WESTERWELLE im Deutschlandfunk „Interview der Woche“
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem Deutschlandfunk folgendes „Interview der Woche“. Die Fragen stellte SABINE ADLER:
Frage: Herr Westerwelle, haben Sie sich heute schon entschuldigt?
WESTERWELLE: Haben Sie auch einen Grund, warum ich das tun sollte, wenn Sie diese Frage stellen?
Frage: Zum Beispiel bei den Langzeitarbeitslosen, die sich möglicherweise düpiert fühlen angesichts der Debatte jetzt um die Hartz IV-Nachbesserung?
WESTERWELLE: Wir haben als FDP beispielsweise durchgesetzt, dass diejenigen, die Hartz IV beziehen, künftig von dem, was sie sich fürs Alter zurückgelegt haben, auch mehr behalten dürfen. Wir haben das sogenannte Schonvermögen verdreifacht. Damit haben wir in den ersten Tagen unserer Regierungszeit als FDP mehr soziale Sensibilität gezeigt als die SPD in den gesamten letzten elf Jahren. Und ich bleibe dabei, dass, wer vorsorgt fürs Alter, nicht bestraft, sondern auch belohnt werden muss.
Frage: Reichen Ihnen die Baustellen, die Konflikte, die Sie zum Beispiel innerhalb der Koalition haben, nicht aus?
WESTERWELLE: Mir geht es um die Sache. Und ich finde, es ist geradezu eine zynische Debatte, wenn diejenigen, die in Deutschland arbeiten, die aufstehen, die fleißig sind, sich mittlerweile dafür entschuldigen müssen, dass sie von ihrer Arbeit auch etwas behalten möchten. Denn wir können nicht nur eine Debatte führen über die Bezieher von staatlichen Leistungen, sondern wir müssen endlich auch an diejenigen denken, die hart arbeiten, die haben auch Familien zu versorgen. Und mehr und mehr werden diejenigen, die arbeiten in Deutschland, zu den Deppen der Nation. Das akzeptiere ich nicht. Ich finde es geradezu skandalös, dass eine Kellnerin, wenn sie zwei Kinder hat und wenn sie verheiratet ist, im Schnitt 109 Euro weniger zur Verfügung hat, als wenn sie beispielsweise Hartz IV beziehen würde. Das kann so nicht weitergehen. Und deswegen bleibe ich dabei mit aller Entschiedenheit: Wer arbeitet, muss mehr haben als derjenige, der nicht arbeitet. Und wenn man das sagt und dafür kr itisiert wird, dann ist das wirklich eine ziemlich sozialistische Entwicklung in dieser Republik.
Frage: Es wird gar nicht bestritten, dass es ein Lohnabstandsgebot geben soll. Das Bundesverfassungsgericht hat in dieser Woche bescheinigt, dass die Hartz IV-Regelsätze für Kinder nicht erlauben, dass sie menschenwürdig aufwachsen können. Das wäre für die Bürgerrechtspartei FDP eigentlich ja auch ein Thema. Sie könnten sich auch für die Rechte der Kinder stark machen ?
WESTERWELLE: Erstens habe ich keinen einzigen Ton zu dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes kritisch gesagt, sondern ganz im Gegenteil. Ich habe eine sehr positive Haltung dazu, dass vor allen Dingen die Rolle der Kinder in unserer Gesellschaft gestärkt wird. Sondern ich habe ja die Debatte kritisiert nach dem Motto: Jetzt hat Karlsruhe entschieden, und dann haben ja die Oppositionsparteien ausgerufen, damit sei das gesamte Thema „Faire Steuern für die Mittelschicht“ erledigt, das könne jetzt die FDP beerdigen, man müsse dieses Geld jetzt voll einsetzen, um auch die Sozialausgaben weiter zu erhöhen. Und das sehe ich sehr kritisch. Ich habe als Mitglied der Bundesregierung auch großen Wert darauf gelegt, dass gleich zu Beginn dieses Jahres von den Maßnahmen, die wir beschlossen haben, vor allen Dingen die Familien profitieren. Von den ersten 100 Tagen der neuen Bundesregierung haben am allermeisten die Familien profitiert. Wir haben das Kindergeld pro Kind um 20 Euro erhöht , das sind immerhin auch im Monat empfindliche Beträge. Und wir haben die Kinderfreibeträge auch entsprechend erhöht. Das zeigt doch, dass wir, auch dass ich ganz persönlich, der Auffassung bin: Familien, die Rolle von Kindern – das muss im Mittelpunkt von Politik stehen.
