Rede Frank-Walter Steinmeier auf dem a.o. SPD-Bundesparteitag am 18. Oktober 2008

(BSOZD.com-NEWS) Berlin. Rede des Kanzlerkandidaten der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands, Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier, auf dem außerordentlichen SPD-Bundesparteitag am 18. Oktober 2008 in Berlin – Verantwortung für Deutschland

Liebe Genossinnen, liebe Genossen, Willy Brandt hat einmal gesagt: „Sozialdemokratie ohne Hoffnung ist wie eine Kirche ohne Glauben.“ Ich sage heute: Hoffnung und Zuversicht sind wieder zurück. Dieser Tag, das wird ein Tag des Aufbruchs. Wir haben Streit begraben, Gräben zugeschüttet, uns untergehakt. Und wir glauben wieder an uns! Das macht uns stark! Und die anderen merken das!

Manche hatten uns schon abgeschrieben, Volksparteien adé, sagen die Kommentatoren. Ich höre das alles. Nur ich bin ich ganz anderer Meinung! Ich spüre: Der SPD wird wieder etwas zugetraut. Viele Menschen kommen auf uns zu und wünschen uns Glück. Ich sag euch: Wir sind wieder im Spiel! Mit der Geschlossenheit der letzten Wochen haben wir nicht nur andere überrascht, sondern auch uns selbst. Es hat sich gezeigt: Wir, die SPD, die lebendigste und diskussionsfreudigste Partei Deutschlands, wir können Disziplin und Lebendigkeit – wenn wir wollen! Wir sind keine Ansammlung von Gruppen, Kreisen und Arbeitsgemeinschaften. Wenn’s drauf ankommt: Wir sind eine Partei – und das muss so bleiben!

Liebe Genossinnen und Genossen,
aber wir stehen und kämpfen zusammen nicht nur für unsere Partei. Sondern, lasst mich das hier ganz deutlich sagen: Stärke und Geschlossenheit sind Pflicht, weil unser Land uns jetzt braucht! Vor uns liegt ein Jahr der Weichenstellung, ein Jahr der Entscheidungen.
Wir spüren, wie laut der Ruf der Menschen nach guter Politik gerade wieder ist. Wir spüren, wie es mehr denn je wieder um Gerechtigkeit, um Sicherheit, um Vertrauen geht. Wieder einmal gilt für die deutsche Sozialdemokratie: Wenn es eng wird, ist es gut, dass wir für unser Land Verantwortung tragen: Verantwortung für Deutschland!

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Dieses Jahr 2008 wird als Einschnitt in die Geschichtsbücher eingehen. Jeder spürt es: Wir stehen am Anfang einer neuen Zeit. Wir erleben einen Umbruch; für uns in Deutschland ist es der wichtigste Einschnitt seit dem Fall der Mauer.

Die Herrschaft einer marktradikalen Ideologie, begonnen mit Margaret Thatcher und Ronald Reagan, ist mit einem lauten Knall zu Ende gegangen. Die Welt hält den Atem an – aber: Sie atmet auch auf. Jetzt ist Zeit für Umdenken, neues Denken und Neubeginn. Einen Neubeginn, bei dem es mit besseren Regeln für die Finanzbranche nicht getan ist. Es geht jetzt um mehr!
Gefordert ist ein umfassender Neuanfang. Wir können jetzt die
Regeln des Miteinanders in unserer Gesellschaft neu bestimmen. Und wir müssen politische Gestaltungskraft für die Demokratie zurückerobern. Darum geht es jetzt!

Diese neue Zeit, die jetzt anbricht, muss unsere Zeit werden: Die Zeit der sozialen Demokratie. „Krise“, das kommt aus dem Griechischen und heißt: „Entscheidung“. Wir erleben die Zeit der Entscheidungen. Jetzt kommt es auf uns an! Dafür will ich in einem Jahr als Kanzler arbeiten. Damit die Richtung stimmt! Ich will dafür sorgen, dass das Verhältnis von Politik und Wirtschaft wieder ins rechte Lot kommt. Uns muss ja niemand erklären, dass Wirtschaft wichtig ist. Aber wir müssen wohl einigen mal erklären, wie wichtig Politik ist! Gestaltende Politik. Mutige Politik. Politik mit Richtung und Augenmaß.

Habt ihr sie auch noch im Ohr, die Experten? Von Herrn Sinn bis Herrn Kirchhof. Ihre Botschaft war immer dieselbe: Wirtschaft wird in der Wirtschaft gemacht. Der Staat hat sich rauszuhalten und Demokratie stört. Wer gegen diese Weltsicht argumentiert – so sagten sie – der kann doch gleich gegen die Schwerkraft anrennen. Was waren das für Experten?
Und dann noch die anderen: Junge Kerle, die frisch aus dem Managerseminar kamen und uns jeden Abend vor der Tagesschau mit schneidiger Stimme ihre Scheingewissheiten von den Börsenplätzen der Welt dargeboten haben. Bis vor 14 Tagen wollten die Lehman-Brothers dieser Welt soliden Mittelständlern noch erklären, wo´s lang geht – da wussten sie aber selbst nicht, dass sie schon pleite sind.
Jetzt sind sie abgestürzt, die Herren des Universums! Die Folgen sind dramatisch, aber ausbaden müssen sie andere! Das ist das, was uns so wütend macht – und mit uns die Mehrheit der Menschen im Land!
Ich will nicht ungerecht sein: Wer arbeitet, macht Fehler. Ich weiß das. Und ich will auch nicht Einzelne an den Pranger stellen. Ich bitte diese Leute jetzt nur um eines: Haltet einfach mal eine Runde lang den Mund! Geht in euch! Versucht nicht schon wieder, die Welt zu erklären! Und denkt mal nach: Über Respekt vor Menschen und anderen Meinungen. Über Respekt vor der Demokratie und Respekt vor ihren Institutionen. Diese Woche hat bewiesen, dass die Demokratie leistungsfähig ist. Dass sie Vertrauen verdient. Mehr als diejenigen, die durch Leichtfertigkeit und Gier Vertrauen in unsere Ordnung erschüttert haben.

Liebe Genossinnen und Genossen,
dass es wirklich neue Zeiten sind, das sehen wir auch an der Wiederkehr der Wendehälse. Jetzt sind sie wieder da!

