Der Streit um die Berliner A 100 beschäftigte erneut das Bundesverwaltungsgericht. Mit Beschluss vom 9. Februar 2012 (BVerwG 9 VR 2.12) hat dessen 9. Senat der Berliner Senatsvewaltig kurzfristig untersagt, ein von ihr erworbenes Kleingartengelände im Trassenverlauf zu beräumen sowie Obstgehölze und Strauchwerk zu entfernen. Im Streit über die Berliner A 100 hatte das Bundesverwaltungsgericht bereits im März 2011 der Berliner Senatsverwaltung den Vollzug des entsprechenden Planfeststellungsbeschlusses untersagt. Die jetzigen Räumungsarbeiten, so das Bundesverwaltungsgericht, verstoßen gegen diese vorläufige Entscheidung und müssten daher unterbleiben. ilex zeigt die Hintergründe auf und erklärt, worauf auch kleinere Städte und Gemeinden in umweltrechtlichen Auseinandersetzungen achten müssen.
Gliederung
1. Der Beschluss und seine Hintergründe
2. Rückschlüsse für Städte und Gemeinden
3. Fazit
1. Der Beschluss und seine Hintergründe
Der Streit über die Berliner A 100 wurde einer breiten, außer-Berliner Öffentlichkeit letztmalig bei den Rot-Grünen Koalitionsverhandlungen und deren Scheitern vor Augen geführt. Neben der politischen Debatte, ist das Infrastrukturprojekt auch Gegenstand einer juristischen Auseinandersetzung.
Gegen den Weiterbau der A-100 sind gleich mehrere Klagen beim Bundesverwaltungsgericht anhängig. Neben einem Naturschutzverbanden klagen auch Privatpersonen gegen das Projekt. Daher erließ das Bundesverwaltungsgericht bereits am 31. März 2011 einen Beschluss, wonach die Vollziehung des entsprechenden Planfeststellungsbeschlusses ausgesetzt wird.
Hierbei ist klarzustellen: Mit diesem Beschluss hat das Bundesverwaltungsgericht nicht endgültig über die Rechtmäßigkeit des Vorhabens entschieden. Vielmehr stellte das Bundesverwaltungsgericht „nur“ fest, dass das Interesse der Antragsteller am Unterbleiben von Vollzugsmaßnahmen bis zur abschließenden Prüfung ihrer rechtlichen Einwände das Interesse des Landes Berlin an der sofortigen Vollziehung des Planfeststellungsbeschlusses überwiege. Mit anderen Worten: Die Kläger sollten nicht vor vollendeten Tatsachen stehen.
Zum Ende des Januar 2012 begann die Senatsverwaltung damit, ein von ihr erworbenes Kleingartengelände im Trassenverlauf zu beräumen sowie Obstgehölze und Strauchwerk zu entfernen (so die Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts Nr. 13/2012). Darin, so das Bundesverwaltungsgericht, liege ein Verstoß gegen den Beschluss vom März 2011, denn derartige Tätigkeiten seien dem Vollzug des Planfeststellungsbeschlusses zuzuordnen und dürften daher einstweilen nicht durchgeführt werden.
Zugleich stellte das Bundesverwaltungsgericht klar, dass davon Maßnahmen der Verkehrssicherung, wie sie jedem Grundstückseigentümer obliegen, namentlich die Beseitigung einsturzgefährdeter Baulichkeiten und die Beseitigung von Abfällen, ausgenommen seien.
2. Rückschlüsse für Städte und Gemeinden
Die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts bringt ein Mehr an Klarheit. Kommunale Entscheidungsträger können nun sehr gut nachvollziehen, welche Gefahren lauern, wenn sich sowohl wichtige regionale Infrastrukturprojekte als auch umweltrechtliche Streitigkeit im Schwebezustand einstweiliger Anordnungen befinden.
Die erste und wichtigste Erkenntnis ist: Eskaliert der Streit um ein Infrastrukturprojekt derart, dass Gerichte damit behelligt werden, herrscht große Verunsicherung – auf beiden Seiten. Kostspielige Folgerechtsstreitigkeit – so zeigt der hiesige Fall recht eindrucksvoll – sind dann kaum zu vermeiden. Daher sollten regionale Infrastrukturprojekte niemals nur von der politischen Seite betrachtet werden.
Ein dreidimensionaler Ansatz empfiehlt sich: (1) Politik, (2) Recht, (3) Psychologie.
