unter 100 Millionen Euro. Gezielte Projektförderung bedeutet für diese Unternehmen, dass Forschung und Entwicklung auch bei kurzfristigen Umsatzeinbrüchen gesichert bleiben. Somit leistet Forschungsförderung auch einen bedeutenden Beitrag zur Krisenbewältigung.

Die internationale Spitzenposition Deutschlands bescheinigen auch die 1.300 VDE-Mitgliedsunternehmen und Forschungsinstitutionen. Laut VDE-Trendreport 2009, einer Umfrage des VDE unter seinen Mitgliedsunternehmen, wird Deutschland in der Mikrosystemtechnik seine Spitzenposition gegenüber den stärksten Konkurrenten USA und China behaupten. „Eine wissensintensive interdisziplinäre Querschnittstechnologie wie die Mikrosystemtechnik ist noch mehr als andere von dem Wissen exzellent ausgebildeter Ingenieure abhängig. Fehlen sie, wird das mit Innovationsausfall bestraft. Da sich der internationale Wettbewerb um die besten Köpfe weiter verschärfen wird, sind kleine und mittelständische Unternehmen vom Expertenmangel besonders bedroht. Die Förderung des Ingenieurnachwuches in der Elektro- und Informationstechnik hat also gerade in so hochinnovativen Bereichen mit mittelständischen Strukturen wie der Mikrosystemtechnik höchste Priorität“, forderte VDE-Präsident Dr. Joachim Schneider.

Vom 12. bis zum 14. Oktober treffen sich die heimischen Mittelständler, Großunternehmen, Forschungseinrichtungen und Verbände auf dem Mikrosystemtechnik-Kongress 2009, einem der Top-Events der deutschen Hightech-Szene. Diskutiert werden innovative Technologieanwendungen und die Zukunftsthemen der Forschung. Dazu werden in Berlin circa 900 Teilnehmer erwartet. Der Kongress ist eine gemeinsame Veranstaltung des BMBF und des VDE und wird von der VDE/VDI-Gesellschaft Mikroelektronik, Mikro- und Feinwerktechnik (GMM) und der VDI/VDE Innovation + Technik GmbH (VDI/VDE-IT) organisiert.

Mehr Informationen bekommen Sie außer in der BMBF-Pressestelle auch beim VDE (Melanie Mora, Tel. 069/6308461, melanie.mora@vde.com).Informieren können Sie sich auch unter www.invent-a-chip.de.Informationen gibt auch VDI/VDE Innovation + Technik GmbH (Alexander Grieß, Tel.: 030/310078-310, E-Mail: griess@vdivde-it.de).

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Ernst Schneider-Preis der IHK für SR-Wirtschafts-Autoren Dietrich Kraus und Ingo Blank

Saarbrücken (pressrelations) –

Ernst Schneider-Preis der IHK für SR-Wirtschafts-Autoren Dietrich Kraus und Ingo Blank

Der renommierte Ernst Schneider-Preis der IHK geht in diesem Jahr unter anderem auch an zwei langjährige freie Autoren des Saarländischen Rundfunks: Dr. Dietrich Krauß und Ingo Blank. Beide haben zahlreiche Magazinfilme und Features für die Wirtschaftsredaktion des SR gedreht. Schwerpunkt waren dabei investigative Beiträge aus den Bereichen der Finanzwirtschaft und der Verknüpfung von Wirtschaft und Politik.

Ihr bislang spektakulärstes Werk für den SR war 2008 die 45-minütige ARD-Dokumentation „Rentenangst“. In diesem Film belegten sie nach langen Recherchen, wie die private Versicherungswirtschaft und manche Vertreter der Politik davon profitieren, dass die gesetzliche Rente immer weiter zurückgedrängt wird und deshalb immer mehr Menschen aus Angst vor Altersarmut Verträge zur privaten Vorsorge abschließen.