Frage: Was bedeutet das jetzt für die Nachbesserung der Hartz IV-Regelsätze für Kinder, wie geht Ihre Partei damit um?
WESTERWELLE: Dass wir natürlich dieses Urteil sehr genau auswerten. Ich glaube, dass wir ohnehin einen völligen Neuanfang brauchen in unserem Sozialstaat. Der Sozialstaat muss treffsicherer werden, wir müssen vor allen Dingen denen mehr helfen, die sich selbst nicht helfen können, insbesondere den Kindern. Aber wir müssen genau so auch hinzufügen: Wer jung ist, wer gesund ist, wer keine eigenen Angehörigen zu versorgen hat – und wenn dem dann zumutbare Arbeit angeboten wird, dann muss er sie auch annehmen und muss auch für das, was er bekommt, eine Gegenleistung erbringen. Ich glaube, wir müssen aber auch Sozialpolitik umfassender diskutieren, nicht nur als eine Frage von Regelsätzen. Sondern für mich ist die beste Sozialpolitik immer noch die Bildungspolitik, und da haben wir in Deutschland mittlerweile geradezu dekadente Erscheinungen. Dass hier in Berlin demnächst die Gymnasiumsplätze nicht mehr nach Noten oder nach Leistung oder nach Bewertung vergeben werden sollen, sond ern zu fast einem Drittel, wenn Mangel da ist, per Losverfahren, ist ein himmelschreiender Skandal gegen die junge Generation. Und wenn ich mir die Einheitsschule in Hamburg ansehe, wenn ich mir ansehe, dass die Eltern nicht mehr die Schulform wählen können, nicht mehr wählen sollen die Schulform für ihre Kinder, dann ist das ein Skandal. Wenn man die Kinder so schlecht behandelt, wenn man Losverfahren einführt für Schulplätze, dann sind das Erscheinungen, die man nur noch als dekadent bezeichnen kann. Dagegen wende ich mich mit aller Entschiedenheit. Es muss auch ein junger Mensch die Chance des Aufstiegs haben. Und es wird jedem jungen Menschen die Chance des Aufstiegs genommen, wenn er gewissermaßen ein Lotterielos wird. Das ist auch in meinen Augen klar verfassungswidrig, dagegen wende ich mich mit aller Entschiedenheit. Und ich bin selber erst auf der Realschule gewesen, ich bin ein Glückskind von Bildung als Bürgerrecht, ich durfte später aufs Gymnasium. Mein Vater war der erste, der studiert hat in seiner Familie. Und deswegen werde ich immer Bildung als die zentrale Frage des sozialen Aufstiegs auch verfechten.
Frage: Herr Westerwelle, die erste Reaktion, die aus Ihrer Partei kam nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil war: Steuern runter. Wäre angesichts eines solchen Urteils, einer solchen schallenden Ohrfeige, wie man ja auch als Kommentar immer wieder lesen und hören konnte – wäre da eine andere Reaktion nicht überfällig gewesen, weil es wieder denjenigen recht gibt, die sagen: Die FDP ist eben doch eine Ein-Themen-Partei, ist eben doch eine Klientelpartei?
WESTERWELLE: Nein, wir sind eine Partei, die vor allen Dingen die kleinen und mittleren Einkommen im Kopf hat. So kann es ja nicht weitergehen wie bisher, dass die ganze Republik über Hartz IV redet oder über ein paar steuerkriminelle Millionäre in der Schweiz, aber dass diejenigen vergessen werden, die den Karren in Deutschland ziehen. Das ist deshalb auch so wichtig, weil die Mitte und die Mittelschicht in Deutschland immer weiter schrumpft. Das ist sehr gefährlich, denn wenn die Mittelschicht wegbricht, dann verlieren wir die Brücke zwischen arm und reich. Und dann werden wir eine gesellschaftliche Spaltung haben, die es unbedingt zu verhindern gilt.
