WESTERWELLE-Interview für den ?Deutschlandfunk?

Berlin (pressrelations) –

WESTERWELLE-Interview für den „Deutschlandfunk“

Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab dem „Deutschlandfunk“ das folgende Interview. Die Fragen stellte SANDRA SCHULZ:

Frage: 30.000 zusätzliche Soldaten will US-Präsident Barack Obama nach Afghanistan schicken, um langfristig die Perspektive für einen Abzug zu sichern. Wie bekommt das Land eine Perspektive für Sicherheit und Stabilität? Das ist Ende des Monats Thema bei der internationalen Konferenz in London. Über die deutsche Position wollen wir in den kommenden Minuten sprechen. Am Telefon begrüße ich Außenminister Guido Westerwelle (FDP). Guten Morgen!

WESTERWELLE: Schönen guten Morgen, Frau Schulz und ein frohes neues Jahr.

Frage: Danke, auch so. – Herr Westerwelle, mit welchem Angebot an die Alliierten reist die Bundesregierung nach London?

WESTERWELLE: Wir haben das Ziel, dass auf dieser Londoner Konferenz zu Afghanistan ein breiter politischer Ansatz die Tagesordnung bestimmen wird. Ich selbst habe fünf Punkte ja auch in die Diskussion eingebracht und auch mit den Verbündeten besprochen, nämlich dass es um die Sicherheit geht, dass es aber auch geht um die Verbesserung der Regierungsführung, also zum Beispiel den Kampf gegen Korruption, zum dritten um die Wiedereingliederung von Mitläufern, dass es um den Wiederaufbau und die wirtschaftliche Entwicklung zum vierten geht, denn ohne eine gute wirtschaftliche Entwicklung werden immer mehr auch zu Mitläufern von entsprechenden Taliban-Initiativen, -Bewegungen und -Aggressionen, und zum fünften geht es natürlich auch um die regionale Zusammenarbeit, denn jeder weiß, der Afghanistan besucht hat, dass man die Probleme in Afghanistan nicht lösen kann, ohne auch die Grenzgebiete genauestens mit im Blick zu haben, also eine gute Koordination auch mit den Nachbarn.

Frage: Und die Frage, die Sie jetzt ausgespart haben, um die es in London natürlich auch gehen wird, ist die nach einer deutschen Truppenaufstockung. Wie viele zusätzliche deutsche Soldaten werden denn nach Afghanistan gehen: 1.500, 2.000?

WESTERWELLE: Ich lehne diese Debatte über Truppenaufstockungen ab. Bevor man über irgendwelche politischen Fragen diskutiert hat und auch nicht die Ziele, die strategischen Ziele gemeinsam im Bündnis vereinbart hat, macht es wenig Sinn, dass man eine Konferenz wie in London gewissermaßen dann überfrachtet und sie zu einer Truppenstellerkonferenz werden lässt. Dagegen wende ich mich seit längerer Zeit und augenscheinlich auch mit einem ordentlichen Erfolg, denn die Einladung zur Londoner Konferenz hat einen breiten politischen Ansatz und das ist auch auf das Drängen von uns Deutschen zurückzuführen, auch auf meine Arbeit.

Frage: Aber das strategische Ziel, mehr Sicherheit für Afghanistan, das ist ja nun eigentlich seit Jahren schon klar. Warum stellen Sie die deutsche Strategie auch zu einer eventuellen Truppenaufstockung nicht jetzt schon vor der Konferenz vor, damit auch vielleicht der Bundestag schon mal sich Gedanken machen kann über das nötige Mandat?

WESTERWELLE: Aber ich werde selbstverständlich auch mit unseren Fraktionen im Deutschen Bundestag vor der Konferenz Gespräche führen. Im Übrigen haben wir die Truppen bereits gerade erst aufgestockt, nämlich von 3.500 Soldaten auf 4.500 Soldaten. Wir sind stark in Afghanistan engagiert. Wir sind auch bereit, bei der Schulung zum Beispiel von Polizei auch mehr zu tun, denn wenn wir ja eine Abzugsperspektive in den nächsten vier Jahren für unsere Soldaten erarbeiten wollen, dann müssen wir ja auch dafür sorgen, dass es die selbsttragende Sicherheit in Afghanistan gibt und deswegen wollen wir bereits in London daran arbeiten, den Übergabeprozess der Sicherheitsverantwortung an Afghanistan und die Afghanen von 2010, also von diesem Jahr an zu beginnen. Wo es regional geht, wollen wir den Afghanen mehr Verantwortung für ihr Land übertragen. Es geht hier also um den Beginn eines Prozesses, an dessen Ende eine Abzugsperspektive für unsere Soldaten steht. Aber abermals: Der zivile Au fbau, er muss derzeit militärisch geschützt werden, und genau darum geht es, dass wir eine Perspektive für das Land uns erarbeiten, damit es auch vor allen Dingen keine weiteren Aggressionen von Terroristen gegen uns in Mitteleuropa geben kann.