Ihr erinnert euch noch gut daran, wie Franz Müntefering von Heuschreckenschwärmen gesprochen hat. Der CDU-Generalsekretär hat Franz damals als „Neandertaler-Sozialisten“ beschimpft. Jetzt kramt die CDU ganz tief in ihren Archiven, um irgendeinen Beleg zu finden, dass sie in Wahrheit schon immer vor der Finanzkrise gewarnt hat! Jetzt will sie auf einmal sogar Managergehälter beschneiden! Was ist das für ein Zickzack-Kurs – vom Leipziger Programm und Professor Kirchhof zurück zum Ahlener Programm. Fehlt nur noch, dass die CDU demnächst wieder die Sozialisierung aller Schlüsselindustrien fordert!
Und wir ahnen doch schon, was kommt: Nach der Bundestagswahl würde die Union mit Schwarz-Gelb am liebsten wieder das Leipziger Programm ausgraben und mit Friedrich Merz „mehr Kapitalismus wagen“! Daraus wird zwar nichts, dennoch: Führung sieht anders aus. Ich sehe nur das Buhlen um den gerade aktuellen Zeitgeist! Da ist viel Taktik, aber kein Kompass bei dieser Union!

Wir Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten stehen darum in einer großen Verantwortung. Einer Verantwortung, die wir annehmen und der wir gerecht werden müssen. Die Menschen erwarten von uns, dass wir uns mit dem was ist nicht abfinden. Aber sie erwarten auch mehr als Empörung. Sie erwarten, dass wir sie jetzt sicher durch diese Krise lotsen. Und sie erwarten, dass wir unser Land in eine sichere Zukunft führen. Das müssen wir leisten, und die Menschen wissen, wir können das!
Und warum? Weil klare Führung in der Krise und vorausschauende, oft sogar visionäre Politik die Stärken der Sozialdemokraten sind. Willy Brandt hat die Ostpolitik gegen erbitterte Widerstände der Konservativen durchgesetzt. Helmut Schmidt hat die Deutschen durch den Deutschen Herbst und die Öl- und Wirtschaftskrise der 70er Jahre geführt. Gerhard Schröder hat Deutschland modernisiert und mit seinem Nein zum Irak-Krieg unser Land außenpolitisch emanzipiert. Das sind historische Leistungen. Darauf können wir gemeinsam stolz sein!

In entscheidenden Situationen gibt unsere Partei diesem Land Richtung und Sicherheit. Und das ist auch jetzt wieder so, in den schweren Turbulenzen, in denen wir sind.
Uns alle hat die Wucht der Ereignisse an den Finanzmärkten überrascht. Ihr Kollaps hätte schlimmste Konsequenzen für die gesamte Weltwirtschaft gehabt. Erinnerst euch an Helmut Schmidt, der schon vor 25 Jahren geschrieben hat: Weltwirtschaft ist unser Schicksal! Und das gilt heute mehr den je! Wir wissen seit langem, dass die Finanzmärkte Regeln brauchen – und Peer Steinbrück hat es oft genug gesagt. Aber jetzt geht es nicht um Rechthaben, sondern um schnelles, entschlossenes Handeln. Und genau das haben wir in dieser Woche getan. Gemeinsam mit unserem Koalitionspartner, aber so, dass unsere Handschrift erkennbar ist. Peer Steinbrück, wir danken Dir für das, was Du in den letzten Tagen für das Land, die Menschen und die SPD geleistet hast! Aber danken will ich auch Peter Struck: Auch bei noch so guter Vorarbeit der Regierung wäre das alles in der letzten Woche ohne die gute Arbeit der Fraktion nicht möglich gewesen. Herzlichen Dank, Peter!

Was ist das Ergebnis? Wir garantieren die Sparguthaben in Deutschland. Wir sichern das Bankensystem. Wir erhalten die besondere Rolle der Sparkassen und Genossenschaftsbanken. Eigenheimbesitzer und Mittelständler bekommen weiter Kredit.

Es geht dabei um sehr viel Geld. Und viele von uns fragen sich: Musste das sein und ist das gerecht? Ich sage euch: Ja, das musste sein. Denn es geht nicht um Banken, sondern um Menschen – um Sparer, um Unternehmen und Arbeitsplätze. Deshalb ist das, was wir durchgesetzt haben kein Geschenk, sondern Nothilfe. Darum haben wir klare Bedingungen durchgesetzt: Wer vom Staat Geld will, muss akzeptieren, dass der Staat auch mitredet und mitbestimmt. Und wir entlassen die Banken nicht aus der Verantwortung, wenn es ihnen wieder besser geht!

Jetzt ist die Zeit, ein paar Dinge gerade zu rücken. Wir Sozialdemokraten sind für Markt. Aber der Markt ist kein Selbstzweck. Der Markt ist immer eine Ordnung. Entweder eine Ordnung, in der die Rücksichtslosen Triumphe feiern. Oder eine Ordnung, in der Verantwortung sich durchsetzen kann. Max Weber hat uns von hundert Jahren erklärt, dass die Kultur des Marktes auch eine Kultur des Maßes sein muss. Heute bedeutet das: Wer für Wettbewerb ohne Regeln und Vernunft wirbt, wer die kurzfristige Rendite zum Maßstab des Wirtschaftens erhebt, der verliert jedes Maß und endet in Maßlosigkeit. Vor den Scherben dieser Haltung stehen wir jetzt. Und darum sage ich: Die Zeit der Exzesse muss jetzt vorbei sein! Das gilt auch bei den Managergehältern, die in den letzten Jahren völlig aus dem Ruder gelaufen sind. Führungskräfte sind Vorbilder – im Guten wie im Schlechten. Wer glaubt, keine Rücksicht auf andere nehmen zu müssen; wer sich benimmt, als sei ihm das Land, in dem er lebt und in dem seine Kinder zur Schule gehen, egal, der wird erleben, dass die Folgen auf ihn zurückschlagen. Denn in dieser Gesellschaft wird sich bald jeder der Nächste sein und seine eigenen Regeln schaffen. So eine Gesellschaft ist kalt, sie zerfällt in Egoismen und Angst. Es ist an uns, Anstand und Vertrauen in unser Land zurückzubringen! Deshalb werden wir gebraucht!

Vertrauen zurückzubringen – das geht ganz schnell, mit konkreten Projekten, wenn die Union ihren neuen Kurs ernst meint und mitmacht. Die SPD hat gute Vorschläge zur Reform der Managergehälter gemacht. Ich sage der Union: Stimmen Sie unseren Vorschlägen zu! Wer den Mund spitzt, der soll jetzt auch pfeifen!
Und wenn wir gerade dabei sind: Anstand und Vertrauen zurückbringen, das gilt auch am anderen Ende der Skala. Bei denen, die arbeiten, aber ihre Familie kaum davon ernähren können. Ich rede vom Mindestlohn. Stundenlöhne von vier Euro verstoßen gegen die guten Sitten und gegen den Respekt vor guter Arbeit. Wer von menschlicher Gesellschaft spricht, darf Mindestlöhne nicht hintertreiben! Wir werden Mindestlöhne durchsetzen! Wer sich jetzt verweigert, der macht sich gerade jetzt unglaubwürdig!

Aber machen wir uns nichts vor. Mit der Rettung der Finanzmärkte ist es nicht getan. Diese Krise wird auf die Konjunktur drücken. Uns steht eine Rüttelstrecke bevor, und von uns wird mit abhängen, wie lang und heftig sie ist. Deshalb sage ich: Nach dem Rettungsschirm für die Banken brauchen wir jetzt einen Schutzschirm für die Arbeitsplätze in Deutschland!