Frage: Herr Westerwelle, die Mittelschicht bricht unter anderem auch deshalb weg, weil die Löhne immer weiter sinken, weil immer mehr prekäre Beschäftigungsverhältnisse entstehen. Müssen wir die Diskussion über Mindestlöhne führen?
WESTERWELLE: Ich glaube, wir müssen vor allen Dingen die Diskussion führen über das, was wir für Wachstum zu tun haben. Deswegen machen wir ja eine Wirtschaftspolitik, die besonders stark auf den Mittelstand setzt. Aber ich will Ihnen in jedem Falle recht geben: Wir haben in Deutschland eine Lage, wo gerade von den kleineren Einkommen zu viel abgenommen wird. Das ist das Thema „Bürokratie“, das ist das Thema „Gebühren“ – man denke nur auch an Kindergärten oder Nachhilfe – alles was man auch für die eigenen Kinder schaffen möchte und oft genug auch in den derzeitigen Zuständen schaffen muss ?
Frage: ? höre ich da heraus: möglicherweise doch Sachleistungen für Kinder?
WESTERWELLE: Ich kann das nicht ausschließen, dass wir vor allen Dingen in der Bildung mehr dafür sorgen müssen, dass auch etwas, was wir für Kinder tun wollen, wirklich bei den Kindern ankommt. Das ist doch die zentrale Frage. Wir müssen mehr für Kinder tun. Aber ich möchte, dass es auch wirklich bei den Kindern ankommt. Und ich glaube, dass Bildung die zentrale Aufstiegschance ist, und ich glaube, dass die ganze Durchlässigkeit einer Gesellschaft auch von Bildung abhängt. Und ich finde es nicht in Ordnung, dass, wenn zum Beispiel ein Handwerker Überstunden klopft und später zu seiner Familie nach Hause kommt, dass er davon fast nichts mehr behalten darf. Und ich finde es auch nicht in Ordnung, dass eine alleinerziehende Mutter sich den ganzen Tag an die Supermarktkasse setzt, hart arbeitet, und trotzdem nicht mehr hat, als wenn sie es ließe. Das muss doch endlich wieder verändert werden in diesem Land. Und wenn man das nicht mehr aussprechen darf, dann haben wir in Deutschl and sozialistische Denkverbote. Ich bleibe ausdrücklich bei dieser Bezeichnung.
Frage: Nun sind Sie in der Regierung, Sie können das beeinflussen, ob wir demnächst den Sozialismus einführen oder nicht. Nach gut 100 Tagen schwarz-gelber Koalition: Ist Regierungsarbeit da mitunter zum Schreien?
WESTERWELLE: Ich habe in den ersten 100 Tagen vor allen Dingen zwei Dinge verfolgt: Die Familien zu stärken und vor allen Dingen auch den Mittelstand zu unterstützen, denn 80 Prozent der Ausbildungsplätze, 70 Prozent der Arbeitsplätze werden ja im Mittelstand geschaffen und nicht bei diesen Großindustrien, denen wir pausenlos irgendwelche Steuermilliarden als Subventionen hinterherwerfen. Da brauchen wir eine wirkliche 180-Grad-Wende der deutschen Wirtschaftspolitik. Das ist nicht in 100 Tagen zu schaffen, aber man muss damit beginnen. Und wenn wir über Hartz IV reden, möchte ich einmal darauf aufmerksam machen: Das habe ich ja nicht in den letzten 100 Tagen gemacht, sondern das ist die Politik von SPD und Grünen, fortgesetzt von SPD und Union. Ich muss irgendwo auch mal darum bitten, dass man fair mit uns umgeht. Wir haben etwas mehr als 100 Tage Regierungsverantwortung und können nun wirklich nicht auf einmal alles ändern, was in elf Jahren falsch gelaufen ist. Das könnte n icht mal eine Mischung aus Einstein und Herkules.
Frage: Waren 100 Tage nicht ausreichend dafür, dass man sich in der Koalition so weit zusammenrauft, dass es ohne Brüllerei im Kabinett geht?
WESTERWELLE: Ich habe noch keine solche Stimmungs- und Geräuschlage in der Regierung selber mitbekommen ?
Frage: ? dann im Koalitionsausschuss? ?
