Rede von Bundesratspräsident Müller zum Abschluss seiner Präsidentschaft

Berlin (pressrelations) –

Rede von Bundesratspräsident Müller zum Abschluss seiner Präsidentschaft

in der 862. Sitzung des Bundesrates am 16. Oktober 2009

Meine sehr verehrten Damen und Herren, erlauben Sie mir, einer guten Übung in diesem Hause folgend, einen kurzen Rückblick auf das ablaufende Geschäftsjahr und wenige Bemerkungen dazu!

Der Bundesrat war in mehrfacher Weise besonders gefordert:

Es ist ziemlich genau ein Jahr her, dass wir hier das erste Mal über die politische Reaktion auf die Wirtschafts- und Finanzkrise gesprochen haben. Wir waren auch damals dem generellen Verdacht ausgesetzt, dass das föderale System der Bundesrepublik Deutschland, in Sonderheit der Bundesrat, unbeweglich ist und auf aktuelle Krisenentwicklungen nicht angemessen schnell und intensiv reagieren kann.

Ich meine, alle staatlichen Organe, auch dieses Haus, haben bewiesen, dass es sich dabei um ein Vorurteil handelt. Wir haben die notwendigen Regelungen zur Stabilisierung der Finanzmärkte in der gebotenen Gründlichkeit, aber auch in der gebotenen Schnelligkeit beraten und beschlossen. Wir in den Ländern haben im Übrigen die Umsetzung der Konjunkturpakete zu einem zentralen Thema gemacht. Wenn heute auf europäischer Ebene festgestellt wird, die Bundesrepublik Deutschland befinde sich bei der Bewältigung der Krise in einer Position im Vorderfeld, sie sei auch mit Blick auf die Zukunft im Vergleich zu anderen Ländern gut aufgestellt, liegt das auch an dem entschlossenen Handeln dieses Hauses. Ich denke, daran sollte an einem Tag wie diesem erinnert werden.

Ein zweites Thema war kompliziert und musste gleichwohl zügig erledigt werden: die Umsetzung der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon. Uns war aufgegeben worden, die gesetzliche Regelung der Beteiligung von Bundestag und Bundesrat als Voraussetzung für die Ratifikation des Vertrags neu zu formulieren. Es drohte, dass dieses Gesetzgebungsverfahren der Diskontinuität zum Opfer fällt. Gleichwohl ist es gelungen, die notwendigen Gesetze vor Ablauf der Legislaturperiode zu beschließen. Dabei sind die Interessen und Rechte des Bundesrates insbesondere von Professor Reinhart in vorbildlicher Weise vertreten worden. Auch hier haben wir Handlungsfähigkeit bewiesen. Auch hier hat sich gezeigt: Das föderale System der Bundesrepublik Deutschland ist geeignet, schwierige Herausforderungen zu meistern. Es hat sich bewährt.

Das heißt nicht, dass es nicht an der einen oder anderen Stelle Änderungs- und Reformbedarf gibt. Auch das war ein Thema im ablaufenden Geschäftsjahr. Wir haben die zweite Föderalismuskommission abgeschlossen und auf dieser Grundlage neue verfassungsrechtliche Regelungen zur Schuldensituation, zu den Bund-Länder-Finanzbeziehungen miteinander vereinbart und beschlossen.

Auch dort stellte sich die Frage, ob und inwieweit vor dem Hintergrund durch die Wirtschafts- und Finanzkrise sich verändernder Rahmenbedingungen die Fortsetzung der Debatte über die Schuldenbremse noch sinnvoll ist. Ich meine, es war richtig, dass wir, obwohl sich die finanzpolitischen Rahmenbedingungen dramatisch verändert haben, gemeinsam einen Weg gefunden haben, um den Marsch in den Schuldenstaat zu stoppen. Die Schuldenbremse ist sicherlich eine große Herausforderung für alle gemeinsam. Sie ist allerdings so ausgestaltet – das wird in der öffentlichen Debatte allzu häufig übersehen -, dass auch auf unvorhergesehene und unvorhersehbare Ereignisse flexibel reagiert werden kann, dass antizyklische Politik möglich bleibt. Dies ist ein Thema, mit dem wir uns bei der Umsetzung der Vorgaben, die wir angesichts der Wirtschafts- und Finanzkrise gemacht haben, noch intensiv zu beschäftigen haben. Ich erlaube mir in diesem Zusammenhang eine Anmerkung.

Es ist sicherlich richtig, wenn die flexiblen Möglichkeiten, die die Schuldenbremse bietet, gerade jetzt für Maßnahmen eingesetzt werden, die den konjunkturellen Aufschwung beschleunigen, und dafür zusätzliche Mittel und zusätzliche Verschuldung in Kauf zu nehmen. Dass dies auf einem gesonderten Konto stattfinden muss, dass gesonderte Tilgungspläne erstellt werden müssen, ist ebenfalls richtig.

Richtig muss aber auch sein, dass dieser Mechanismus für alle von der Schuldenbremse Betroffenen gilt: für den Bund und für die Länder, und zwar auch für diejenigen, denen schon vor Beginn der Wirtschafts- und Finanzkrise besondere, unverschuldete finanzielle Probleme attestiert und Konsolidierungshilfen zugesagt worden sind, um auf dem Weg zur Erfüllung der Anforderungen der Schuldenbremse im Gleichschritt mit der Gemeinschaft der Länder marschieren zu können.

Wenn wir über die Frage der staatsvertraglichen Regelung der Gewährung der Konsolidierungshilfen sprechen, darf dieser Aspekt nicht außen vor bleiben. Das Marschieren im Gleichschritt mit der Gesamtheit der Länder muss die Maxime bei der Gewährung der Konsolidierungshilfen sein. Für nicht zielführend halte ich es zu sagen: Die finanziellen Rahmenbedingungen haben sich verändert, damit gelten die Zusagen der Konsolidierungshilfen für die Zukunft nicht.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, der Bundesrat hat in diesem Jahr sein 60-jähriges Bestehen gefeiert. Das war Anlass, selbstbewusst Bilanz zu ziehen. Der Bundesrat ist unverzichtbarer Teil der verfassungsmäßigen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland. Wir haben anlässlich des Jubiläums im Rahmen eines Symposiums in Saarbrücken über das Verhältnis von föderaler Vielfalt und europäischer Integration diskutiert.

Meine feste Überzeugung ist: Europäische Integration und föderale Vielfalt widersprechen sich nicht, im Gegenteil, sie bedingen sich gegenseitig.

Ich bin fest davon überzeugt, dass das Europa der Zukunft ein Europa der Regionen sein wird, von Regionen, die man nicht nur national, sondern auch grenzüberschreitend denken muss. Ein Europa der Regionen, ein Europa der Subsidiarität hat mit der föderalen Struktur der Bundesrepublik Deutschland ein Beispiel, das sicherlich nicht in allen Einzelheiten auf andere europäische Länder übertragen werden kann, das sich aber bewährt hat. Hierbei kommt dem Bundesrat eine unverzichtbare Funktion zu.

In diesem Sinne war es für mich eine Ehre und ein Vergnügen, den Bundesrat im ablaufenden Geschäftsjahr präsidierend und koordinierend führen zu können. Ich wünsche meinem Nachfolger viel Erfolg bei seiner Arbeit und uns allen, dem Bundesrat, alles Gute und das Beste für unser Land.

Ich bedanke mich für die Aufmerksamkeit.

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