Wir werden im kommenden Jahr um jeden Job kämpfen! Und dieser Kampf hat schon begonnen. Während sich die ganze Welt auf die Bankenkrise konzentriert hat, haben wir in der vergangenen Woche gehandelt und ein großes Stabilisierungspaket für die Konjunktur in Deutschland geschnürt. Stabilität bei den Lohnnebenkosten, Kindergelderhöhung, Vorziehen des Wohngeldes – das entlastet schon jetzt Millionen von Menschen. Und mit der Absetzbarkeit der Krankenversicherungsbeiträge ab 2010 im zweistelligen Milliardenbereich!

Aber es geht nicht nur um Entlastungen. Wenn es im nächsten Jahr schlechter läuft, wenn Steuereinnahmen rückläufig sein sollten, werden wir den Leuten nicht in die Tasche greifen dürfen. Wir werden auch Sozialleistungen nicht kürzen dürfen – und vor allem werden wir die Investitionen stabil halten.
Möglicherweise reicht das nicht. Keiner kann ausschließen, dass wir vielleicht noch mehr tun müssen. Darauf bereiten wir uns vor, und zwar seriös! Es geht nicht wie auf dem Basar nach dem Prinzip: „Wer bietet mehr?“ Sondern was ist sinnvoll, verantwortlich, und schafft Arbeitsplätze bei uns, zum Beispiel im Handwerk.
Wir sind bereit, eine Milliarde mehr Fördermittel in die Gebäudesanierung zu stecken. Wir sind bereit, über die KfW zusätzliche Kredite an Mittelstand und Handwerk zu geben. Und wir werden die Europäische Investitionsbank von zusätzlichen Förderprogrammen überzeugen. Und wir werden die KFZ-Steuer reformieren, um Anreize für die Automobilindustrie zu schaffen.
Das steht jetzt an. Wir erwarten von der Union Unterstützung für diesen Weg.

Wenn wir einen Schutzschirm für Arbeitsplätze spannen, ist aber nicht nur die Politik gefragt. Auch die Unternehmen stehen in der Verantwortung. Jetzt geht es darum, endlich wieder langfristig zu denken und nicht allein an die kurzfristige Rendite. Nachhaltig wirtschaften heißt jetzt: Hochqualifizierte Belegschaft halten! Das macht gerade in Deutschland den wirklichen Wert eines Unternehmens aus. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind viel mehr als Kostenstellen. Darum sage ich: Auch wenn die Zeiten schwierig werden, haltet die Leute im Betrieb! Wälzt nicht neue Lasten auf den Staat ab!
Ich sage das auch deshalb, weil wir in Deutschland durchaus Grund zur Zuversicht haben. Wir werden besser über die schwierige Strecke kommen als andere Länder, weil wir besser gerüstet sind. Vor zehn Jahren lagen wir im internationalen Vergleich weit zurück. Heute sind wir vorne. Das ist das Ergebnis von 10 Jahren unserer Arbeit in der Bundesregierung, und darauf dürfen wir stolz sein!

Liebe Genossinnen und Genossen,
wir haben in den letzten 20 Jahren die Globalisierung der Märkte erlebt. Jetzt bricht eine neue Zeit an, die Zeit der politischen Globalisierung. Wir brauchen eine neue Qualität der internationalen Zusammenarbeit.

Die Finanzkrise ist nämlich viel mehr als eine Bankenkrise. Sie verändert die politischen und wirtschaftlichen Gewichte in der Welt von Grund auf. Das Gewicht der USA, des Westens insgesamt relativiert sich. Zugleich werden die Staaten Asiens, für die Finanzmärkte auch arabische Staaten, immer stärker. Diese Entwicklung war ohnehin im Gange, jetzt wird alles noch viel schneller gehen.
Vertrauen kann nur wachsen, wenn all diese Staaten und Mächte gemeinsam handeln. Die G7 war wichtig, aber die Zeit, in der die westlichen Industriestaaten allein die Weltkonjunktur bestimmt haben, ist vorbei. Jetzt müssen neue Mitspieler mit an den Tisch! Das ist nicht nur ein Gebot der Fairness und Klugheit, sondern liegt im ureigenen Interesse der westlichen Welt.
Und das gilt außenpolitisch auch über die aktuelle Krise hinaus. Wir müssen neue Mächte und ihre Ansprüche friedlich in eine veränderte Weltgemeinschaft integrieren. Das ist die große Aufgabe unserer Zeit! Wir brauchen die Erweiterung der G8, wir brauchen eine Weltfinanzgruppe in der die neue Architektur einer Weltfinanzordnung entsteht. Das ist unser Weg, da wollen wir hin!

Aufstieg und Fall großer Mächte waren in der Geschichte meistens begleitet von Gewalt, Krieg und Zerstörung. Wir müssen jetzt zeigen, dass wir daraus gelernt haben. Wir müssen neue Balancen finden, die auf Ausgleich und kluge Verständigung gebaut sind. Mit China und vielen anderen Mächten in Asien. Mit Russland, das wir nicht isolieren dürfen. Mit einer Türkei, die zeigt und zeigen wird, dass Islam, Demokratie und Moderne keine Gegensätze sind. Mit den einflussreichen Schwellenländern von Zentralasien über Nordafrika bis Brasilien und Mexiko. Und mit einer Regierung in den USA, die erkennt, dass es überhaupt nicht klug ist, vieles allein zu tun, weil man dann Gefahr läuft, am Ende ziemlich allein dazustehen – das kann nicht das Ziel sein.

In diesem Wendejahr 2008 nimmt die Eine Welt, die Willy Brandt so visionär beschrieben hat, Gestalt an. Das 21. Jahrhundert, so haben wir im Hamburger Programm geschrieben, ist das erste wirklich globale Jahrhundert. Das erste Jahrhundert, in dem wir gemeinsame Lösungen für gemeinsame Probleme erarbeiten oder – ich denke an Klimawandel und Ressourcenknappheit – gemeinsam scheitern. Wir Sozialdemokraten sind gefordert, diese neue, diese zweite Phase der Globalisierung zu gestalten. Auf uns kommt es dabei jetzt an!