Auf Grundlage dieser Recherchen entstanden mehrere Magazinfilme, unter anderem auch der jetzt ausgezeichnete Beitrag „Arm trotz Riester: Sparen fürs Sozialamt“, den die Autoren in Ab-stimmung mit der der SR-Redaktion für das WDR-Politmagazin „Monitor“ drehten. Dieser Film behandelte einen Aspekt der Riester-Rente, der bereits in früheren Beiträgen behandelt wurde. Durch die Ausstrahlung in „Monitor“ wurde aber eine heftige Diskussion quer durch die politische Landschaft ausgelöst.

Der Leiter der SR-Wirtschaftsredaktion Fernsehen, Wolfgang Wirtz-Nentwig, zeigte sich hoch erfreut über die Auszeichnung für die beiden Autoren. „Dietrich Krauß und Ingo Blank haben für unsere Redaktion seit Jahren viele hervorragende Filme zu komplexen und oft strittigen Themen gedreht. Dabei haben sie sich auch von der Androhung juristischer Verfolgung und persönlichen Angriffen nie beirren lassen. Das ist öffentlich-rechtlicher Journalismus, wie er sein soll. Gleichzeitig spricht die Auszeichnung auch für die Objektivität der Jury. Denn Ingo Blank und Dietrich Kraus haben gelegentlich auch schon Filme gedreht, die bei den Arbeitgeberorganisationen nicht auf ungeteilte Freude gestoßen sind.“

* Ingo Blank und Dietrich Krauß haben in den vergangenen Jahren unter anderem zu folgenden Themen Filme für den SR gedreht:
? Wer kontrolliert die Verteilung der Milliarden-Hilfen für Banken?
? Gesetzliche Rente – besser als ihr Ruf
? Die Auswirkungen der Bankenkrise auf die Kommunen
? Inflation oder Deflation ? was heißt das für Verbraucher?
? Konjunkturprogramme contra Steuersenkungen ? wer bezahlt die Schulden?
? Mittelstand in der Kreditklemme
? Finanzkrise ? welche Schuld trägt die Politik?
? Private Altersvorsorge: enttäuschte Anleger
? INSM: Wie die Wirtschaft Meinungen macht
sowie mehrere Features und Magazinbeiträge zur Göttinger Gruppe.

Die Autoren:
Ingo Blank, geb. 1955, Diplom-Soziologe und Diplom-Sozialarbeiter/Sozialpädagoge. Nach Tätigkeiten als wissenschaftlicher Mitarbeiter und in der Erwachsenenbildung seit 1985 freier Journalist, vorwiegend Autor für den Saarländischen und Westdeutschen Rundfunk, gelegentlich aber auch für den SWR und HR. Themenschwerpunkte Wirtschaft, Politik und Umwelt. Autor zahlreicher Features und Reportagen für ARD und SR/SWR („betrifft“, „Schlaglicht“) und Beiträge für Plusminus (SR/HR) und Monitor (WDR).

Dr. Dietrich Krauß, geb. 1965, Studium der Politik und Journalistik in München, Frankfurt und Kiel. Fernsehausbildung an der Deutschen Journalistenschule in München. Promotion 2001. Seit 1994 beim SDR beziehungsweise Südwestrundfunk in Stuttgart, redaktioneller Mitarbeiter und Autor; unter anderem für ARD-Magazine Ex, Plusminus, WDR – Monitor, ZDF- Frontal 21, zahlreiche Features und Reportagen für ARD/ARTE/SWR/SR.

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Regierung muss europäischen Runden Tisch zu Opel einberufen

Berlin (pressrelations) –

Regierung muss europäischen Runden Tisch zu Opel einberufen

„Anstatt in Rambo-Manier zu versuchen, die anderen europäischen Länder auszubooten, hätte der Bundeswirtschaftsminister von Anfang an einer einvernehmlichen Lösung zu Opel arbeiten müssen. Dann wäre uns das jetzige Gezerre erspart geblieben“, erklärt Ulla Lötzer angesichts des Streits um eine europäische Lösung für den angeschlagenen Automobilhersteller. Die Sprecherin der Fraktion DIE LINKE für internationale Wirtschaftspolitik fordert die Bundesregierung auf, unverzüglich einen europäischen Runden Tisch einzuberufen:

