RÖSLER-Interview für den „Westfälischen Anzeiger“
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundeswirtschaftsminister, DR. PHILIPP RÖSLER, gab dem „Westfälischen Anzeiger“ (Mittwoch-Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten MARTIN KRIGAR und MANFRED BRACKELMANN:
Frage: Am 13. Mai wählt Nordrhein-Westfalen. Entscheidet sich dann die Zukunft der Partei und ihres Vorsitzenden Philipp Rösler?
RÖSLER: Ich sage seit eh und je: Entscheidend ist nicht die Person, sondern die Leistungs- und Überzeugungskraft der Partei. Und ich habe keinen Zweifel, dass wir in Schleswig-Holstein und in NRW einen Wahlerfolg haben werden.
Frage: Als Generalsekretär hat Christian Lindner vor wenigen Monaten den FDP-Vorsitzenden im Stich gelassen. Jetzt müssen Sie ihn im NRW-Wahlkampf unterstützen. Wie schwer fällt Ihnen das, zumal Lindner von Düsseldorf aus mit belehrender Kritik an Ihnen nicht spart?
RÖSLER: Das sehe ich anders. Christian Lindner und ich hatten gute Gespräche schon im Januar, als noch überhaupt nicht feststand, dass es hier Neuwahlen geben würde. Ich freue mich sehr, dass Christian Lindner jetzt aus der Reserve zurückgekehrt und bereit ist, so große Verantwortung in Nordrhein-Westfalen zu übernehmen. Es geht um die Sache, und da sind wir nirgendwo unentschieden oder gar auseinander.
Frage: Bei keiner derzeit denkbaren Regierungskoalition spielen die Liberalen eine Rolle. Warum sollte man Ihre Partei überhaupt noch wählen?
RÖSLER: Keiner leugnet, dass es im Grunde nur noch sozialdemokratische Parteien gibt. Und gerade die CDU in Nordrhein-Westfalen sucht derzeit in einem ausgeprägten Linkskurs ihr Heil. Das ist ihre Sache, aber sie überlässt uns damit viel Platz. Ein Mann wie Karl-Josef Laumann deckt zahlreiche Themen nicht ab, die wir Liberalen für uns beanspruchen: Solidität der Haushaltsführung und das klare Bekenntnis zu Gymnasien wie zum Wirtschaftsstandort NRW. Insofern sind wir inhaltlich eine notwendige und überzeugende Alternative.
Frage: Am Osterwochenende hat sich der zweite FDP-Wahlkämpfer — Wolfgang Kubicki aus Schleswig-Holstein — klar von Ihnen distanziert. Haben die Liberalen womöglich größere Chancen, wenn sie sich gegen den Bundesvorsitzenden positionieren?
RÖSLER: Ich schätze Wolfgang Kubicki persönlich sehr und beobachte, dass auch er in seinem Wahlkampf das Thema Wachstum positiv aufgegriffen hat, freilich auf seine Weise. Dabei soll auch jeder seinen speziellen Akzent pflegen. Ich sehe also inhaltlich keinen wirklichen Dissens. Wir haben schon mehrere gemeinsame Wahlkampfauftritte bestritten und werden das selbstverständlich fortsetzen. Wolfgang Kubicki bekommt natürlich jede Unterstützung der Bundespartei — thematisch wie auch personell.
Frage: Unterstützung sieht aus Sicht Kubickis offensichtlich anders aus: Er kritisiert Ihre neue Strategie als unklar, fragt mit offenem Spott, ob es um Familien- oder Haarwachstum gehe. Was kann ein Parteichef denn noch wegstecken, ohne sich zu wehren?
RÖSLER: Es ist Wolfgang Kubickis Markenzeichen, dass er gern mal überspitzt formuliert. Im Kern ist für uns alle klar: Wachstum ist mehr als nur die Steigerung des Bruttosozialproduktes, aber es ist die Grundlage unseres Wohlstands. Wer Wachstum haben will, braucht aber auch z.B. moderne Familienpolitik. Man sieht es aktuell bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf: Da gibt es unleugbare Meinungsverschiedenheiten auf Bundesebene und im Süden mit dem Koalitionspartner. Innerhalb der FDP herrscht hier grundsätzliche Übereinstimmung.
Frage: Auf Bundesebene versuchen Sie ansonsten, sich durch offene Konfrontation von der Union abzugrenzen. Kanzlerin Angela Merkel wird gleichzeitig immer sozialdemokratischer. Warum halten beide Seiten überhaupt noch an dem Bündnis fest?