Die Gestaltung von Globalisierung ist nicht nur eine Aufgabe für uns Deutsche, sondern für ganz Europa. Hoffentlich hat in diesen Tagen jeder, der nachlässig oder höhnisch über Europa redet, gemerkt, was dieses Europa wert ist! Welche Kraft darin steckt!
Europa ist der Teil der demokratischen Welt, der international Vertrauen genießt. Unser Lebensmodell findet Respekt und Anerkennung überall auf der Welt: Ein Modell, das Freiheit, Wohlstand und soziale Gerechtigkeit miteinander verbindet; nicht immer gut genug, aber besser als irgendwo anders auf der Welt. Viele schauen gerade jetzt in der Krise auf uns. Unsere internationale Verantwortung wächst. Wir müssen diese Verantwortung annehmen, damit die Welt sicherer und friedlicher wird! Verantwortung als Europäer heißt jetzt: Einig handeln, statt auf unseren jeweiligen kleinen Vorgarten zu schauen! In Krisenzeiten formieren sich von Rechts- und Linksaußen die Fronten der Anti-Europäer. Krisenzeiten sind Entscheidungszeiten: Lasst uns diesen Kampf also aufnehmen. Wir sind die Kraft eines besseren Europas!

Für die Europawahl im nächsten Jahr heißt das: Wir brauchen kein Europa der Konservativen, der Marktradikalen und ihrer Lobbyisten, sondern ein sozialeres Europa! Ein Europa, in dem Arbeitnehmer und ihre Rechte ebenso wichtig sind wie der Binnenmarkt. Dafür brauchen wir in Brüssel eine starke Sozialdemokratie. Und dafür werden wir mit Martin Schulz an der Spitze bei der Europawahl im nächsten Jahr kämpfen!
Lieber Martin, aber du bist nicht der Einzige, der ins Rennen geht. Auf dem Weg zu den Europawahlen wird ein neuer Bundespräsident gewählt. Warum eigentlich nicht eine Bundespräsidentin? Gesine Schwan ist unsere Kandidatin. Gesine, meine Unterstützung hast du und auch die dieses Parteitags und der gesamten SPD!

Liebe Genossinnen und Genossen,
wer die Welt von morgen gestalten will, muss zur Verantwortung und zur Vernunft stehen. An der Spitze der Linkspartei stehen zwei, die hatten die Chance zu gestalten. Sie haben sie nicht genutzt. Sie sind weggelaufen vor der Verantwortung. Warum sollen wir vor diesen Leuten Respekt haben?

Verantwortung tragen – das trennt uns von den Populisten. Darum sage ich: Machen wir nicht den Fehler derjenigen, die jetzt mit nichts als Protest unterwegs sind. Das ist Gesinnung ohne Mumm zur Politik! Das gibt den Menschen Steine statt Brot, das ist unsere Sache nicht.

Eine Partei, die den Lissabon-Vertrag und damit Europa ablehnt, die die NATO auflösen will, die ihren Katalog haltloser Versprechen auf komplett verrückte Steuererhöhungen gründet – eine solche Partei ist schlicht und einfach nicht regierungsfähig.
Die SPD hat in ihrer langen Geschichte immer wieder Abspaltungen und Neugründungen im Parteiensystem erlebt. Keine hat unsere Partei im Kern gefährdet. Und das hat Gründe: Weil wir wissen, dass soziale Leistungen immer auch erarbeitet sein müssen. Weil wir wissen, dass wir Verantwortung tragen für das Land, für die Menschen, für Frieden und Gerechtigkeit in der Welt.
Wer vor dieser Verantwortung flüchtet, mit dem ist kein Staat zu machen, und der hat auf Dauer auch keine Zukunft in der Politik. Und deshalb wird es nach der nächsten Bundestagswahl keine Koalition mit der Linkspartei geben!

Aber der CDU sage ich gleichzeitig auch: Lasst die roten Socken im Schrank! In Brandenburg an der Havel, in meiner neuen zweiten Heimat, reichen sich CDU und Linkspartei gerade die Hand – nur um den Wahlsieger, die SPD, draußen zu halten. Deshalb sage ich sage allen Unionsleuten: Lasst die Steine im Glashaus – sie könnten auch bei euch Schaden anrichten!

Liebe Genossinnen und Genossen,
seit zehn Jahren regieren wir jetzt unser Land in Bonn und Berlin. Im Rückblick war das für unsere Partei eine verdammt schwere Zeit. Union und FDP haben uns damals ein leckgeschlagenes Schiff namens Deutschland hinterlassen.
Mit 4,5 Millionen Arbeitslosen, leeren Sozialkassen, einer Rekordneuverschuldung und einem riesigen Reformstau.
Wir sind es gewesen, die dieses Schiff wieder flott und stark gemacht haben! Wir haben unser Land modernisiert und neu aufgestellt! Wir waren das! Und wir hatten den richtigen Kompass, nicht die anderen.
Zum Beispiel bei der Reform der Alterssicherung. Ich weiß noch genau, wie viele Experten vor 8 Jahren gesagt haben: Lasst das mit den Reformen, private Vorsorge mit Aktien bringt mehr Rendite fürs Alter. Wir haben erwidert: Nein, die gesetzliche Rente wird nicht auf Kapitaldeckung umgestellt. Die Altersvorsorge darf nicht von den Aktienkursen abhängen. Aber wir bauen eine zusätzliche Säule auf.
Und heute? Bei uns müssen die Rentner nicht jeden Tag Börsenfernsehen gucken und um ihr Erspartes zittern. Das ist Ergebnis unserer Politik! Menschen für Menschen war unser Grundsatz!
Ich hab’ mir manchmal vorgestellt, was passiert wäre, wenn wir auf diese Experten gehört hätten. Es hätte unser Land zerrissen! Danke, dass Du damals gestanden hat, lieber Walter Riester!

Und erinnere ich mich richtig? Gab es damals nicht auch viele, die gesagt haben: Die Gewerbesteuer ist des Teufels und ein Schaden für unser Land? Wir haben gesagt: Die Kommunen brauchen weiter die Gewerbesteuer, damit sie verlässliche Einnahmen haben – und sie haben sie. Sie haben sie wegen uns! Wir haben das durchgesetzt! Darum werden heute endlich wieder Schulen renoviert, Straßen und Turnhallen erneuert – und das hoffentlich von den Handwerksfirmen vor Ort.

Lasst mich an dieser Stelle auch einen Dank an alle sagen, die für unsere Partei in den Kommunen arbeiten. Wir sind eine starke Kommunalpartei mit Bürgermeistern, die Vertrauen und Mehrheiten schaffen: Christian Ude in München, Ulrich Maly in Nürberg, Frank Baranowski in Gelsenkirchen, Barbara Ludwig in Chemnitz, Bärbel Dieckmann in Bonn, Frank Szymanski in Cottbus, sie stellvertretend für viele andere. Ihr seid das Herz der SPD!
Aber ihr seid es auch, die sich erinnern, wie Privatbanken und Marktradikale in Brüssel das Sparkassenwesen in Deutschland schleifen wollten. Wir haben immer dagegen gehalten, und das erweist sich jetzt als Segen! Millionen Menschen schlafen deswegen heute ruhiger, die Mittelständler und Einzelhändler haben ihren verlässlichen Partner in der Kreditwirtschaft behalten. Wir haben das nicht dem Zeitgeist geopfert. Auch hier hatten wir den richtigen Kompass!