Frage: Herr Westerwelle, lassen Sie uns bei dem Punkt stehen bleiben: Übergabeprozess der Sicherheitsverantwortung. Sie haben da gerade noch für dieses Jahr ein sehr ehrgeiziges Ziel genannt. Was spricht denn dafür, dass das Land für diese Verantwortung schon bereit ist bei der aktuellen Sicherheitslage?

WESTERWELLE: Deswegen spreche ich ja auch von mehr Verantwortung für das Land. Zum Beispiel ist ja die Sicherheitsverantwortung für den Bereich Kabul an die Afghanen schon übertragen worden. Es gibt Bereiche – und das klingt auch in Ihrer Frage durchaus mit -, da haben wir sehr negative Entwicklungen, da hat sich die Sicherheitslage verschlechtert, aber es gibt auch Bereiche, da hat sich die Sicherheitslage deutlich verbessert. Es gibt also Licht und Schatten, was unsere Arbeit in Afghanistan angeht und unser Engagement angeht, und wir wollen ja nicht auf ewig in Afghanistan mit unserer Bundeswehr bleiben, sondern wir wollen ja Schritt für Schritt die Übergabe der Verantwortung an die Afghanen organisieren, und ich bin doch nach vielen Gesprächen zu dem Ergebnis gekommen, dass nahezu die allermeisten Verbündeten das ganz genauso sehen. Ich spreche ja nicht davon, dass wir im Jahr 2010 abziehen; ich spreche davon, dass wir in diesem Jahr mit dem Prozess der Übergabe der Verant wortung weiter vorankommen.

Frage: Herr Westerwelle, aber noch mal die Frage, wie das gehen soll. Derzeit hat das Land nicht einmal eine funktionierende Regierung. Die Anschläge auf die Bundeswehr haben im vergangenen Jahr noch einmal zugenommen. Was spricht dafür, dass die Sicherheitslage anders als in den vergangenen acht Jahren jetzt langsam eine selbstständige Sicherheit trägt?

WESTERWELLE: Weil Sie Afghanistan als Ganzes nehmen und dabei meines Erachtens nicht ausreichend beachten, dass es in den Regionen Afghanistans sehr unterschiedlich aussieht. Wir haben Distrikte in Afghanistan, da gibt es eine positive Entwicklung, da sind wir mit unserer Arbeit so weit vorangekommen, dass diese Diskussion auch der Übergabe der Sicherheitsverantwortung, also des Prozesses an die Afghanen im Jahr 2010 beginnen kann, und das sehen sehr viele Verbündete von uns ganz genauso.

Frage: Außenpolitisch steht jetzt auch der Jemen neu im Fokus, weil die Spuren der Hintermänner des vereitelten Anschlags vom ersten Weihnachtsfeiertag dort hinführen. Droht dort – so sehen es ja viele Beobachter in den USA – ein neuer Krieg?

WESTERWELLE: Wir verfolgen die Lage im Jemen sehr aufmerksam, und das ja nicht erst seit gestern. Wir haben ein ganz großes Interesse an einem stabilen Jemen, damit der kein Rückzugsgebiet für Terroristen werden kann oder bleiben kann. Ich sage noch einmal, dass wir auch uns als Deutsche sehr stark engagieren. Wir sind größter Geldgeber beispielsweise aus Europa, beispielsweise von Entwicklungshilfe, weil wir brauchen funktionierende staatliche Strukturen. Ich werde selbst in dieser Woche auf die arabische Halbinsel reisen und ich werde dort natürlich auch über Jemen, die Lage im Jemen, die instabile Lage im Jemen mit vielen Regierungsvertretern anderer Länder dieser Regionen sprechen. Darum geht es vor allen Dingen, dass wir uns koordinieren, denn das Vorgehen gegen Kriminelle und Terroristen im eigenen Land ist in erster Linie natürlich Aufgabe der jemenitischen Regierung, die das ja auch erklärt hat, dass sie sich dieser Aufgabe entschieden stellen wird, und wir tun, was w ir in unserem Rahmen können, um auch die Regierung dabei zu unterstützen und die Lage im Jemen zu stabilisieren. Ich selbst werde wie gesagt noch in dieser Woche zu Gesprächen auf der arabischen Halbinsel sein.

