WESTERWELLE-Interview für die „Passauer Neue Presse“
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab der „Passauer Neuen Presse“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten ANDREAS HERHOLZ und RASMUS BUCHSTEINER:
Frage: „Brandstifter“, „Esel“, „Spalte“ – für Ihre Äußerungen in der Hartz-IV-Debatte hagelt es Kritik nicht nur vom politischen Gegner ? haben Sie einen falschen Ton angeschlagen?
WESTERWELLE: Die Vorwürfe meiner Kritiker zeigen doch nur, dass sie keine Argumente haben. Die Diskussion über Leistungsgerechtigkeit in Deutschland war überfällig. Jetzt, wo die Kritiker sehen, dass Millionen Bürger mir recht geben, mäkeln sie an einer angeblich falschen Tonlage herum. Ich habe nur ausgesprochen, was alle Politiker wissen, aber sich nicht zu sagen trauen.
Frage: Hat Sie die Heftigkeit der Reaktionen überrascht?
WESTERWELLE: Wenn man in Deutschland schon dafür angegriffen wird, dass derjenige, der arbeitet, mehr haben muss als derjenige, der nicht arbeitet, dann ist das geistiger Sozialismus. Die Diskussion über das Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat sozialistische Züge. Von meiner Kommentierung dieser Debatte habe ich keine Silbe zurückzunehmen. Im Gegenteil: Die wütenden Reaktionen aus dem linken Lager zeigen doch, dass ich den Finger in die Wunde gelegt habe. Für viele Linke ist Leistung ja beinahe eine Form von Körperverletzung. Dagegen wehre ich mich. Im übrigen habe ich nicht das Karlsruher Urteil kritisiert. Davor habe ich großen Respekt. Ich kritisiere die Debatte darüber.
Frage: Gibt es in Deutschland zu wenig Leistungsbereitschaft?
WESTERWELLE: Wer vergisst, dass sich Leistung lohnen muss, legt die Axt an die Wurzel des Wohlstandsbaumes. Darunter leiden die Schwächsten unserer Gesellschaft. Wenn wir die Leistung der Mittelschicht länger ignorieren, ist die Gefahr groß, dass unser Land
scheitert. Eine Spaltung der Gesellschaft droht, wenn die Mittelschicht noch weiter schrumpft. Dann bricht die Brücke, die Arm und Reich verbindet, weg. Wer seinem Volk anstrengungslosen Wohlstand verspricht, sorgt dafür, dass wir alles verlieren. Deswegen mögen mich die Sozialdemokraten aller Parteien kritisieren, es bleibt dabei: Leistung muss sich lohnen, und es gibt keinen Wohlstand ohne Anstrengung und Leistung. Wer arbeitet, darf nicht mehr und mehr zum Deppen der Nation gemacht werden. Das ist die geistig-politische Wende, die ich meine.
Frage: Das Bundesverfassungsgericht verlangt eine Neuregelung der Hartz-IV-Sätze bis Ende 2010.
Antwort: Es sollte der Ehrgeiz der Politik sein, sehr viel schneller eine neue Regelung zu verabschieden.
Frage: CSU-Chef Horst Seehofer fordert bereits eine Totalrevision von Hartz IV.
WESTERWELLE: Ich war nie ein Freund der Hartz-IV-Gesetzgebung, so wie sie von Rot-Grün technisch und handwerklich schlecht gemacht worden ist. Wir haben dafür gesorgt, dass das Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger verdreifacht wurde. Wer ein Leben lang Altersvorsorge betrieben hat, darf nicht bestraft werden, wenn er in Not gerät.
Frage: Wie sollte die Reform des Sozialstaats konkret aussehen?
WESTERWELLE: Wir müssen dafür sorgen, dass der Sozialstaat treffsicherer wird. Gerade auch im Interesse der Bedürftigen. Sozialetat und Schuldendienst machen 60 Prozent unseres Haushalts aus. Nach 11 Jahren staatlicher Umverteilung droht der ganz normale Steuerzahler zum Sozialfall zu werden. Das kann nicht so weitergehen. Die FDP hat vom Bürgergeld bis zur flexiblen Rente Vorschläge gemacht. Wer sich dieser Diskussion verweigert, setzt die Zukunft des Landes aufs Spiel.