Nur einer weiß immer noch nicht, wo es langgeht: der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen. Jürgen Rüttgers will die Sparkassen für private Beteiligungen öffnen! Das ist eine Politik, die glasklar gegen die Interessen der kleinen Leute und kleinen Betriebe geht! Liebe Hannelore Kraft, du hast die Unterstützung der ganzen SPD gegen diesen Unsinn! Und ich bin sicher: Nicht nur wir, auch 18 Millionen Menschen in Nordrhein-Westfalen stehen bei diesem Kampf hinter dir! Jetzt erst recht!

Aber wir haben nicht nur verteidigt, was ist, wir haben aus alter Stärke auch neue Stärken gemacht. Als alle in den späten Neunzigern nur noch von der „new economy“ sprachen, als Industrie als Sache von gestern galt, haben wir gesagt: Nein, Deutschland kann nicht nur vom Internet, von Banken und Versicherungen, vom An- und Verkauf leben. Unsere Wirtschaft wird nicht überleben, wenn sich die Deutschen nur noch gegenseitig die Haare schneiden! Wir haben unsere Industrie und das produzierende Gewerbe nicht verloren gegeben, wir haben uns darum gekümmert! Wie oft war ich deswegen in Brüssel und anderswo! Viele Neunmalkluge haben das damals belächelt, als altmodische Spinnerei, als Verweigerung der Moderne. Aber heute sehen wir, wie sich das für die Arbeitnehmer und ihre Familien auszahlt. In Großbritannien beneiden sie uns! Da hängt die Volkswirtschaft inzwischen zu 40 Prozent vom Finanzsektor ab, unsere nur zu 13 Prozent. Die hätten jetzt gerne unsere unseren Mittelstand und unsere starke Industrie von Stahl über die Chemie bis zum Maschinenbau und Automobilbau. Das macht uns wetterfester als andere, das müssen wir pflegen, auch in Zukunft.

Und die vielen anderen neuen Jobs! Ulla Schmidt hat gerade die Weichen dafür gestellt, dass im Gesundheitswesen 20’000 neue Pflegekräfte hinzukommen. Und wenn ich auf Klaus Wowereit schaue: Hier in Berlin ist der am dynamischsten wachsende Sektor die Kreativwirtschaft. Da kommt Neues dazu. Aber: Wir müssen Industrie und produzierendes Gewerbe schützen. So kommen wir voran in Deutschland!

Unser Land ist stark. Bei den Arbeitslosenzahlen steht Ende dieses Monats wahrscheinlich wieder eine Zwei vor dem Komma – zum ersten Mal seit 16 Jahren. Und wenn ich sage „Weniger als drei Millionen“, dann ist das natürlich immer noch viel zu viel. Aber hinter denen, die Arbeit gefunden haben, dahinter stecken unzählige Geschichten und Gesichter. Frauen und Männer, die wieder gebraucht werden und anpacken können, die wieder Zuversicht haben, eine Perspektive für sich und ihre Familie. Die Entwicklung am Arbeitsmarkt ist die Frucht unserer langfristigen Politik. Unser Kampf für Wachstum und Beschäftigung und gegen die Arbeitslosigkeit. Das zeigt doch jetzt Erfolg, und gerade weil jetzt wieder schwierigere Zeiten kommen, sage ich: Wir haben richtig gehandelt, und dazu sollten wir stehen!

Und noch etwas ist für uns ein Vorteil, den wir bewirkt haben: Deutschland ist in diesen Jahren weltoffener und toleranter als jemals zuvor geworden. So weltoffen, tolerant und zivil, dass die Konservativen dieses Land nicht mehr prägen können. Wir haben mit dem Unsinn aufgeräumt, dass Deutschland kein Einwanderungsland ist. Wir haben Ausländerkinder zu Inländerkindern gemacht!
Wir haben klargemacht: Echte Partnerschaft von zwei Menschen, die füreinander sorgen wollen, findet sich nicht nur zwischen Frau und Mann.
Wir haben für Millionen Frauen und Männer, die beides wollen – Kinder und Beruf – mehr Ganztagsschulen und Ganztagskindergärten durchgesetzt!
Wir haben das Konzept zum Elterngeld entwickelt, ich bin mit Renate Schmidt selbst tingeln gegangen für dieses Projekt. Und wir haben es später gegen Widerstände der Konservativen in der Union im Bundestag verabschiedet!
Und wir haben der Kultur in der Politik den Rang verschafft, der ihrer Bedeutung für das Gemeinwesen entspricht: nicht als Zaungast beim Sektempfang, sondern mit einem Staatsminister im Bundeskanzleramt! Und der nächste ist wieder von uns!

Fortschritt in Deutschland trägt unsere sozialdemokratische Handschrift! Nie war Deutschland, seine Kultur und seine innere Verfassung, so zutiefst sozialdemokratisch wie heute!
Das ist ganz wesentlich ein Verdienst unserer Partei, unseres mutigen Kampfes, und eines Bundeskanzlers Gerhard Schröder. Lieber Gerd, herzlichen Dank für deine Arbeit und diese Leistung!

Liebe Genossinnen und Genossen,
ich weiß natürlich auch um die Wunden, die bei der Durchsetzung dieser Politik bei manchen entstanden sind. Darum bin ich froh, dass wir mit dem Hamburger Programm wieder eine politische Basis haben, auf der sich alle sammeln. Das ist das Verdienst von Kurt Beck, und das wird bleiben! Kurt, du hast die Partei durch eine schwierige Zeit geführt – dafür schulden wir dir großen Dank und aufrichtigen Respekt! Das Hamburger Programm ist vorsorgender Sozialstaat und gute Arbeit, innovative Wirtschaftspolitik und Ordnung auf den Märkten, Klimaschutz und Wachstum durch ökologische Industriepolitik. Und nicht zuletzt, ganz zentral im Hamburger Programm: Bildung als die große soziale Frage unserer Zeit. Da liegen die Aufgaben, für uns alle gemeinsam!

Genossinnen und Genossen,
heute ist nicht die Zeit für kleine Ziele. Wir erleben eine Zeit, in der die Politik den Blick heben und nach vorn richten muss, damit wir die großen und grundlegenden Aufgaben sehen. Ich arbeite dafür, dass wir im Jahr 2020 sagen können: Wir haben heute in der Krise das Richtige getan. Wir haben heute für neue Ordnung und neues Wachstum gesorgt. Dass wir sagen können: Wir haben mit kluger, vorausschauender Politik die Arbeitslosigkeit nicht nur bekämpft, sondern besiegt.
In Westdeutschland und in Ostdeutschland. In einem sozial geeinten Deutschland. Genossinnen und Genossen, ich sage euch:
Vollbeschäftigung zu guten Löhnen und fairen Arbeitsbedingungen – das ist keine Utopie. Mit mutiger Politik schaffen wir das, trotz der aktuellen Krise!

