(BSOZD.com-NEWS) Flensburg. Rezensent: Willi Schewski – Titel irreführend und gefährlich! Es ist ein rätselhaftes Symptom: Selbstverletzendes Verhalten. Sabine Marya beschreibt diesen Begriff – kurz SVV- in ihrem kleinem Büchlein knapp, bündig und für Außenstehende verständlich. Die Erklärungen werden durch Gedichte, Zeichnungen und Prosatexte von betroffenen Frauen ergänzt, die in bisweilen berührenden Aussagen ihre Sorgen und Nöte dokumentieren.
Soweit die positiven Aspekte dieser Lektüre.
Dennoch überwiegen fragwürdige, zu kritisierende Teile des Buches, die es hier zu entschlüsseln gilt.
Beispiel Heilung:
Die Autorin benutzt in ihrer Lektüre regelmäßig den Begriff „Heilung“. Sie behauptet: „`Rote Tränen` zeigt neue Wege und Heilungsschritte auf, durch die hier vorgestellten Handlungsmöglichkeiten auf dem Heilungsweg und in Krisen“.
Ein hoher Anspruch. Kommt die Autorin diesem nach?
Beim Leser dürften Zweifel aufkommen:
Was ist a) neu an den Begriffen „Tresor-Übung“, „Imaginationsübung: Der sichere Ort“, et cetera p.p.?
Können b) diese Übungen dem Leser, dem Patienten, helfen, sein SVV abzulegen? Wenn ja, kann sie dieses belegen?
Darüber kein Wort.
Wenn man die Übungen analysiert, kommt Skepsis auf. Bestenfalls dürften die „Handlungsschritte“ Vorschub leisten, das Überleben des ehemaligen Opfers in einer Krise zu sichern. Doch was hat Überleben mit Heilung zu tun?
Beispiel Therapie:
Die Autorin verstrickt sich bei diesem Thema in Widersprüche und lässt den Leser mit unbeantworteten Fragen stehen. Sabine Marya schreibt: „Sie (die Therapeuten) halten sich an starre verhaltenstherapeutische Kataloge, um die Patienten während des Klinikaufenthaltes am SSV zu hindern, doch das ist nicht der Heilungsweg. Es muss sich etwas verändern, damit wir uns nicht mehr selber verletzen müssen!“
Das mag richtig sein. Doch W a s müsste sich verändern, damit „wir uns nicht mehr selber verletzen müssen“?
Darauf gibt die Autorin keine Antwort.
Weiter schreibt sie: „ (…) Heute sind wir zum Glück, nach vielen Jahren Therapie, noch andere Möglichkeiten dazu gekommen. Das liegt v.a. daran, dass wir in der Therapie viel GUTES gelernt haben und dass wir nicht mehr wie früher isoliert sind.“
Diese Darstellung düngt einseitig, allgemein gehalten und naiv. Es wird ungeprüft zur Grundlage gestellt, Therapie helfe und es würde „viel GUTES gelernt“.
Doch was ist mit „viel GUTES“ gemeint?
Es ist unverantwortlich gegenüber dem Leser, so zu tun, als seien alle Therapeuten o.k.. Für Leidende ist es nicht selten ein Spießrutenlauf, einen redlichen Therapeuten zu finden. Manche brauchten Jahre, um diesen aufzuspüren.
Über diese Fakten findet Sabine Marya kein Wort. Kann ein Leser, der zehn Euro für ein Buch über dieses komplexe Thema investiert, nicht mehr Verantwortungsgefühl von einer Sachbuchautorin erwarten?
Beispiel Freundschaft:
Sabine Marya schreibt: „Es gibt eine Freundin, die für uns wie eine große Schwester geworden ist, und die können wir immer anrufen, auch nachts, und wir waren schon ein paar Mal in sehr schlimmen Krisen für ein paar Tage bei ihr, wir wissen, sie ist immer für uns da, so wie unseres andere engste Freundin. Dann gibt es noch eine wichtige rau, mit der schreiben und mailen wir, und das hilft uns sehr, auch in Krisen, denn ihr können wir alles sagen, und wir sind auf einer Ebene, kein größerer oder kleiner. manchmal ist es einfach zu schreiben als jemandem zu sagen: Hilfe ich habe eine Krise! Freunde sind so wichtig geworden in unserem leben, und wir sind so dankbar, dass es sie gibt!“
Als erstes fällt auf, dass der weibliche Begriff („Freundin“) dominiert. An vielen Stellen des Buches könnte man denken, als sei es nur für Frauen geschrieben. Sicherlich sind weibliche Menschen die unter SVV leiden in der Überzahl. Doch gibt es ebenso männliche Opfer, männliche Angehörige von sich selber verletzenden Menschen und männliche potentielle Käufer des Buches. Warum wurden diese ausgeschlossen?
