Studie findet Zusammenhang zwischen seltener Mutation und schwerer neurologischer Störung

Forschung an der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften bringt neue Erkenntnisse zur Vernetzung und Entwicklung von Hirnzellen.

Krems (Österreich), 20. November 2024. Ein Forschungsteam der Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (KL Krems) hat die komplexen Auswirkungen einer seltenen genetischen Mutation auf die Kommunikation zwischen Nervenzellen untersucht. Dabei konnten wertvolle Einblicke in die Ursachen von entwicklungsbedingten und epileptischen Enzephalopathien(DEE, developmental and epileptic encephalopathies) gewonnen werden. Die Ergebnisse zeigen, dass eine spezielle Mutation in einer regulatorischen Untereinheit eines Kalziumkanals den Kalziumtransport und die Vernetzung von Nervenzellen beeinträchtigt. Dies erweitert das Verständnis über die Entstehung neurologischer Entwicklungsstörungen. Die Studienergebnisse wurden jetzt in der Fachzeitschrift „Journal of Neurochemistry“ veröffentlicht.

Ionenkanäle spielen eine zentrale Rolle bei der Signalübertragung im Nervensystem und werden dazu präzise reguliert. Eine wichtige Rolle haben dabei Proteine der α2δ-Familie, die als regulatorische Untereinheiten sogenannter spannungsgesteuerter Kalziumkanäle wirken und Kalziumströme modulieren – ein wesentlicher Mechanismus für die Kommunikation zwischen Nervenzellen. Seit Kurzem weiß man, dass das α2δ-2-Protein auch für die Organisation synaptischer Verbindungen zwischen Neuronen entscheidend ist. Zum weiteren Verständnis hat nun ein Team der KL Krems die Auswirkungen einer speziellen Mutation des Gens CACNA2D2, das für das α2δ-2-Protein kodiert, analysiert.

Neuronale Doppelrolle

Bei der Untersuchung dieser Mutation (p.R593P), die bei zwei Geschwistern mit DEE festgestellt wurde, konnten die Forschenden gleich zwei Auswirkungen feststellen. „Unsere Ergebnisse zeigen, wie diese Mutation sowohl die Steuerung der Kalziumkanäle als auch die synaptische Organisation beeinflusst – zwei essenzielle Prozesse, die für eine normale Gehirnfunktion nötig sind“, erläutert Prof. Dr. Gerald Obermair, Leiter des Fachbereichs Physiologie am Department für Pharmakologie, Physiologie und Mikrobiologie der KL Krems und verantwortlicher Autor der Studie. „Diese Entdeckungen sind nicht nur für das Verständnis von DEE relevant, sondern bieten auch mögliche Erklärungen für eine Vielzahl von neurologischen Erkrankungen, die mit den α2δ-Proteinen in Verbindung stehen.“

Zur Untersuchung der Mutation nutzten die Forschenden eine homologe Variante der menschlichen p.R593P-Mutation – die p.R596P-Mutation in Mäusen – und untersuchten deren Effekte auf Nervenzellen des Hippocampus, eines für Lernen und Gedächtnis wichtigen Gehirnareals. Die Mutation führte zu einer drastischen Verringerung der Menge von α2δ-2-Proteinen an der Oberfläche von Nervenzellen und in den Synapsen, was die Funktion der neuronalen Verbindungen maßgeblich beeinflusste. Letztlich beeinträchtigte die veränderte Verteilung von Kalziumkanälen und Signalproteinen die Kommunikation zwischen den Synapsen deutlich.

Drei wichtige Veränderungen

Insgesamt wurden drei wesentliche Veränderungen in der synaptischen Funktion identifiziert. Erstens verringert die Mutation die Anzahl von postsynaptischen GABAA-Rezeptoren, welche von präsynaptischen α2δ-2 Proteinen über den synaptischen Spalt hinweg (trans-synaptisch) reguliert wird. GABAA-Rezeptoren vermitteln hemmende Signale im Gehirn und ohne diese Hemmung neigen Nervenzellen zur Überaktivität – ein typisches Merkmal epileptischer Erkrankungen wie DEE. Zweitens beeinflusst die Mutation die Ansammlung von Synapsin, einem Protein, das für die präsynaptische Funktion von erregenden, glutamatergen Synapsen entscheidend ist. Abschließend stellte das Team eine Verringerung der Amplitude erregender postsynaptischer Ströme (sogenannter Mini-EPSCs) fest, was auf eine reduzierte Netzwerkbildung hinweist.

„Unserer Ergebnisse sind spannend, weil sie zeigen, wie eine einzelne Genmutation Auswirkungen auf verschiedene Aspekte der neuronalen Vernetzung hat und die Funktion des Gehirns tiefgreifend verändern kann“, erklärt Sabrin Haddad, M.Sc., Erstautorin der Studie und Doktorandin im Team von Prof. Obermair an der KL Krems. „Die Störung dieser komplexen Signalwege und synaptischen Strukturen liefert eine mögliche Erklärung für die schweren neurologischen Symptome, die bei DEE beobachtet werden.“

Neuer Ansatz zum Verständnis neurologischer Erkrankungen

Die Entdeckung dieser vielschichtigen Auswirkungen auf Kalziumkanal-bedingte und synaptische Funktionen betont die Notwendigkeit weiterer Forschungen zu sogenannten „Synaptopathien“ – Erkrankungen, die durch Störungen der physischen und funktionellen Verbindungen zwischen Nervenzellen entstehen. Die Identifizierung dieser molekularen Mechanismen vertieft das Verständnis der neuronalen Vernetzung und der Gehirnentwicklung. Langfristig könnten sich daraus neue Ansätze zur Behandlung und Verbesserung der synaptischen Kommunikation bei neurologischen Erkrankungen ableiten lassen.

Originalpublikation: A biallelic mutation in CACNA2D2 associated with developmental and epileptic encephalopathy affects calcium channel-dependent as well as synaptic functions of α2δ-2. S. Haddad, C. Ablinger, R. Stanika, M. Hessenberger, M. Campiglio, N. J. Ortner, P. Tuluc, G. J. Obermair. Journal of Neurochemistry. 2024;00:1–24. https://kris.kl.ac.at/en/publications/a-biallelic-mutation-in-cacna2d2-associated-with-developmental-an

Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (Stand 11/2024)

Die Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften (KL Krems) ist eine europaweit anerkannte Bildungs- und Forschungseinrichtung am Campus Krems. Die KL Krems bietet eine moderne, bedarfsorientierte Aus- und Weiterbildung in der Medizin und Psychologie sowie ein PhD-Programm im Bereich Mental Health and Neuroscience an. Das flexible Bildungsangebot ist auf die Bedürfnisse der Studierenden, die Anforderungen des Arbeitsmarkts sowie auf die Herausforderungen der Wissenschaft abgestimmt. Die drei Universitätskliniken in Krems, St. Pölten und Tulln sowie das Ionentherapie- und Forschungszentrum MedAustron in Wiener Neustadt gewährleisten eine klinische Lehre und Forschung auf höchstem Qualitätsniveau. In der Forschung konzentriert sich die KL auf interdisziplinäre Felder mit hoher gesundheitspolitischer Relevanz – u.a. der Biomechanik, der molekularen Onkologie, der mentalen Gesundheit und den Neurowissenschaften sowie dem Thema Wasserqualität und den damit verbundenen gesundheitlichen Aspekten. Die KL wurde 2013 gegründet und von der Österreichischen Agentur für Qualitätssicherung und Akkreditierung (AQ Austria) akkreditiert. https://www.kl.ac.at/

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