WESTERWELLE: ? auch nicht. Da ich an jedem Koalitionsausschuss und an jeder Kabinettsitzung teilgenommen habe, kann ich Ihnen sagen, dass es sehr konstruktiv, gelegentlich auch natürlich mit Meinungsunterschieden, wie sollte es auch anders sein in einer Koalition, aber doch sehr konstruktiv zugeht. Und gerade das Verhältnis zwischen der CDU-Vorsitzenden und mir ist sehr solide und sehr vertrauensvoll.
Frage: Was läuft da gerade innerhalb der CDU beziehungsweise aus der Richtung des nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten in der Debatte um Atomkraftwerkslaufzeiten? Verbirgt sich dahinter in Wirklichkeit der Versuch, mit den Grünen zu liebäugeln und die FDP möglicherweise abzuservieren?
WESTERWELLE: Sehen Sie, erst mal zur Sache. Die Kernenergie ist nichts anderes als eine Brückentechnologie. Aber wir wissen: Wenn wir heute, also jetzt, wie von Rot-Grün ja beschlossen, aus der Kernkraft in Deutschland aussteigen, also die sichersten Kernkraftwerke der Welt jetzt abschalten, dann werden wir am Tag danach den Strom aus sehr viel unsicheren Kernkraftwerken aus dem Ausland einkaufen. Das hat also weder etwas mit Ökonomie noch mit Ökologie zu tun. Und vor allen Dingen ist es unsozial, denn die Stromrechnungen werden in Deutschland explodieren, würden wir jetzt das tun, was Rot-Grün beschlossen hat, also jetzt in diesem Jahr mit dem Abschalten beginnen. Das wollen wir nicht. Dass dieses aus den Reihen der Union politisch in Frage gestellt wird, muss ich zur Kenntnis nehmen. Wir wollen einen anderen Weg gehen. Und ich nehme auch zur Kenntnis, dass manche Abgeordnete im nordrhein-westfälischen Landtag bei der CDU für Schwarz-Grün werben. Wir sind der Auffassung, das s damit die Verhältnisse sehr klar sind, auch in Nordrhein-Westfalen. Wer also eine Regierung der Mitte möchte, wer möchte, dass eine Regierung aus CDU und FDP in Nordrhein-Westfalen erfolgreich weiter regiert, hat als verlässlichen Partner nur die FDP.
Frage: Was würde passieren, wenn Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen tatsächlich nicht gewinnen würde? Wäre das sozusagen der Spatenstich für das Grab der schwarz-gelben Koalition im Bund?
WESTERWELLE: Ich bin erstens zuversichtlich, dass, wenn die Alternative sichtbar wird in Nordrhein-Westfalen, nämlich eine linke Mehrheit im Landtag aus SPD, Grünen und Linkspartei, auch mit der großen Gefahr, dass es dann eine linke Regierung gibt, oder eben einer Regierung aus CDU und FDP, dann werden sich die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger meiner Einschätzung nach auch für eine Regierung der Mitte, eine Regierung aus Union und FDP entscheiden.
Frage: Sind die Düsseldorfer Politiker da ein bisschen Provinzfürsten, die das große Ganze nicht sehen?
WESTERWELLE: Nein. Das sind sie nicht. Ich schätze sowohl den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten, aber insbesondere auch den stellvertretenden Ministerpräsidenten Andreas Pinkwart. Vor allen Dingen Andreas Pinkwart hat ja nun wirklich in den Bereichen Bildung, Forschung und Wissenschaft gezeigt, dass das völlig neue Akzente sind. In Nordrhein-Westfalen ist man in den letzten Jahren, in denen wir jetzt mitregieren, in den letzten fünf Jahren, aus der Steinkohle ausgestiegen und hat stattdessen neue Lehrerstellen geschaffen.
Frage: Der Deutschlandfunk, das Interview der Woche, heute mit Guido Westerwelle, dem FDP-Chef und Außenminister. Herr Westerwelle, Sie haben gerade einen Namen genannt, nämlich Andreas Pinkwart. Man könnte zwei hinzufügen, Herrn Hahn aus Hessen beziehungsweise Wolfgang Kubicki aus Kiel, alles Parteifreunde von Ihnen, die immer auch für Störmanöver gut sind. Bringen Sie da die Parteifreunde selber unter Druck? Schaffen die einen nächsten Konfliktherd?