Ein weiterer Aspekt: Jeder, der sich in der Welt umschaut, weiß, das es naiv wäre, zu glauben, es gäbe Menschen, die sich jederzeit liebevoll um die Probleme seelisch leidender Freunde sorgten. Leider ist es so, dass sich die meisten „Freunde“ einen Kehricht darüber kümmern, ob wir uns in einer seelischen Krise befinden oder nicht. In sofern wäre es treuherzig zu glauben, man fände einen Menschen, der die, in dem Buch optimalst beschriebene Position, einnähme.
Seelisch schwer verletzte Menschen gehören eher NICHT zu jener Spezi, die nach draußen gehen und sagen: „Hilfe, ich habe eine Krise!“. Sie sind scheue, ängstliche Menschen, die aus Erfahrung ihrer traumatischer Kindheit „lernten“, sich aus Selbstschutz abzukapseln. Die in dem Buch beschriebene prima-Freundin“ Lösung wäre zwar strebenswert, stellte sich jedoch in der Realität als fragwürdig dar.
Ähnlich problematisch dürfte es für Angehörige eines sich selbst verletzenden Menschen sein. Diese Situation bedeutet eine außergewöhnliche Herausforderung. Viele Partnerschaften scheitern daran. Es wäre für einen Angehörigen eine Überforderung, den Dingen, so, wie sie in dem Buch beschrieben werden, zu meistern. Hauptansprechpartner sollte ein/e redliche/r, einfühlsame/r Therapeut/in sein – doch an dem mangelt es, wie die Autorin schreibt.
Beispiel Schuld, Wahrheit, Sühne:
Es erstaunt, das die Autorin keine klare Stellung gegen den/die Täter/innen nimmt. Weiter vermeidet die Autorin, die Schuld der Menschen hervorzuheben, die das Leiden der Opfer auslösten: Meistens sind es doch die Eltern, die uns als Kinder schlugen, missachteten, missbrauchten, vergewaltigten.
Hätte es der leidende Mensch, der sich schneidet, nicht verdient gehabt, hervorgehoben zu bekommen, das die Schuld der Täter (Eltern) eindeutig auf DEREN Seite liegt? Würde es dem betroffen Leser nicht gut tun, zu lesen: Das was der/die Täter/in früher tat/en, ist ein Verbrechen. Das was er/sie tat/en ist verwerflich, ER/SIE ist/sind SCHULD. Du hast das Recht, diese Wahrheit zu erkennen und deutlich auszusprechen. Dein Therapeut hat die Pflicht, dieses zu bestätigen und Dir beizusprechen, ohne Dich mit Moral oder Pädagogik zu verraten?
Die Autorin vergab diese Chance, dem Leser GUTES zu tun, indem sie Stellung bezieht. Wovor fürchtete sie sich?
Resümee:
Das Buch enttäuscht. Betroffene, die sich selbst schneiden, profitieren von der Lektüre mitnichten. Der blumige Werbetext auf dem Buchrücken „Rote Tränen ein Heilungsbuch …“ ist irreführend und gefährlich. Die von der Autorin offerierte Hoffnung für Leidende „Heilungsschritte“ zu erfahren, ernüchtert. Die genannten „neue(n) Wege und Heilungsschritte“ sind alt, sie „helfen“ sich selbst verletzenden Menschen allenfalls beim Aushalten der Qual; sie dienen bestenfalls als Überlebensstrategie, für den kritischen Moment. Der von der Autorin genannte Begriff „Heilung“ ist Humbug und Quacksalberei.
Produktinformationen:
„Rote Tränen. Texte, Lyrik und Bilder zum Thema Selbstverletzung“
Autorin: Sabine Marya
Erschienen im Engelsdorfer Verlag
ISBN 3867030480
ca. 100 Seiten
Preis: 10,00 Euro
Agentur:
Pressebuero Nord
Willi Schewski
Postfach 2825
24918 Flensburg
Tel.: 0461-4808644
Mobil: 0171-9407176
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