„Es war immer klar, dass es nur eine gemeinsame europäische Lösung geben kann. Noch ist es nicht zu spät, das Steuer herumzureißen. Die Bundesregierung muss schnellstens einen Runden Tisch mit den betroffenen europäischen Regierungen und Gewerkschaften einberufen. Ansonsten bleibt es Magna überlassen, die Standortkonkurrenzen für die eigenen Zwecke zu nutzen – zu Lasten der Beschäftigten an allen Standorten.“

F.d.R. Christian Posselt
Pressesprecher
Fraktion DIE LINKE. im Bundestag
Platz der Republik 1
11011 Berlin
Telefon +4930/227-52800
Telefax +4930/227-56801
pressesprecher@linksfraktion.de
http://www.linksfraktion.de

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Pfarrer Führer gegen Verklärung der DDR – ‚Bildungsauftrag ernster nehmen‘

Berlin (pressrelations) –

Pfarrer Führer gegen Verklärung der DDR – „Bildungsauftrag ernster nehmen“

Interview mit „Das Parlament“

Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung
„Das Parlament“ (Erscheinungstag: 12. Oktober 2009),
Themenausgabe „Nachhaltiges Wirtschaften“
? bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung ?

20 Jahre nach dem Mauerfall vom 9. November 1989 wendet sich der Mitinitiator der Leipziger Montagsdemonstrationen, Christian Führer, entschieden gegen eine Verklärung der DDR. „Das kann eigentlich nur tun, wer diese Diktatur nicht selbst erlebt hat“, sagte der damalige Pfarrer an der Leipziger Nicolaikirche in einem Gespräch mit der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 12. Oktober). Je weiter die DDR zurück liege, desto mehr wachse die Zahl ihrer Bewunderer, beklagte er. Dagegen helfe nur Aufklärung, fügte Führer hinzu und forderte, „den Bildungsauftrag gegenüber jungen Menschen“ ernster zu nehmen.

Man könne „nicht darauf verzichten, das Geschehen vor 20 Jahren möglichst breit und vielfältig ins Gedächtnis der Menschen zu rufen und die Erinnerung lebendig zu halten“, mahnte Führer. Es gebe „in der deutschen Unheilsgeschichte sehr viele Negativdaten, die Scham und Entsetzen auslösen“. Umso größer sei die Freude über die gelungene friedliche Revolution in der DDR von 1989. Dieses „wunderbare Ereignis“ biete „vielfältigen Anlass“, sich mit den damaligen Vorgängen zu beschäftigen und nachzufragen.

Nachdrücklich würdigte Führer die Montagsdemonstration in Leipzig vom 9. Oktober 1989, der als ein Schlüsseldatum beim Zusammenbruch des SED-Regimes gilt. Sicher stehe dieser Tag, an dem die Machthaber nicht gewagt hatten, auf die 70.000 Demonstrationsteilnehmer zu schießen, „im Schatten des 9. November“, doch „ohne den 9. Oktober hätte es einen Monat später keinen Mauerfall gegeben“, argumentierte der Theologe. Deshalb stehe für ihn und viele andere „der 9. Oktober am Anfang der deutschen Einheit“. An diesem Tag habe man sich „von dieser Weltanschauungsdiktatur selbst befreit“, fügte Führer hinzu und betonte, es hätte „das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen gewaltig gestärkt“, diesen Tag zum Nationalfeiertag zu erklären.

Das Interview im Wortlaut:

Herr Führer, nachdem die friedliche Revolution und der Mauerfall in den Medien jahrelang selten vorkamen, hat die öffentliche Erinnerung an die Ereignisse im Herbst 1989 derzeit Hochkonjunktur. Freuen Sie sich über diesen Boom?

Ja natürlich. Wir haben in unserer deutschen Unheilsgeschichte sehr viele Negativdaten, die Scham und Entsetzen auslösen. Umso größer ist die Freude über die gelungene friedliche Revolution. Dieses wunderbare Ereignis, das jetzt so stark ins öffentliche Bewusstsein rückt, bietet vielfältigen Anlass, uns mit den damaligen Vorgängen zu beschäftigen und nachzufragen.