Ich will mit euch dafür arbeiten, dass jeder gleiche Chancen auf sozialen Aufstieg hat. Wir wollen gemeinsam bessere Bildung nicht nur beschwören, sondern erreichen. Bildung ist Menschenrecht. Gute Bildungschancen sind eine Frage von Emanzipation und Demokratie. Und deshalb sage ich: Die Gebühren vom Kindergarten bis zur Uni müssen weg.
Ich weiß: Auch die Unionsparteien reden über Bildung. Das ist modern geworden. Aber meinen sie es auch ernst? Wenn es drauf ankommt, mehr junge Leute an die Uni zu bringen, führt die Union Studiengebühren ein. Wenn es drauf ankommt, mehr Geld für bessere Kindergärten und Schulen zu mobilisieren, da sind ihnen Steuergeschenke wichtiger, von denen die Gutverdiener am meisten haben. Wenn es drauf ankommt, für Kinder was zu tun, die es zu Hause schwer haben, zum Beispiel mit Ganztagsschulen, schaltet die Union häufig immer noch auf stur. Und nirgends ist die Zahl der Kinder, die es bis zum Abitur schaffen, so niedrig wie im angeblichen Vorzeigeland Bayern.
Liebe Freunde, dass ich heute hier stehe, verdanke ich Sozialdemokraten. In meinem Elternhaus war mir keine Schulkarriere in die Wiege gelegt. Ich war der erste in meiner Familie, der Abitur machen durfte, einer der ersten im Dorf überhaupt. Das alles war damals keine Selbstverständlichkeit. Es ging am Ende, weil uns in dieser Zeit sozialdemokratische Bildungspolitik Mut gemacht hat. Sie hat und Arbeiterkinder spüren lassen, dass wir willkommen sind. Sie hat Orientierung auch den Eltern gegeben, die Angst davor hatten, dass sich ihre Kinder möglicherweise an der Höheren Schule blamieren könnten. Ohne all das, ohne sozialdemokratische Bildungspolitik stünde ich nicht hier. Das ist einer der vielen Gründe, weshalb ich Sozialdemokrat geworden bin. Das ist einer der Gründe, weshalb mir Bildung und Durchlässigkeit der Bildungswege ein wirkliches Herzensanliegen sind. Deshalb ertrage ich es kaum, dass wir es in dieser Gesellschaft noch immer zulassen, dass jedes Jahr 80.000 Kinder und Jugendliche ohne jeden Schulabschluss verlassen! Wir dürfen nicht zulassen, dass jedes Jahr 15 Prozent eines Jahrgangs ohne Berufsausbildung bleiben – wir kennen deren Schicksal!

Wir dürfen uns nicht damit abfinden, dass hier eine verlorene Generation heranwächst. Wer soll das ändern, wenn nicht wir? Wenn wir Sozialdemokraten die nächste Regierung führen, dann werden wir alles dafür tun, um diese verlorene Generation in die Mitte der Gesellschaft zurückzuholen! Olaf Scholz hat damit schon angefangen. Wir müssen jetzt das Nachholen des Hauptschulabschlusses fördern. Für jeden eine zweite, und für denjenigen, der es braucht, auch eine dritte Chance.
Da wir nächste Woche Bildungsgipfel haben, will ich gleich von hier aus den Ministerpräsidenten der Union sagen: Komme mir am Ende niemand mit der Ausrede, es gebe für Bildung und Schule kein Geld. Die Erbschaftssteuer bringt den Ländern vier Milliarden Euro. Geld für Schulen, Geld für Sozialarbeit, Geld für Förderlehrer. Wer die Erbschaftsteuer nicht haben will, tut das auf Kosten unserer Kinder!

Ich will hier nicht über Kompetenzen und Zuständigkeiten reden, nicht über Schulformen und Instrumente. Richtige Erkenntnisse in Papieren gibt es längst genug, ebenso viele wie gute Beispiele. Deshalb halte ich auch wenig von einer Bildungsstiftung, die wieder nur neue Projekte finanziert. Lasst es uns doch einfach mal anders herum versuchen. Worum es jetzt geht, sind verbindliche Absprachen. Was wäre denn, wenn jedes Land – egal wo es jetzt politisch steht – verbindlich zusagte, ab sofort jedes Jahr die Zahl der Kinder ohne Schulabschluss um mindestens 10 Prozent zu senken, dann haben wir in fünf Jahren das Problem halbiert.
Herkunft und Stadtviertel dürfen keine Sperr-Riegel in die höheren Etagen der Gesellschaft sein. Das gilt besonders für Kinder aus Zuwandererfamilien. Wir brauchen mehr erfolgreiche Integration, und die gelingt, wenn talentierte Kinder von türkischen oder bosnischen Eltern in unseren Unternehmen endlich auch Prokurist statt Lagerist werden können, wenn sie auch Präsident einer Behörde werden können statt bloß Hausmeister unten am Tor. Wir brauchen diese Kinder – und sie müssen spüren, dass sie bei uns willkommen sind. Das meine ich, wenn ich sage das Bildungsversprechen, was meiner Generation damals gegeben war, müssen wir jetzt unter ganz veränderten Bedingungen neu begründen.

Lasst mich in diesem Zusammenhang noch etwas anfügen: Es soll ja mal einen führenden Sozialdemokraten gegeben haben, der in jungen Jahren Lehrer als faule Säcke bezeichnet hat. Ich weiß, dass der Betreffende das schon lange nicht mehr so sieht. Trotzdem will ich hier mal ausdrücklich sagen: Ich habe großen Respekt vor der Leistung der Lehrerinnen und Lehrer. Die heute oft nicht nur Stoff durchpauken, sondern auch Erzieher der Kinder sind, Psychologen und Ratgeber – und Vorbild sollen sie auch noch sein. Ich finde, sie hätten manchmal mehr Unterstützung von den Eltern verdient. Und mehr Respekt und Anerkennung von uns allen!
Für eine gute Zukunft brauchen wir nicht nur kreative Ingenieure. Wir brauchen auch leidenschaftliche Lehrer, die unseren Kindern Lust auf Lernen machen!

Liebe Genossinnen und Genossen,
ich will, dass Deutschland wieder ein Land des Fortschritts wird. Ein Land, das neugierig und offen in die Zukunft schaut! Ein der Facharbeiter und Ingenieure, ein Land der Erfinder und Tüftler. Ein Land der innovativen Unternehmen. Wir müssen noch mehr investieren in Wissenschaft, Forschung und Entwicklung!
Denn wir erleben eine Zeitenwende. Der Kulturkampf zwischen Ökologie und Ökonomie ist vorbei. Beides zusammen ist heute das Erfolgsrezept für eine gute Zukunft. Eine kluge und nachhaltige Energiepolitik, die weg vom Öl führt, wird im nächsten Jahrzehnt zum Motor des Fortschritts. Wenn wir effizienter mit Energie umgehen, machen wir Produkte billiger, sparen wir Rohstoffe und eröffnen ganz neue Geschäftsfelder mit zusätzlichen Arbeitsplätzen.
Zur Zeit leben etwa 1,5 Milliarden Menschen in entwickelten Gesellschaften, schon in einer Generation, 2025 bis 2030, werden es 4 Milliarden Menschen sein. Der Welthandel wird sich in dieser Zeit nochmals verdoppeln. Die Menschen werden Maschinen und Produkte brauchen. Maschinen, die mit weniger Energie auskommen; Produkte aus neuen Materialien statt aus teuren Rohstoffen. Vieles davon könnte aus unserem Land kommen. In all’ dem liegen jedenfalls große Zukunftschancen für sichere und neue Arbeitsplätze in Deutschland.

