Rede von Bundesaußenminister Guido Westerwelle vor Vertretern der deutschen Wirtschaft in der Außenhandelskammer Mercosul, São Paulo

Berlin (pressrelations) –

Rede von Bundesaußenminister Guido Westerwelle vor Vertretern der deutschen Wirtschaft in der Außenhandelskammer Mercosul, São Paulo

— es gilt das gesprochene Wort ?

Sehr geehrter Herr Porto,

meine Damen und Herren,

zunächst möchte ich Ihnen ganz herzlich danken für die Einladung und die Gelegenheit, mich mit Ihnen in dieser wichtigen Auslandshandelskammer auszutauschen.

Ich erinnere mich gut an meinen letzten Besuch in São Paulo und bei der Kammer hier in Santo Amaro. Das war im April 2003, auf der anderen Seite des Gebäudes. Ich erinnere mich gern an unsere Gespräche über die Chancen, die sich deutschen Firmen hier in São Paulo bieten. Aber auch über die Herausforderungen, denen sich die Stadt, das ganze Land und die Unternehmen stellen müssen.

Seit dem hat sich in Brasilien einiges getan. Brasilien hat an Wohlstand gewonnen und ist international zu einem Schwergewicht geworden: In den Vereinten Nationen, der G 20, der Welthandelsorganisation und bei den internationalen Klimaverhandlungen nimmt Brasilien eine wichtige Rolle ein. Wir ziehen häufig an einem Strang, sei es bei der Stärkung der Vereinten Nationen, bei unserem gemeinsamen Eintreten für die weltweite Abrüstung oder beim Streben nach einer stabilen Finanzordnung. Die immer enger werdende globale Zusammenarbeit stützt sich auf unsere traditionell engen bilateralen Beziehungen. Die wollen wir weiter vertiefen.

Die Bundesregierung wird Lateinamerika mehr als bisher zu einem zentralen Element der deutschen Außenpolitik machen. Deutschland wird seine Beziehungen in einer umfassenden Lateinamerika-Strategie neu definieren. Die Arbeit daran läuft seit meinem Amtsantritt auf Hochtouren.

Frische Ideen wird auch die diesjährige Botschafterkonferenz im Auswärtigen Amt bringen, die der Region Lateinamerika gewidmet sein wird. Dort werden wir die Agenda für die Lateinamerika-Politik der Bundesregierung weiter konkretisieren.

Wir fangen nicht bei Null an. Wir teilen grundlegende gemeinsame Werte. Dazu gehören Demokratie und Rechtsstaatlichkeit, die Notwendigkeit internationaler Kooperation und das Primat des Völkerrechts. Wir haben ganz ähnliche Vorstellungen über den Wert individueller Freiheit. Das verbindet. Unsere Lateinamerika-Politik knüpft an die lange Tradition an, die Deutschland und die Staaten Lateinamerikas verbinden.

Diese Verbindung lässt sich anhand konkreter Zahlen verdeutlichen: Mit einem Handelsvolumen von fast 20 Milliarden Euro gehört Deutschland zu den wichtigsten Handelspartnern Brasiliens. Und Brasilien ist Deutschlands wichtigster Handelspartner in Lateinamerika. Diese engen wirtschaftlichen Beziehungen bringen beiden Seiten große Vorteile, die wir nutzen und ausbauen möchten. Brasilien hat die Talsohle der Weltwirtschaftskrise besonders schnell durchschritten. Für 2010 wird dem Land bereits wieder ein Wirtschaftswachstum von 5% prognostiziert. Auch die Tochterunternehmen vieler deutscher Firmen in Brasilien, die hier in São Paulo ja besonders zahlreich sind, haben die Krise vielfach in guter Verfassung überstanden. Viele deutsche Unternehmen haben aufgrund der Stärke ihrer brasilianischen Töchter ihre Investitionen in Brasilien weiter verstärkt. Das freut mich sehr für Brasilien. Das freut mich aber auch für Deutschland, denn wenn das Auslandsgeschäft gut läuft, ist das auch gut für die Arbeitsplätze bei uns.
Als Außenminister werde ich die deutsche Wirtschaft mit dem gesamten Instrumentarium unterstützen, das mir zur Verfügung steht. Mit unserer Außenwirtschaftsförderung, der politischen Flankierung und den Mitteln der wirtschaftlichen Zusammenarbeit. Persönlich werde ich die Außenwirtschaftsförderung nicht mit spitzen Fingern betreiben, sondern sie zu einem festen Bestandteil deutscher Außenpolitik machen.