Haben Sie keine Sorge, dass die Menschen bei diesem medialen Überangebot des Themas überdrüssig werden könnten?

Damit muss man rechnen. Dennoch kann man nicht darauf verzichten, das Geschehen vor 20 Jahren möglichst breit und vielfältig ins Gedächtnis der Menschen zu rufen und die Erinnerung lebendig zu halten. Im Übrigen kann jeder Bürger selbst entscheiden, zu welcher Veranstaltung er geht und welche Sendung er sich ansieht.

Für Sie und die meisten Leipziger ist der 9. Oktober 1989, an dem die Machthaber nicht wagten, auf die 70.000 Teilnehmer der Montagsdemonstration zu schießen, ein Schlüsseldatum beim Zusammenbruch des SED-Regimes. Wird dieser Tag im öffentlichen Bewusstsein ausreichend gewürdigt?

Bisher überhaupt nicht. Sicher steht dieses Datum im Schatten des 9. November. Aber ohne den 9. Oktober hätte es einen Monat später keinen Mauerfall gegeben. Deshalb steht für mich und viele andere der 9. Oktober am Anfang der deutschen Einheit: der Tag, an dem wir uns von dieser Weltanschauungsdiktatur selbst befreit haben. Diesen Tag zum Nationalfeiertag zu erklären, hätte das Selbstbewusstsein der Ostdeutschen gewaltig gestärkt.

Wie erklären Sie, dass damals Menschen, die sich in ihrer großen Mehrheit der Diktatur gebeugt hatten, plötzlich Mut bewiesen und in Massen auf die Straße gingen?

So plötzlich war das gar nicht. Der Mut der Demonstranten ist die Frucht der jahrelangen Friedensgebete in der Nikolaikirche. Von 1982 an jede Woche, immer an derselben Stelle im Herzen der Großstadt. Da haben die Menschen ? Christen und Nichtchristen ? Kraft geschöpft, haben gelernt, ihre Meinung zu sagen und Gesicht zu zeigen. Gelegenheit dazu war am „Mikrofon der Betroffenheit“. Wenn man da vorging zum Pult, heraus aus der schützenden Menge, und sagte, was einem auf der Seele brannte, wissend, dass auch Stasi-Leute in der Kirche sitzen ? das erforderte Courage. Die Nikolaikirche war ein Ort der Hoffnung, an dem Selbstvertrauen zurück gewonnen wurde.

Im Oktober 1989 waren aber mehr Menschen auf den Straßen als in den Kirchen. Waren die auch angesteckt vom Geist, der aus der Kirche kam?

Offenbar hat der Geist Jesu auch Menschen ergriffen, die atheistisch geprägt waren und nichts von der Bibel wussten. Die Worte aus der Bergpredigt „Keine Gewalt“ ? das haben alle gerufen. Sie haben sich im Geist der Gewaltlosigkeit verhalten und damit die Staatsmacht beeindruckt. Wenn ein Vorgang das Wort Wunder verdient, dann war es der 9. Oktober.

Das Wunder wäre ohne Michail Gorbatschow und seine Entscheidung, die russischen Truppen in der DDR in den Kasernen zu lassen, nicht möglich gewesen. Kommt dieser Beitrag im Selbstverständnis der Ostdeutschen, besonders der Leipziger, nicht zu kurz?

Bei mir nicht. Ich habe Gorbatschows Rolle immer hoch geachtet und das auch öffentlich gesagt. Gleiches gilt für die Beiträge von Ländern wie Polen oder Ungarn. Ich möchte noch weiter zurückgehen: Willy Brandt und die Ostverträge, die KSZE-Konferenz 1975 in Helsinki ? all diese Mosaiksteinchen müssen mit genannt werden. Ohne die bis 1989 geschaffenen Rahmenbedingungen wären friedliche Revolution und Mauerfall nicht möglich gewesen.

Welchen Anteil hatten die westlichen Medien am Verlauf der Revolution?