Frage: Der Vizekanzler und FDP-Chef Guido Westerwelle im Gespräch mit dem Deutschlandfunk. – Herr Westerwelle, ich möchte mit Ihnen noch auf die Innenpolitik schauen. Schwarz-Gelb ist ja mit vielen Konflikten in zentralen Fragen in die Legislaturperiode gestartet. In einen kommt jetzt offenbar Bewegung: es geht um die umstrittene Berufung Erika Steinbachs in den Stiftungsrat des geplanten Zentrums gegen Vertreibung. Die Präsidentin des Bundes der Vertriebenen hat jetzt in mehreren Zeitungsinterviews einen möglichen Verzicht angedeutet, wenn der BDV mehr Sitze im Stiftungsrat bekommt. Wäre das aus Ihrer Sicht ein Kompromiss?

WESTERWELLE: Ich werde jeden neuen Vorschlag selbstverständlich auch fair, sachlich und konstruktiv prüfen, denn mein Ziel ist ja nicht irgendeine persönliche Auseinandersetzung, sondern mein Ziel ist es ja, dass die Beziehungen zwischen Deutschland und Polen nicht beschädigt werden, und was diesem Ziel dient, werde ich unterstützen, denn die deutsch-polnischen Beziehungen, sie sind historisch aufgeladen und schwierig genug, wir wollen sie verbessern, nicht verschlechtern. Das liegt im ureigensten deutschen Interesse.

Frage: Die Forderungen Erika Steinbachs, die liegen jetzt ja seit gestern Abend schon relativ konkret vor, formuliert im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Wie viele zusätzliche Sitze für den Bund der Vertriebenen können Sie sich denn vorstellen?

WESTERWELLE: Ich kann Ihnen lediglich sagen, dass ich jeden neuen Vorschlag prüfen werde, wie ich das gerade eben auch getan habe, aber bevor ich die Vorschläge im einzelnen mir angesehen habe, und auch, bevor ich mir angesehen habe, was darin tatsächlich noch Genaues steht, kann ich natürlich auch keine abschließende sachliche Bewertung von solchen Vorschlägen hier vornehmen.

Frage: Jetzt ist natürlich der CSU-Landesgruppenchef Friedrich in seiner Einschätzung schon ein Stückchen weiter. Er sagt der Süddeutschen Zeitung, der BDV baue Ihnen jetzt eine goldene Brücke. Kommt da neuer Streit auf die schwarz-gelbe Koalition zu?

WESTERWELLE: Ich habe ja nun, glaube ich, eine sehr konstruktive Meinung Ihnen gerade gesagt und ich muss auch sagen, dass es aus meiner Sicht vor allen Dingen darum geht, dass die nachbarschaftlichen Beziehungen zu unserem Land Polen wachsen und gedeihen können, dass sie nicht belastet werden oder sich verschlechtern, und das ist meine Aufgabe als Außenminister und das haben alle Außenminister vor mir so gehandhabt und das ist gar nicht ein Spezialthema von mir, sondern das liegt im deutschen Interesse, dass unsere Nachbarschaftsverhältnisse gut sind. Das ist ja die Aufgabe eines Außenministers, dass er sich für gutnachbarschaftliche Beziehungen einsetzt, nicht nur zu Polen, aber insbesondere auch, und das Verhältnis ist ja historisch nicht leicht, wie wir alle wissen. Dementsprechend arbeite ich so wie alle meine Amtsvorgänger daran, dass die gutnachbarschaftlichen Beziehungen wachsen. Und noch mal: Wer für die gutnachbarschaftlichen Beziehungen eintritt, zum Beispiel zu Po len, der macht deutsche Außenpolitik und nimmt deutsche Interessen wahr, denn das liegt in unserem ureigensten deutschen Interesse, dass wir beste Beziehungen zu unseren Nachbarstaaten auch pflegen.

Frage: Herr Westerwelle, noch die letzte Frage mit der Bitte um eine kürzere Antwort. Sie haben jetzt gerade die konstruktive Prüfung zugesagt. Gleichzeitig liegen die Vorschläge ja auf dem Tisch. Wann wollen Sie diese konstruktive Prüfung denn aufnehmen?

WESTERWELLE: Sobald die Vorschläge denn tatsächlich dann abschließend da sind. Bisher gibt es ein paar Zeitungsmeldungen, aber mir ist genauso wie Ihnen ja durch die Nachrichten übermittelt worden, dass noch eine Erklärung aussteht, und dann werden wir uns das alles in Ruhe sachlich und konstruktiv ansehen, denn hier geht es wie gesagt nicht um einzelne, hier geht es darum, dass die Beziehungen zu unseren Nachbarländern nicht belastet werden, sondern sich vernünftig entwickeln können.

Frage: Der Bundesaußenminister, Vizekanzler und FDP-Vorsitzende Guido Westerwelle heute im Gespräch mit den „Informationen am Morgen“. Danke schön!

WESTERWELLE: Ich danke Ihnen!

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