Kurz nach meiner Amtsübernahme habe ich veranlasst, konzeptionell Strategien zur Verbesserung der deutschen Außenwirtschaftspolitik zu entwickeln. Wir wollen die Außenwirtschaftsförderung für weitere Branchen öffnen und interessanter machen. Die Förderung kleiner und mittlerer Unternehmen liegt mir besonders am Herzen. Denn der Mittelstand ist das Rückgrat der deutschen Wirtschaft. Die brasilianische Wirtschaft hat einen beachtlichen Weg der Konsolidierung hinter sich gebracht. Die Mittelschicht hier wächst rasch und mit ihr der Binnenmarkt. Die Chancen, die sich auf diesem Markt bieten, wollen wir auch noch mehr kleinen und mittleren Unternehmen zugänglich machen. Den Mittelstand auf diesem Weg zu unterstützen, wird auch ein Schwerpunkt meiner Außenwirtschaftspolitik sein.

Brasilien steht mit Blick auf die Fußball-Weltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 vor großen Chancen. Wir wollen Brasilien mit unseren Erfahrungen bei der Vorbereitung sportlicher Großereignisse tatkräftig zur Seite stehen. Deutsche Unternehmen können bei dem Wissenstransfer eine Schlüsselrolle spielen. Besondere Möglichkeiten bietet hierbei der Ausbau der Infrastruktur. Die brasilianische Regierung hat dafür ein spezielles Förderpaket geschnürt. Ob beim Straßen- und Stadionbau, bei Systemen für den öffentlichen Verkehr, bei der Modernisierung der Häfen und Flughäfen oder der Schienen- und Wasserwege ? deutsche Unternehmen können einen großen Beitrag leisten. Auch bei der touristischen Vermarktung und der Sicherheitsarchitektur von Großveranstaltungen können sie ihr Know-How einbringen. Wenn Freunde Gäste empfangen, sind wir gern an ihrer Seite.

Die deutsche Wirtschaft hat eigens die „Initiative Win-Win 2014/16“ gestartet. Im Rahmen dieses Projekts formieren sich deutsche Unternehmen für etwaige Aufträge der Fußball-WM und der olympischen Spiele. Ihr Haus, die Auslandshandelskammer, ist selbstredend einer der Partner des Projekts. Ich freue mich sehr, dass der Vorsitzende dieser Initiative, Herr Dr. Zoller, mich auf dieser Reise begleitet. Dr. Zoller ist nicht nur eine profilierte Unternehmerpersönlichkeit, sondern auch Vorsitzender des „Brazil Board“ des Bundesverbandes der Deutschen Industrie. Das Brazil Board dient dem langfristigen Ausbau unserer wirtschaftlichen Beziehungen mit Brasilien und ist erst das zweite seiner Art, das die deutsche Wirtschaft nach dem US-Board eingerichtet hat. Das zeigt, welch hohe Bedeutung den deutsch-brasilianischen Wirtschaftsbeziehungen beigemessen wird und wie eng unsere Volkswirtschaften miteinander verbunden sind.

Die enge wirtschaftliche Verflechtung wollen wir auch als Grundlage für eine engere politische Abstimmung nutzen. Für die politische Zusammenarbeit werden wir neue Wege beschreiten. Die beeindruckende Entwicklung Brasiliens macht neue Kooperationsprojekte möglich und nötig. Präsident Lula hat bei seinem Deutschlandbesuch im Dezember letzten Jahres selbst von einer „dritten Phase“ der deutsch-brasilianischen Beziehungen gesprochen. Nach der ersten Phase der historischen deutschen Einwanderung nach Brasilien und der zweiten Phase der Industrialisierung mit der deutschen Autoindustrie als Motor, folge nun eine dritte Phase. Diesen Begriff möchte ich aufnehmen:

Wir wollen in dieser dritten Phase bereits existierende Kooperationen weiter ausbauen und uns neue Bereiche der Zusammenarbeit erschließen.

1. Gemeinsam Zukunftsmärkte erobern

Mit wachsender Wirtschaftskraft wächst in Brasilien der Bedarf an moderner Infrastruktur, sauberer Energie und verlässlicher öffentlicher Sicherheit. Themen wie Klimawandel und Biodiversität rücken in den Vordergrund. Wir setzen auf die nachhaltige Nutzung von Rohstoffen, die Entwicklung neuer Umwelt-Technologien und die Zusammenarbeit in Klimafragen.

Brasilien hat große Rohstoffvorkommen, riesige Tropenwälder, die für das Weltklima unersetzlich sind und echte Potenziale für erneuerbare Energien. Wir haben Spitzentechnologie „made in Germany“. Beides müssen wir zusammenbringen. Daraus können bedeutende Kooperationsprojekte werden, von denen beide Partner klar profitieren.

2. Gegenseitig von einander lernen.

Wer gemeinsam Zukunft gestalten will, muss über Bildung, Forschung und Innovationen sprechen. Viele akademische Partnerschaften mit deutschen Universitäten und Forschungsinstituten bestehen bereits. Darüber hinaus arbeitet seit kurzem ebenfalls in diesem Gebäude der Aufbaustab des „Deutschen Wissenschafts- und Innovationshauses“. Diese Initiative wird vom Auswärtigen Amt gefördert und ich bin davon überzeugt, dass das „Wissenschafts- und Innovationshaus“ einen besonders wichtigen Beitrag zur deutsch-brasilianischen Zusammenarbeit leisten wird.

