Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte, Urteil vom 6.10.2016 – 33696/11
Seit einigen Jahren gehört die Frage nach der Zulässigkeit der sogenannten Steuer-CDs zu den absoluten Dauerbrennern des Steuerstrafrechts. Eine Steuer-CD liegt vor, wenn deutsche Behörden Datenträger ankaufen, auf denen sich Informationen über Kunden ausländischer Banken oder Finanzdienstleister befinden. Die so gewonnen Erkenntnisse sollen meist zum Zweck der (Steuer-)Strafverfolgung genutzt werden. Die Herkunft der CDs ist in der Regel zwielichtig und die Beschaffung durch die Verkäufer erfolgt auf illegalem Weg.
Ein rein fiktives Beispiel lautet: Der ehemalige Mitarbeiter der Bank X in der Schweiz verkauft einen illegal beschafften Datenträger mit Daten deutscher Kunde an die Steuerbehörde des Bundeslandes Y. Letztere zieht Erkenntnisse aus diesen Daten und klagt den Bürger Z wegen Steuerhinterziehung gem. § 370 Abs. 1 AO an.
Neben der philosophischen Frage, ob der Zweck tatsächlich jedes Mittel rechtfertigt, ist dies auch ein juristisches Problem. So setzten sich im Laufe der Zeit etliche Gerichte mit der Zulässigkeit dieser Steuer-CDs auseinander.
Nun hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in dem Sinne entschieden, dass die Verwendung von Daten, die durch den Ankauf einer Steuer-CD erlangt wurden, zur Strafverfolgung zulässig sei. Dies soll selbst dann noch gelten, wenn die Beschaffung der CD durch den Verkäufer rechtswidrig war. Ein gezielter Gesetzesbruch der deutschen Behörden im Ausland sei nicht ersichtlich. Hinsichtlich der Schaffung möglicher Anreize zu Straftaten durch Dritte durch deutsche Behörden äußerte sich der EGMR nicht.
Damit folgte der Gerichtshof dem Bundesverfassungsgericht, welches die Rechtslage in seinem Urteil vom 9.11.2010 – BvR 2101/09 ebenso bewertete. Im konkreten Fall war die Wohnung der Kläger im Verlauf eines gegen sie gerichteten Strafverfahrens durchsucht worden. Gestützt wurde die Klage auf Art. 8 EMRK, wonach jede Person das Recht auf Achtung ihres Privat- und Familienlebens, ihrer Wohnung und ihrer Korrespondenz hat. Ungeklärt blieb, ob der Anlass des gesamten Strafverfahrens Erkenntnisse waren, die der Bundesnachrichtendienst über eine Steuer-CD erlangt hatte. Eben aufgrund dieser möglicherweise rechtswidrigen Beschaffung der Daten, die zum Auslöser wurden, stand die Zulässigkeit solcher Steuer-CDs in Frage. Die Kläger waren im Strafverfahren zwar freigesprochen worden, doch begehrten die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung. Der EGMR sah keinen Verstoß gegen Art. 8 EMRK gegeben.
Aus der Entscheidung folgt allerdings nicht, dass die betroffenen ausländischen Staaten in der Beschaffung der Daten-CDs keine strafrechtlich relevanten Handlungen sehen können. Eine solche Bindungswirkung geht von dem Urteil nicht aus. Für deutsche Staatangehörige, die über Konten im Ausland verfügen und sich unter Umständen dem Vorwurf der Steuerhinterziehung ausgesetzt sehen, bleibt aber kaum noch Raum, um sich auf die Unzulässigkeit der Verwendung von aus Steuer-CDs gewonnenen Daten zu berufen.