Die Veräußerung öffentlichen Vermögens ist für viele Gemeinden ein wichtiges Thema; etwa zur eigenen finanziellen Absicherung oder gar im Rahmen einer Unternehmensansiedlung. Die Vertragsgestaltung ist dabei weitaus komplizierter als bei Verträgen zwischen zwei Privatleuten. In diesem Zusammenhang entschied das Verwaltungsgericht Wiesbaden (AZ. 7 L 144/12), dass beim Verkauf von Gesellschaftsanteilen die Möglichkeit eines Bürgerbegehrens zu berücksichtigen ist. ilex erklärt die Hintergründe der Entscheidung und zeigt auf, welche Konsequenzen sich für die Vertragsgestaltung und deren Vollzug ergeben.
Gliederung
1. Die Entscheidung des VG Wiesbaden
2. Konsequenzen für den Verkauf öffentlichen Vermögens
3. Fazit
1. Die Entscheidung des VG Wiesbaden
Der Entscheidung liegt der folgende Sachverhalt zugrunde: Die Wiesbadener Stadtverordnetenversammlung beschloss am 09. Februar 2012, selbst gehaltene GmbH-Gesellschaftsanteile an ein anderes Unternehmen zu veräußern. Das Käuferunternehmen hatte allerdings der Stadt zur Kenntnis gegeben, dass es sich nur bis zum 31. März 2012 an sein Kaufangebot gebunden fühle. Deshalb hatte es die Stadt Wiesbaden nun sehr eilig.
Bereits zwei Tage vor dem Beschluss – also am 7. Februar – wandte sich ein Bürger an das Verwaltungsgericht und verlangte – im Hinblick auf ein mögliches Bürgerbegehren – einstweiligen Rechtsschutz gegen den schon damals absehbaren Beschluss der Stadtverordnetenversammlung. In der Tat sieht die die Hessische Gemeindeordnung (HGO) in ihrem § 8a die Möglichkeit eines Bürgerbegehrens vor. In § 8a Absatz HGO wird den Bürgern hierfür eine achtwöchige Frist, beginnend mit dem angegriffenen Beschluss eingeräumt (§8a Absatz 3 Satz 1: Das Bürgerbegehren ist schriftlich bei dem Gemeindevorstand einzureichen; richtet es sich gegen einen Beschluss der Gemeindevertretung, muss es innerhalb von acht Wochen nach Bekanntgabe des Beschlusses eingereicht sein.).
Diese Frist wurde durch die Entscheidung am 9. Februar 2012 und der auslaufenden Zustimmungsfrist des Käuferunternehmens am 31. März 2012 faktisch verkürzt.
Nunmehr hat die 7. Kammer des Verwaltungsgerichts Wiesbaden entschieden, dass für den Fall, dass bis zum 05. April 2012, 24.00 Uhr, ein Bürgerbegehren schriftlich bei dem Magistrat eingereicht worden sein sollte, das sich gegen den Beschluss der Stadtverordnetenversammlung vom 09.02.2012 richtet, die Stadt Wiesbaden verpflichtet sei, bis eine Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung der Stadtverordnetenversammlung über die Zulässigkeit des Bürgerbegehrens die Veräußerung der Gesellschaftsanteile nicht vorzunehmen. Mithin ist das Vorhaben vorerst gestoppt.
Interessant ist auch die Begründung des Gerichts. So geht aus der Pressemitteilung des Gerichts hervor, dass das Gericht darauf hinweist, dass § 8b HGO allen wahlberechtigten Bürgern einer Gemeinde das Recht einräume, über eine wichtige Angelegenheit der Gemeinde einen Bürgerentscheid zu beantragen (Bürgerbegehren). Die Stadt Wiesbaden hätte es in der Hand gehabt, zum einen die Stadtverordnetenversammlung so früh zu terminieren, dass die achtwöchige Frist für das Bürgerbegehren hätte eingehalten werden können. Zum anderen hätte sie bei der Vertragsgestaltung beachten müssen, das § 8b HGO den Bürgern das Recht auf Einleitung eines Bürgerbegehrens einräume.
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts ist noch nicht rechtskräfitg.
2. Konsequenzen für den Verkauf öffentlichen Vermögens
Die Entscheidung zeigt ein weiteres Mal die Schwierigkeiten auf, vor der Gemeinden stehen, wenn sie über öffentliches Vermögen disponieren oder sonstige privatrechtliche Verträge schließen. Dabei ist das Phänomen der Bürgerbeteiligung nicht auf Hessen beschränkt. Etwa sieht § 15 der Kommunalverfassung des Landes Brandenburg ganz ähnliche Regelungen vor; in anderen Bundesländern gilt vergleichbares.
Mithin sollten Gemeinden – um derartige Eskalationen zu vermeiden – bei entsprechenden Verträgen zweierlei beachten: (1) Die Beschlussfassung für den jeweiligen Vertrag sollte so rechtzeitig terminiert werden, dass die Bürgerbegehrensfrist eingehalten werden kann. (2) Die Verträge sind so zu gestalten, dass sie auf die Möglichkeit der Bürgerbegehren Rücksicht nehmen.
Die Ängste, dass dadurch wichtige Vorhaben erst Recht blockiert werden, kann zerstreut werden. Hier bietet sich an, proaktiv den rechtlichen Rahmen zu analysieren, die Verträge sauber zu formulieren und anschließend die Bürger ordentlich einzubeziehen, wobei ein mehrdimensionaler Ansatz durchaus geeignet ist.
3. Fazit
Der Beschluss des Verwaltungsgerichts Wiesbaden zeigt, wie wichtig es sowohl für Gemeinden als auch Investoren ist, Verträge über öffentliches Vermögen von Anfang richtig zu gestalten und alle Risiken zu bedenken. Dabei ist das Element der Bürgerbeteiligung auf den ersten Blick kein relevanter Bestandteil des Vertragsrechts. Und doch hätte dieser Streit und Stopp des Vollzugs des Kaufvertrags sehr gut vermieden werden können, wenn man an diese Möglichkeit nur gedacht hätte.
Dr. Stephan Gärtner
Rechtsanwalt