Das alles sind keine für sich stehenden Einzelprojekte, sondern Ausschnitte einer breiten, politischen Gesamtstrategie. Es geht uns um dauerhaft enge und breite Beziehungen zu Brasilien, die über den wirtschaftlichen Charakter hinausgehen und auch politisch und gesellschaftlich belastbar sind.

3. Gemeinsam global Verantwortung übernehmen

Das wachsende wirtschaftliche und politische Gewicht Brasiliens macht eine Zusammenarbeit auf weltweiter Ebene zum beiderseitigen Nutzen möglich. Gemeinsames Ziel unserer Bemühungen muss es sein, die Globalisierung nach Werten und Regeln zu gestalten, damit Frieden und Sicherheit langfristig gewahrt bleiben.

Die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise hat nicht dazu geführt, den Prozess der Globalisierung zu verlangsamen oder gar aufzuhalten. Die Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise sind gerade Ausdruck einer fortschreitenden Globalisierung. Was in scheinbar weit entfernten Teilen des Globus geschieht, betrifft uns direkt. In der Wirtschaft und bei den Finanzen, der Umwelt, dem Klima, der Energie und der Ernährung gilt: Nur wenn wir global zusammenarbeiten, können wir nachhaltige Lösungen gemeinsam erreichen. Eine solche Zusammenarbeit zwischen Brasilien und Deutschland sollte ein Eckstein unserer bilateralen Beziehungen sein.

Gemeinsam müssen wir daran arbeiten, Krisen schon im Vorfeld durch präventive Außenpolitik zu entschärfen. Dafür müssen wir an die Wurzeln dieser Probleme gehen. Wo werden durch knappe Ressourcen Auseinandersetzungen wahrscheinlicher? Wie können wir ihnen mit unserem außenpolitischen und wirtschaftlichen Instrumentarium entgegenwirken? Unsere Außenpolitik muss verhindern, dass aus globalen Problemen globale Krisen werden. Außenpolitik heute muss dafür sorgen, dass die Globalisierung sich nach Regeln entwickelt und an Werten orientiert. Logischer Partner für diese Politik ist für uns Lateinamerika, weil wir auf dem gleichen Wertefundament stehen.

In Deutschland wird die Bedeutung der deutsch-brasilianischen Beziehungen und die neue Lateinamerika-Politik der Bundesregierung noch von manchem unterschätzt. Hier in Sao Paulo wird sie gelebt.

Es gibt nur wenige Städte auf der Welt, in denen das Netzwerk deutscher Einrichtungen so dicht ist wie hier. Neben den über 800 deutschen Firmen in der Region und Ihrer Einrichtung verfügt São Paulo auch über besonders starke Deutsche Schulen. Darunter ist die größte der Welt, die Porto-Seguro-Schule, die ich noch besuchen werde. Die enge Zusammenarbeit der deutschen Wirtschaft mit den Schulen beeindruckt mich besonders. Denn die Kammer und deutsche Firmen bieten hier in São Paulo ? eingegliedert in die Humboldt-Schule ? eine berufliche Ausbildung nach dem deutschen dualen Modell an. Ich freue mich, dass dieses Modell, das weltweit einen so ausgezeichneten Ruf genießt, auch hier angewendet wird.

Neben der großen deutschstämmigen Bevölkerungsgruppe tragen diese Einrichtungen durch die Vermittlung von deutscher Sprache und Kultur dazu bei, das Netz unserer Beziehungen auch über den wirtschaftlichen Bereich hinaus noch dichter zu knüpfen.

Auch das will die Bundesregierung verstärken. Hier in Sao Paulo habe ich gestern Abend mit Präsident Lula über unseren Wunsch gesprochen, 2013 zum Jahr Deutschlands in Brasilien zu machen. Er hat mich in dieser Planung bestärkt. Sie alle sind eingeladen, sich aktiv in die Planungen einzubringen.

Brasilien wird mit meinem Besuch jetzt zu Beginn dieser Legislaturperiode bis ins Jahr 2013, zum Ende dieser Legislatur, ganz oben auf der außenpolitischen Agenda der Bundesregierung stehen. Die Bedeutung der deutsch-brasilianischen Beziehungen, die hier vor Ort für jeden greifbar ist, findet damit in der Politik der Bundesregierung ihre Entsprechung.

Es ist aber nicht nur an den Regierungen, den Aktionsplan der strategischen Partnerschaft unserer Länder mit noch mehr Leben zu füllen. Ich setze auf Sie alle. Diese Auslandshandelskammer, als eine der größten und wichtigsten ihrer Art wird weiter eine unersetzliche Rolle spielen. Sie fungiert als Scharnier, das für die reibungslose Verbindung unserer Volkswirtschaften sorgt. Sie können sicher sein, dass die Bundesregierung Sie weiterhin dabei nach Kräften unterstützt.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

Weitere Informationen
Internetangebot des Auswärtigen Amts:
www.auswaertiges-amt.de