Der politischen Dimension gehört dabei das Primat; das heißt, dass ein Infrastrukturprojekt zunächst einmal breite Mehrheiten benötigt. Ohne diese wird das Projekt scheitern oder – schlimmer noch – sich kostspielig in die Länge ziehen (Beispiel: Stuttgart 21).
Sind die Mehrheiten klar, müssen zwingend Recht und Psychologie einsetzen. Dabei geht es mitnichten um Manipulation oder die Verschiebung von Grauzonen des Rechts. Recht und Psychologie müssen vielmehr proaktiv wirken und dabei den gesamten Rahmen aller formaljuristischen Möglichkeiten ausschöpfen. Ein Beispiel: Die Beteiligung der Bürger am Planfeststellungsverfahren darf nicht nur dem gesetzlichen Minimalstandard genügen, sondern muss im Gegenteil extensiv betrieben werden. Hierbei kann die Psychologie helfen, indem sie Ängste und Sorgen freilegt und kanalisiert, sodass anschließend die richtigen Antworten gegeben werden. Gibt es – wie so oft – mehrere richtige Antworten, ist rechtlich zu ergründen, welche dieser Antworten vor den Verwaltungsgerichten Bestand haben und welche nicht. Die übrig bleibenden Antworten sind zu präsentieren und zu diskutieren. Auf diese Weise kann ein Infrastrukturprojekt gerettet werden, bevor es in Gefahr geraten ist.
Der besprochene Beschluss zeigt, dass es am Ende um Streitigkeiten ging, deren Gegenstand gerichtlich bereits gelöste Streitigkeiten sind. Mithin haben auch kleinere Kommunen künftig die Wahl: Wollen sie über die Einhaltung von Gerichtsbeschlüssen streiten oder die Probleme schon vor ihrem Entstehen lösen.
Die zweite Erkenntnis ist rein verwaltungsrechtlicher Natur: Wird ein Planfeststellungsbeschluss außer Vollzug gesetzt, geht damit auch ein Verbot mittelbarer Vollzugsmaßnahmen bzw. vorbereitender Maßnahmen einher. Immerhin hat die Senatsverwaltung die A 100 nicht verlängert, sondern ein von ihr erworbenes Kleingartengelände im Trassenverlauf beräumt.
Daher steht für alle kommunalen Entscheidungsträger fest. Ist der Vollzug eines Planfeststellungsbeschlusses per Gerichtsbeschluss ausgesetzt, so sind damit ganz erhebliche Einschränkungen verbunden, die sogar mittelbare Vollzugsmaßnahmen umfassen.
Einerseits bedeutet dies, dass die berufenen Gerichte bei derartigen Entscheidungen künftig – auch im Rahmen der Abwägung von Vollzugs- und Aussetzungsinteresse – bedenken müssen, welch weitreichende Folgen ein derartiger Beschluss hat.
Andererseits sollte diese Tragweite ein weiterer Anreiz für die Wahl proaktiver Ansätze bei den Umweltschutz berührenden Projekten sein.
Die dritte Erkenntnis lautet: Maßnahmen zur Verkehrssicherung – also zur Gefahrenabwehr – sind von den Einschränkungen nicht umfasst. Mithin kann ein entsprechender Beschluss im Eilverfahren keine Rechtfertigung für die Vernachlässigung etwaiger Pflichten sein.
Damit ist künftig an den Gemeinden, die Differenzierung zwischen zulässigen Sicherungsmaßnahmen und unzulässigen Vollzugsmaßnahmen vorzunehmen. Das ist keine einfache Aufgabe.
3. Fazit
Letztlich zeigt die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, dass umweltrechtliche Streitigkeiten über Infrastrukturprojekte hochbrisant sind. Für Gemeinden und Investoren stellen derartige Projekte oftmals eine wirtschaftliche Geschäftsgrundlage dar. Diese Geschäftsgrundlage wird man – wie das Bundesverwaltungsgericht eindrucksvoll zeigt – nicht dadurch bewahren, dass man an Umweltschutzverbänden und Betroffenen vorbei Entscheidungen trifft, sondern nur dadurch, dass man sie proaktiv einbindet.
Die Entscheidungsträger haben die Wahl: Gerichtsbeschlüsse über Gerichtsbeschlüsse oder die Lösung im Vorfeld.
Dr. Stephan Gärtner
Rechtsanwalt