RÖSLER: Weil Schwarz-Gelb bei allem Ringen um die beste Lösung die momentan leistungsfähigste Regierungskonstellation ist. Niemand bezweifelt: Deutschland steht heute gut da. Das hätten andere nicht geschafft. Die FDP nimmt ihre unbequeme Rolle als Korrektiv verantwortungsvoll wahr: Wir hätten sonst heute vergemeinschaftete Schulden in Europa, eingeengte Bürgerrechte und mehr Belastungen für die Menschen an breiter Front. Hartnäckige Liberale sind doch unersetzlich.
Frage: Wird sich die FDP beim Betreuungsgeld durchsetzen?
RÖSLER: Hier muss zunächst die Union ihre Position finden. Und wenn sie so weit ist, kann sie gerne auf uns zukommen.
Frage: Das klingt mehr nach Provokation als nach inhaltlicher Annäherung…
RÖSLER: Jeder sieht, dass es eine harte Auseinandersetzung innerhalb der Union gibt. Keiner will oder kann heute sagen, welche Haltung die Union letztlich vertritt. Wenn sich plötzlich 23 Abgeordnete der Union melden und klarmachen, dass sie dem Entwurf zum Betreuungsgeld in dieser Form nicht zustimmen, dann reicht das für eine Mehrheit der Koalition nicht aus. Es muss einen klaren und mehrheitsfähigen Gesetzentwurf geben. Also liegt der Ball jetzt für alle sichtbar im Feld der Union.
Frage: Reizthema Pendlerpauschale: Es gibt Berechnungen, nach denen eine Erhöhung vor allem Besserverdienenden zugute käme — also wieder einmal Ihrer Wähler-Hausmacht…
RÖSLER: Gerade das Thema Pendlerpauschale zeigt, was der Mitte der Gesellschaft zugute kommt. Jeder, der morgens aufsteht und zur Arbeit fährt — ob mit dem Auto oder der Bahn — hat Ausgaben. Die Gruppe muss gerecht behandelt und entlastet werden, denn das sind die Menschen, die unseren Wohlstand tagtäglich erwirtschaften.
Frage: Als Sie die Transfergesellschaft für Schlecker verhinderten, wurde viel weniger über marktwirtschaftliche Grundsätze geredet als über die Kälte der Wirtschaftspartei FDP. Versagt Ihre Außendarstellung?
RÖSLER: Da wollten uns andere gern ein böses Etikett ankleben. Aber hier ging es um die beste Lösung für die Betroffenen selbst, denn eine Transfergesellschaft hätte den Banken geholfen und den Mitarbeiterinnen nur etwas vorgegaukelt. Bei der dezentralen Schlecker-Struktur sind die erprobten Arbeitsagenturen die beste Hilfe. Und zudem: Wenn kleine Unternehmen bankrott gehen, kommt der Pleitegeier; bei den Großen soll der Bundesadler kommen und helfen. Das ist nicht gerecht und mit uns Liberalen als Mittelstandspartei nicht zu machen.
Frage: Ihr NRW-Spitzenkandidat Christian Lindner ging auch in dieser Debatte auf Distanz zu Ihnen: Er hätte das Wort „Anschlussverwendung“ für Schlecker-Beschäftigte vermieden und anders formuliert, sagte er.
RÖSLER: Noch einmal: Es geht um die Sache. Und da hätte Christian Lindner sicher genau so gehandelt. Wenn hier die FDP nicht eingeschritten wäre, hätten alle anderen Parteien anders entschieden. Zu Lasten der Steuerzahler und auch der Zukunftschancen der Betroffenen.
Frage: Die Entmachtung Guido Westerwelles liegt jetzt einige Zeit zurück. War der Schritt richtig — zumal sich einige Ihrer Kritiker jetzt mit fast nostalgischen Gefühlen an ihn erinnern?
RÖSLER: Wir müssen uns gar nicht an Guido Westerwelle erinnern, wir haben ihn ja. Und ich sage ganz bewusst: zum Glück! Wir haben einen Außenminister, der Deutschlands internationale Interessen hervorragend vertritt. Denken wir gerade an seine Bemühungen um Europas Zusammenhalt und den Arabischen Frühling oder an seine Erfolge in der Friedenspolitik.
Frage: Sie haben einmal angekündigt. sich mit 45 Jahren aus der Politik zurückzuziehen. Das wäre in sechs Jahren. Wie alt fühlen Sie sich heute?
RÖSLER: Ich bin gerade 39 geworden. Und ich freue mich auf den weiteren Verlauf dieser und auf die nächste Legislaturperiode. Erst wenn die endet, werde ich 45.
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