Eine intelligente Politik kann eine Menge tun, dass wir diese Chancen nutzen. Mit gezielter Förderung unserer Leitmärkte, mit intelligenter Regulierung und mit wachem Blick auf die Innovationszyklen unserer Wirtschaft.
Deutschland ist ein Industriestandort und muss es bleiben. Deshalb brauchen wir eine sichere und bezahlbare Stromversorgung. Und diese muss möglichst umweltfreundlich und nachhaltig sein. Beides muss unser Anspruch sein!
Wir haben den Atomausstieg durchgesetzt, und ich sage es hier ganz deutlich, nicht nur weil ich Monate, Wochen, Tage und Nächte damit zugebracht habe: Dieser Weg ist richtig! Die CDU behauptet, Atomkraft ist die Öko-Energie des 21. Jahrhunderts. Das hat der CDU-Generalsekretär wirklich ernst gemeint! Ich kann nur sagen: Wenn Atomkraft die Öko-Energie des 21. Jahrhunderts ist, dann ist die Erde eine Scheibe. Die CDU hat bei der Auswahl ihrer Generalsekretäre einfach Pech!

Nein, liebe Genossinnen und Genossen, eine sichere Energieversorgung wird es nur geben, wenn wir neue Wege gehen.

Erstens: Energie-Effizienz, ein riesiges Potenzial, mit dem wir die Kapazität von vier bis fünf Atomkraftwerken einsparen können. In Jena habe ich mir angeschaut, wie Licht mit einem Siebtel der heutigen Energie entsteht. Ein Quantensprung bei der Energieeinsparung und dazu noch: „Made in Ostdeutschland“.
Zweitens: massiver Ausbau der erneuerbaren Energien. Nichts Neues für uns, wir haben das begonnen. Ich will, dass bis 2020 rund ein Drittel des Stroms in Deutschland aus Wind, Sonne und anderen regenerativen Energien stammt.
Und drittens: Ich will bis 2020 doppelt so viele Kraftwerke mit Kraft-Wärme-Kopplung.

Aber selbst wenn dies geschafft ist, dürfen wir uns nicht in die Tasche lügen. Auch wenn ich weiß, dass es dazu andere Meinungen gibt, sage ich: Ein Industriestandort wie Deutschland, an dem 40 Millionen Arbeitsplätze hängen, wird auf absehbare Zeit auch neue hocheffiziente Kohle- und Gaskraftwerke brauchen. Wer keine neuen Kohlekraftwerke, natürlich auf dem neusten Stand der Technik, baut, hält die alten, ineffizienten am Netz – das ist kein Beitrag für eine bessere Umwelt! Meine herzliche Bitte ist: Überseht das nicht!

Aber es kommt nicht nur auf die Produktion an, auch auf die Verteilung von Energie kommt es an. Und auch hier stehen wir vor grundlegenden Veränderungen. Einige Unternehmen wollen sich von ihren Stromnetzen trennen. Es kann uns nicht gleichgültig sein, was damit passiert. Leistungsfähige, intelligente Netze sind die Lebensadern unseres Landes. Leistungsfähige Netze sind aber auch die Voraussetzung für die Erneuerung unserer Energieversorgung.
Ich will, dass der Staat deshalb mit in die Verantwortung geht. Die Zukunft der Netze ist eine gemeinsame Aufgabe von deutschem Staat und deutscher Wirtschaft, wenn notwendig auch eine Netzgesellschaft mit Beteiligung des Staates. Ich bin jedenfalls überzeugt: Einen so zentralen Teil deutscher Infrastruktur dürfen nicht einfach völlig aus der Hand gegeben. Wir reden hier nicht über nachgeordnete Spiegelstriche von Energiepolitik. Worum es hier geht, das kann langfristig die Kernfrage der nationalen Energiesicherheit sein.

Liebe Genossinnen und Genossen,
ich will, dass wir das „Modell Deutschland“, mit dem Willy Brandt und Helmut Schmidt so erfolgreich regiert haben, für die Zukunft neu begründen. Lieber Helmut: Niemand hat mehr politische Autorität in diesem Land als Du! Misch Dich weiter ein!

Ich will mit euch ein Land, in dem jeder seinen Platz hat, an dem er geschätzt und gebraucht wird: im Beruf, in seiner Familie. Ein Land, in dem gute Arbeit respektiert wird; in dem man weiß, dass Arbeit nicht nur einen Preis hat, sondern auch einen Wert. Ein Land, in dem Frauen nicht weniger verdienen, obwohl sie mindestens genauso viel leisten. Ein Land, in dem die Starken den Schwachen helfen und in dem wir den Schwachen helfen, stark zu werden.

Ich will mit euch ein Land, das in Europa und der Welt für Frieden und Verständigung steht. Dafür arbeite ich. Ein Land, in dem man ohne Angst voreinander verschieden sein kann, wie das Johannes Rau gesagt hat; und in dem man sich an die Regeln hält, weil das die Grundlage für jede tolerante und liberale Gesellschaft ist. Ein Land, in das der Glaube an unsere gemeinsamen Kräfte zurückkehrt.

Und ich will einen Punkt herausheben, der mir besonders am Herzen liegt: Ich will ein Land, in dem Null Toleranz gegenüber Rassisten und Rechtsextremisten herrscht, ein Land, das Hetzjagden von Neonazis gegen Menschen anderer Hautfarbe oder Meinung nicht duldet. Das sind wir nicht nur den Opfern des Nationalsozialismus schuldig, das sind wir auch der Geschichte unserer Partei, und der demokratischen Ordnung insgesamt schuldig.