WESTERWELLE: Die FDP hat immer lebhaft diskutiert und ich will das auch nicht ändern. Ich bin Mitglied einer liberalen Partei geworden, weil bei uns das freie Wort möglich ist. Und das ist manchmal für einen Parteivorsitzenden eine ziemlich anstrengende Angelegenheit. Aber es ist für mich eine der schönsten Charakteristika der FDP, dass wir eben eine liberale Partei sind mit großem Respekt auch vor andern Meinungen.
Frage: Ein wichtiger Konfliktpunkt ist am Ende der Woche ausgeräumt worden, nämlich der Streit mit Erika Steinbach um ihre Nominierung im Stiftungsrat. Haben Sie jetzt die Friedenspfeife herausgeholt und mit ihr geraucht?
WESTERWELLE: Ich bin sehr zufrieden mit dem, was vereinbart worden ist, weil es einmal die außenpolitischen Belange der Bundesrepublik Deutschland berücksichtigt und weil es zum zweiten auch für mehr Transparenz in Deutschland sorgt. Das ist jetzt auch Gegenstand der Vereinbarung und deswegen bin ich mit dieser Vereinbarung sehr zufrieden.
Frage: Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse von der SPD ist es nicht. Er ist fest davon überzeugt, dass die Hängepartie weiter geht, dass es also neue Streitrunden gibt. Er ist auch davon überzeugt, dass das ein Erpressungsversuch war von Erika Steinbach, der nur halb erfolgreich war, aber der die Bundeskanzlerin und Sie als Außenminister beschädigt hat. Folgen Sie ihm?
WESTERWELLE: Dass SPD-Funktionäre das kritisieren, kann ich nachvollziehen, denn ihnen ist das in ihrer Regierungszeit nicht gelungen, was uns als FDP und auch mir persönlich als Außenminister jetzt gelungen ist.
Frage: Herr Westerwelle, Sie haben in dieser Woche den Einsatz in Afghanistan als einen bewaffneten Konflikt im Sinne des Völkerrechts bezeichnet. Was bedeutet das für die Bundeswehrsoldaten? Bedeutet es, dass gezieltes Töten in Zukunft mit im Auftrag enthalten ist?
WESTERWELLE: Nein, es geht nicht darum, dass wir Opfer suchen, sondern es geht darum, dass wir eine Lage beschreiben wie sie ist. Und die Intensität der militärischen Auseinandersetzungen auch im Norden Afghanistans hat so zugenommen, dass ich zu dieser völkerrechtlichen Bewertung als Minister, der für das Völkerrecht ja auch zuständig ist, kommen musste. Wir haben uns das sehr genau angesehen. Dass das zugleich auch mehr Rechtssicherheit für unsere Soldaten schafft, begrüße ich. Es hat ansonsten mit dem Mandat nichts zu tun. Und es hat übrigens auch nichts zu tun mit der Frage des Einsatzes von Polizisten, denn das ist ja ohnehin zwischen Bund und Ländern vereinbart, dass die Ausbildung von afghanischen Polizisten durch deutsche Polizeischulung nur dort stattfindet, wo ja auch die Bundeswehr für Sicherheit eintritt.
Frage: Warum war es für Sie schwierig, sich zu dieser Bewertung durchzuringen? Wenn wir vergleichen: Der Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg hat diese Bewertung etwas früher vorgenommen, er hat sie angeregt. Jetzt sind Sie auch darauf eingegangen. Was war für Sie schwierig?
WESTERWELLE: Na, die Faktenlage muss ja beigebracht werden! Ich kann ja so etwas nicht mal eben in einem Interview sagen oder vielleicht am Rande irgendeiner Konferenz mal eben in die Kameras sprechen, sondern das ist ja ein außerordentlich bedeutsamer Vorgang. Und deswegen habe ich das auch in der Regierungserklärung gesagt. Und da gehörte es erstens auch hin, und zweitens muss das so solide vorbereitet sein, dass es auch trägt.
Frage: Sie haben die Rechtssicherheit für die Soldaten angesprochen. Der andere Aspekt bei diesem Problem ist auch der Versicherungsschutz der Soldaten. Wird der sich verbessern?