Nach der Sommerpause haben wir, wie immer, Anfang September die Friedensgebete wieder aufgenommen. Da war gerade Messewoche und die westlichen Journalisten hatten eine pauschale Drehgenehmigung. Als wir aus der Kirche kamen, standen da viele Kamerateams. Die haben aufgenommen, wie das Spruchband „Für ein offenes Land mit freien Menschen“ entrollt und dann von Stasi-Leuten heruntergerissen wurde. Am Abend wurden diese Bilder im West-Fernsehen gezeigt. Damit waren die Vorgänge auch in der DDR bekannt. Und wir in Leipzig hatten einen Bekanntheitsgrad erreicht, den wir mit unseren damaligen Mitteln der Kommunikation nicht geschafft hätten.

Der Schriftsteller Erich Loest hat mal gesagt: „Die stärkste Kraft waren die, die abhauten.“ Bei allem Respekt vor den Leipziger Demonstranten: Hat die Massenflucht besonders von jungen Leuten nicht genauso zur Grenzöffnung und zum Zerfall der SED-Diktatur beigetragen?

Die Ausreiseleute haben durch ihr erzwungenes Weggehen dafür gesorgt, dass vielen Menschen klar wurde: So geht es nicht weiter. Die Massenflucht und Erich Honeckers menschenverachtende Worte „Wir weinen denen keine Träne nach“ haben auch SED-Genossen nachdenklich gemacht.

Für die meisten DDR-Bürger, die mit dem Ruf „Wir sind das Volk“ gegen das Regime protestierten, ging es um Demokratie, Meinungsfreiheit und um eine bessere DDR. Warum haben die Menschen wenig später „Wir sind ein Volk“ gerufen?

Dass die Einheit Deutschlands von der Mehrheit der DDR-Bürger gewollt wurde, kann man nicht leugnen. Sie wollten den Wohlstand des Westens, wussten aber nicht, wie hart er erarbeitet worden ist. Und der Westen hatte keine Ahnung, wie der realsozialistische Alltag war. Statt der Landschaften blühten die Illusionen.

Die Volkskammer hat mit ihrem Beschluss über den Beitritt zur Bundesrepublik Deutschland dem Willen der großen Mehrheit der Bürger entsprochen. Sie sprechen gleichwohl von Anschluss?

„Anschluss“ ist das Gefühlte ? so wie man beim Wetter von „gefühlter Temperatur“ redet. Ich finde das Grundgesetz großartig. Trotzdem hätte ich mir eine neue Verfassung gewünscht. Damit wäre klar geworden: Das ist nicht die erweiterte BRD, sondern ein neues Gebilde.

Bedrückt Sie der Gedanke, dass es Mode geworden ist, die DDR zu verklären?

Das kann eigentlich nur tun, wer diese Diktatur nicht selbst erlebt hat. Je weiter die DDR zurück liegt, desto mehr wächst die Zahl ihrer Bewunderer. Da hilft nur Aufklärung. Wir müssen den Bildungsauftrag gegenüber jungen Menschen ernster nehmen. In die Nikolaikirche kommen viele Besucher. Die wollen mit Zeitzeugen reden und wissen, wie das 1989 war, wie die Demonstranten mit ihrer Angst umgegangen sind. So lernt man verstehen, wie die DDR war.

Für Sie ist die friedliche Revolution unvollendet. Was müsste in Politik und Gesellschaft passieren, um sie erfolgreich abzuschließen?

Den Begriff abschließen würde ich nicht verwenden. Wir haben in der Theologie ein gutes Wort: Die Kirche muss ständig erneuert werden. Wir leben in einer Demokratie, der besten Staatsform, die Menschen hervorgebracht haben. Aber der Globalkapitalismus passt nicht dazu. Die Wirtschafts- und Bankenkrise hat gezeigt, dass dieses auf Egoismus aufgebaute System nicht zukunftsfähig ist. Wir brauchen eine ethische Neuorientierung, eine solidarische Ökonomie, eine Jesus-Mentalität des Teilens. Der Staat muss dafür sorgen, dass Politik und Wirtschaft sich am Menschen orientieren ? und nicht gnadenlos am Profit.

URL: www.bundestag.de

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