Genossinnen und Genossen,
die CDU sagt, sie ist die Mitte – neuerdings heißt das: „bürgerliche Mitte“. Ich weiß nicht genau, was das bedeuten soll. Sicher ist nur: Wir alle sollen nicht dazugehören! Das ist der alte Dünkel einer Staatspartei, und das ist nicht unser Bild von unserem Land. In unserem Land wird Politik für alle gemacht. Und die Mehrheit entscheidet, wo es langgeht. Auch bei der nächsten Bundestagswahl.
Diese Mehrheit ist keine Schicht oder Klasse. Sie lässt sich nicht am Steuerbescheid oder dem Berufsstatus erkennen. Es sind all die Menschen, die sich gegen die Vorstellung von oben und unten zur Wehr setzen. Es sind die Menschen, die machen statt meckern, die sagen: Ja, wir packen gemeinsam an! Für diese große Mehrheit in unserem Land werden wir in den kommenden Monaten ein Angebot machen. Ein Wahlprogramm, das auf unserem Hamburger Grundsatzprogramm aufbaut, das konkret ist und zugleich ein ganzes Stück in die Zukunft weist. Wir müssen anspruchsvolle Lösungen erarbeiten; die Dinge zusammendenken. Lösungen suchen, bei denen wir nicht nur die Wirkungen im Blick haben, sondern auch die Nebenwirkungen. Dafür brauchen wir die Erfahrungen und Sichtweisen von möglichst vielen, unterschiedlichen Menschen – in der SPD und außerhalb.

Ich wünsche mir, dass alle dabei sind! Die Jusos und alle jungen Frauen und Männer: Bringt eure Vorstellungen von der Zukunft zu Papier und zu Gehör; eure Konzepte für eine bessere Bildung und Ausbildung, eure Wünsche an eine Familienpolitik, die euch im Leben hilft und unterstützt. Ihr seid gefragt, weil ihr die Zukunft unseres Landes bestimmen werdet, aber auch die Zukunft der SPD. Bitte beteiligt euch an dem, was wir jetzt vor uns haben.
Ich bitte die Gewerkschaften und die Arbeitnehmer: Lasst uns gemeinsam für eine neue Balance in dieser Gesellschaft streiten. Für ein Land, in dem klar ist: Wer Vollzeit arbeitet, muss einen Lohn bekommen, von dem er sich und seine Familie ernähren kann! Für ein Land, in dem Mitbestimmung nicht nur geschätzt, sondern auch geschützt wird! In dem Leiharbeit Auftragsspitzen abdeckt und eine Brücke in den Arbeitsmarkt ist, aber kein Instrument zum Lohndumping! In dem wir am Kündigungsschutz nicht rütteln, weil Arbeitnehmer diesen Schutz als Sicherheit und Auffangnetz brauchen.
Lasst uns auch die Zukunftsaufgaben gemeinsam angehen, mit innovativen Konzepten für die Bildung und Qualifizierung, wie sie Andrea Nahles mit der Arbeitsversicherung entwickelt; und mit flexiblen Übergängen für ältere Arbeitnehmer. Wir brauchen die Älteren. Wir können auf ihre Erfahrungen nicht verzichten – auch im Betrieb nicht. Lasst uns die Arbeitswelt danach gestalten!

Ja, liebe Genossinnen und Genossen,
wir wissen besser als andere, wie es unten aussieht in der Gesellschaft, wo Urlaub und Zweitauto keine Selbstverständlichkeit sind. Darum sind wir auch der Betriebsrat der Nation, wie manche sagen. Das müssen wir nicht zurückweisen. Nur beschränken lassen dürfen wir uns nicht darauf. Wirtschaft ist nicht das Feld der Anderen. Und unsere Leute erwarten von uns, dass wir es nicht den Anderen überlassen. Wirtschaft ist für die SPD oft Pflicht, nicht Kür! Da müssen wir anspruchsvoller werden, uns mehr fordern. Den anderen sind doch gerade die Wahrheiten abhanden gekommen. Das ist eine große Chance für uns!
Ich lade darum auch die Unternehmer ein, bei uns mitzumachen. Viele glauben, Union und FDP seien ihre natürliche Adresse. Aber ich kenne auch viele, die ins Nachdenken gekommen sind. Die sich uns nähern. Denen sage ich: Herzlich willkommen! Wir sind offen für alle, die ihre soziale und gesellschaftliche Verantwortung ernst nehmen, die innovativ sind und langfristig denken. Auf dieser Basis wollen wir die Sozialpartnerschaft neu begründen!

Und ich wende mich an die Älteren im Land – das werden immer mehr, die AG60plus ist bei uns jetzt die größte Arbeitsgemeinschaft: Die Menschen leben länger, sind länger aktiv und gesund, länger als jede Generation vor uns! Lasst uns gemeinsam überlegen, wie ein Teil dieses Geschenks auch für die Gemeinschaft genutzt wird. Im Ehrenamt, für andere, auch für allein erziehende Mütter und überforderte Familien. Es gibt so viel Sinnvolles zu tun! Wir brauchen euch!

Neugier, Vision und Erfahrung – das hatte immer Heimat in der SPD. Wir brauchen euch alle, die Jüngeren und die Älteren. Ihr seid Teil des Aufbruchs, der von diesem Parteitag ausgehen soll. Bitte fasst den Mut, dass es ein Aufbruch wird.

Liebe Genossen, das ist nicht irgendein Parteitag, und 2008 ist nicht irgendein Jahr. Deutschland erlebt eine Zeitenwende der Globalisierung. Die Politik kehrt zurück. Die soziale Demokratie ist wieder da. 2008 ist das Jahr dieser Wende. Und auf das Wendejahr folgt das Jahr der Entscheidung. Machen wir uns bereit. Fassen wir den Mut, den die Verantwortung braucht.

Genossinnen und Genossen,
Wahlergebnisse kommen nicht von allein. Wir werden kämpfen müssen, härter als zuvor. Und wer kämpfen will, braucht Kraft. Die Kraft der Partei – eure Kraft! Und die SPD braucht eine Führung, die sich mit ganzer Kraft einbringt. Was mich angeht, so verspreche ich das, und Franz und die anderen werden das auch tun.

Kanzlerkandidat für die Bundestagswahl zu sein, ist die höchste Verantwortung in der SPD im kommenden Jahr. Ich bin mir der Ehre, aber auch der Verantwortung bewusst. Ich hab das Kanzleramt von innen gesehen; ich weiß, was auf mich zukommt, im nächsten Jahr und nach dem Wahltag. Ich hab mich geprüft und ich hab nicht leichtfertig entschieden: Wenn ihr Vertrauen habt, dann bin ich bereit.

Ich will den Weg gehen. Ich möchte ihn mit euch gehen. Ich möchte ihn mit allen Bürgerinnen und Bürgern dieses Landes gehen, die daran arbeiten wollen, unser Land besser und menschlicher zu machen.

Ich rufe euch auf: Weg mit dem Kleinmut, zeigt Zuversicht und zeigt Selbstbewusstsein. Schließt die Reihen. Spielt nicht auf Platz, spielt auf Sieg Lasst uns kämpfen, damit Deutschland gewinnt!
Glück auf!

Sozialdemokratische Partei Deutschlands
Parteivorstand
Wilhelmstraße 141, 10963 Berlin
Telefon (030) 25991-300, FAX (030) 25991-507

Herausgeber: Hubertus Heil
Redaktion: Stefan Giffeler

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