WESTERWELLE: Das sind Fragen, die Sie mit dem Bundesverteidigungsminister besprechen müssen. Ich will mich da als Außenminister nicht in sein Amt einmischen, weil es sich ja umgekehrt auch nicht gehören würde.
Frage: Wie sicher sind Sie sich der Zustimmung der SPD zu dem neuen Afghanistanmandat?
WESTERWELLE: Ich glaube, dass die Sozialdemokraten zustimmen sollten und auch zustimmen könnten. Wir hatten bisher 4500 Soldaten in Afghanistan. Und trotzdem waren nur 280 im engeren Sinne für die Ausbildung und Schulung der Sicherheitskräfte in Afghanistan selbst zuständig. Jetzt erhöhen wir das Kontingent um 500 und trotzdem werden wir 1400 Soldaten einsetzen für die Schulung. Wir müssen doch an der selbsttragenden Sicherheit in Afghanistan bauen und arbeiten, wenn wir eines Tages auch aus Afghanistan abziehen möchten. Denn niemand will doch, dass das ein Einsatz ist für ewig und drei Tage. Und deswegen haben wir uns drei Ziele gesetzt: Anfang nächsten Jahres wollen wir mit der regionalen Übergabe der Sicherheitsverantwortung beginnen. Ende nächsten Jahres wollen wir so weit sein, dass wir erstmalig unser Kontingent der Bundeswehr reduzieren können. Und wir unterstützen dann für 2014 das Ziel des afghanischen Präsidenten Karsai, dass er bis dahin vollständig die Sicherheits verantwortung für das eigene Land übernehmen kann. Und ich setze darauf, dass die SPD nicht vergisst, was sie selbst in der Regierung zu verantworten hatte. Bedauerlicherweise muss ich sehen, dass die Grünen vergessen haben, dass sie selbst mal diesen Afghanistaneinsatz begonnen haben, nämlich mit Gerhard Schröder und Josef Fischer. Und ich habe etwas vorgefunden und muss jetzt mit dieser Frage umgehen und muss das Beste daraus machen. Und ich sage das ganz klar: Ein einfaches ‚Weiter so‘ des Einsatzes – das war nicht akzeptabel, das ist nicht akzeptabel. Und deswegen habe ich auch dafür gesorgt, dass sich diese Strategie ändert.
Frage: Guido Westerwelle im Interview der Woche des Deutschlandfunks. Herr Westerwelle, der EU-Sondergipfel diese Woche hat sich mit Griechenland beschäftigt. Es ist quasi der Bündnisfall für die Eurozone ausgesprochen worden. Kommt Deutschland jetzt um eine finanzielle Hilfe für Griechenland überhaupt nicht mehr herum?
WESTERWELLE: Ich finde, dass die Staats- und Regierungschefs sich sehr vernünftig, sehr klug entschieden haben und geeinigt haben. Dieses vernünftige Ergebnis ist ganz wesentlich auch auf das kluge Wirken der deutschen Bundesregierung zurückzuführen. Ich habe noch am Morgen mit Angela Merkel, als sie dann nach Brüssel abgereist ist, die Linie besprochen. Und die ist ganz einfach zusammengefasst: Griechenland weiß, dass es eine europäische Solidarität gibt, aber Griechenland muss auch wissen, einen Blankoscheck der deutschen Steuerzahler gibt es nicht. Griechenland muss sich selber anstrengen, auch diese Strukturreform umzusetzen. Und ich habe bei meinem Besuch in Athen den festen Willen von Ministerpräsident Papandreou geschildert bekommen, dass jetzt auch dieses Strukturpaket, um auch die Verhältnisse in Griechenland zu verbessern, politisch mit Nachdruck umgesetzt wird.
Frage: Das klingt so, als würde Deutschland kein Geld geben?
WESTERWELLE: Ich spekuliere nicht über irgendetwas, was jetzt in Zukunft noch zu diskutieren sein kann. Ich rate auch davon ab, dass wir Griechenland immer weiter ins Gerede bringen oder im Gerede halten. Und das sage ich übrigens auch jenen, die schon über andere Länder da in der Öffentlichkeit diskutieren. So bringt man Staaten und Regierungen ins Gerede. So sorgt man dafür, dass dann das Vertrauen verloren wird. Aber wir alle wissen: Vertrauen braucht man, wenn man auch zum Beispiel sich bei den Finanzmärkten finanzieren möchte als Regierung. Und das ist natürlich in Griechenland im Augenblick alles andere als einfach.
Frage: Herr Westerwelle, finanzielle Hilfe hat auch General Motors eingefordert oder darum gebeten. Wie wird sich die Bundesregierung positionieren? Wird sie für die Sanierung der Opelwerke Geld geben?
WESTERWELLE: Wie jeder andere Antragsteller, so hat natürlich auch jetzt Opel das Recht, dass das alles jetzt seriös geprüft wird. Aber einen Bonus für Großunternehmen gibt es nicht, denn das ginge immer zu Lasten des Mittelstandes. Und das wird genauestens jetzt vom Bundeswirtschaftsminister geprüft. Ich begrüße sehr, dass der Bundeswirtschaftsminister sich auch als Mittelstandsminister versteht und dementsprechend sich auch weigert, schon irgendwelche Zusagen zu geben, bevor wirklich dargelegt worden ist, warum jemand Geld beantragt und ob es auch gegenüber anderen Firmen fair ist, denn man muss ja auch die Gleichbehandlung mit anderen Unternehmen immer im Kopf behalten. Man will ja auch nicht, dass man einem Unternehmen hilft, und anschließend gehen die anderen Unternehmen derselben Branche pleite, weil sie die Subventionen nicht kriegen.
Frage: Ist das auch die Haltung gegenüber der fehlenden Finanzierung bislang für den Militär-Airbus?
WESTERWELLE: Diese Gespräche laufen zurzeit. Sie sind so schwierig und laufen ja auch zwischen mehreren Ländern, dass ich da im Augenblick auch schon aus Gründen des Erfolges dieser Gespräche nichts sagen kann, denn natürlich möchte hier ein Unternehmen einen wirtschaftlichen Vorteil oder ein wirtschaftliches Entgegenkommen der Regierung, und wir sind als Regierung zu allererst die Anwälte der Steuerzahler. Es ist ja nicht unser Steuergeld. Ich wundere mich manchmal in Deutschland über diese Debatte. Da ist die Rede von Staatsgeldern, ob bei Hartz IV, ob bei Airbus oder bei Opel. Es sind doch alles keine Staatsgelder. Es sind Gelder von Steuerzahlern, die der Staat lediglich umverteilt. Und da hat der Staat gefälligst sehr vorsichtig damit umzugehen.
Frage: Ich möchte Sie als Außenminister noch ansprechen auf eine Begegnung, die Sie in der vorigen Woche hatten, nämlich mit Ihrem iranischen Kollegen Mottaki, von der man ja vielleicht im Vorfeld erwarten konnte, dass sie ein bisschen hoffnungsfrohere Signale aussendet. Das ist nicht der Fall gewesen. Der iranische Präsident hat in dieser zurückliegenden Woche den Iran als Atomstaat ausgerufen. Ist die internationale Gemeinschaft am Ende ihres Lateins?
WESTERWELLE: Wir sind aus zwei Gründen sehr besorgt über die jüngsten Entwicklungen im Iran. Erstens: Der Umgang mit den Demonstranten zeigt, dass die iranische Führung mit Demokratie nichts im Sinn hat. Und zum zweiten: Es ist das selbstverständliche Recht des Irans, auch die Atomenergie zu nutzen, zivil für die eigene Wirtschaft. Da bieten wir auch unsere Hilfe an. Aber es ist die unbedingte Pflicht des Iran, für Transparenz zu sorgen, weil der Iran in keiner Weise berechtigt ist, sich atomar zu bewaffnen. Diese Vereinbarungen und Verpflichtungen ist er selber eingegangen. Deswegen sind wir natürlich voller Sorge über die jüngsten öffentlichen Erklärungen. Wenn der Iran nicht zurückkehrt zur Kooperation, wenn er nicht bereit ist, mit der Völkergemeinschaft wieder zusammen zu arbeiten, wenn er nicht bereit ist, auch für Transparenz zu sorgen im Hinblick auf das eigene Atomprogramm, dann sind weitere Maßnahmen nicht auszuschließen. Und das kann dann auch bedeuten, dass in New York bei den Vereinten Nationen über eine Erweiterung der Sanktionen zu sprechen sein wird.
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