Frage: Die CSU wirft Ihnen vor, nur Getöse statt konstruktiver Ideen zu verbreiten. Werden Sie angesichts der schlechten Umfrageergebnisse vor der NRW-Wahl nervös?
WESTERWELLE: Wir haben uns in der Vergangenheit mit der CSU so manches Scharmützel geliefert. Aber in der Bekämpfung linker Ideologen hatten wir früher die CSU auf unserer Seite.
Frage: Wie erklären Sie den Fehlstart der schwarz-gelben Koalition?
WESTERWELLE: Das wird sich zurecht rütteln. Die Anfangsschwierigkeiten habe ich mir nicht gewünscht, aber sie sind erklärbar: Die Union hat die letzten vier Jahre mit der SPD regiert. Das hat auch mentale Spuren hinterlassen. Wir waren in der Opposition und wollen einen politischen Wechsel weg von der Staatswirtschaft hin zur sozialen Marktwirtschaft. Das wird sich alles mehr und mehr synchronisieren. Die bisherigen Ergebnisse stimmen ja auch, denken Sie nur an die Entlastungen für Familien.
Frage: Aber der Streit zwischen Union und FDP nimmt kein Ende. Mitunter wird es sogar persönlich. Wieso stimmt die Chemie zwischen den Wunsch-Koalitionspartnern nicht?
WESTERWELLE: Das Verhältnis zwischen der Bundeskanzlerin und mir ist ausgezeichnet. Es ist eine sehr tragfähige Voraussetzung für die richtigen Ergebnisse in der Koalition.
Frage: Beim Thema Atomausstieg sollen Sie in der Koalitionsrunde richtig laut geworden sein. Was stört Sie an der Position von Bundesumweltminister Norbert Röttgen (CDU)?
WESTERWELLE: Kernkraft ist eine Brückentechnologie auf dem Weg in das regenerative Zeitalter. So steht es im Koalitionsvertrag, daran halten wir fest. Was nützt es der Umwelt, wenn wir in Deutschland aus den sichersten Kraftwerken der Welt aussteigen, nur um am Tag danach den Strom aus sehr viel unsichereren Kraftwerken aus dem Ausland einzukaufen?
Frage: Wie sehr besorgt Sie als FDP-Vorsitzender das Werben der Union um die Grünen?
WESTERWELLE: Ich nehme zur Kenntnis, dass einige CDU-Abgeordnete in Nordrhein-Westfalen eine schwarz-grüne Koalition als Ziel ausrufen. Das schafft Klarheit für die bürgerlichen Wähler: Wer Schwarz-Gelb in Nordrhein-Westfalen will, muss auf Nummer Sicher gehen und die FDP wählen.
Frage: Nach fast 15 Prozent bei der Bundestagswahl liegt die FDP nun in den Umfragen bei acht Prozent. Schrillen da bei Ihnen nicht alle Alarmglocken?
WESTERWELLE: Ich bin jetzt im neunten Jahr Parteivorsitzender. Bei jeder Bundestagswahl haben wir seitdem zugelegt. Ausschläge in den Umfragen hat es immer gegeben. Aber die Wahlergebnisse stimmen. Das zählt. Im Übrigen: Die Leistung einer neuen Regierungspartei bereits nach etwas mehr als 100 Tagen abschließend bewerten zu wollen, ist doch unangebracht. Nicht einmal eine Mischung aus Albert Einstein und Herkules könnte in 100 Tagen richten, was elf Jahre lang schiefgelaufen ist.
Frage: Nicht alle in der FDP scheinen so gelassen zu sein wie Sie. Wolfgang Kubicki spricht von fehlender Ordnung, Wolfgang Gerhardt von einer ausgesprochen schwierigen Lage für die Partei…
WESTERWELLE: Ein Moment macht noch keinen Tag, und eine Meinungsumfrage noch keinen Trend. In einer Krise wäre die FDP, wenn sie nicht mehr wüsste, was sie will. Aber wir wissen genau, was wir wollen: Die Mittelschicht stärken, die Familien entlasten und für mehr Leistungsgerechtigkeit sorgen.
Frage: Wollen Sie, dass über weitere Entlastungen noch vor der Steuerschätzung im Mai entschieden wird?
WESTERWELLE: Ich interpretiere, was wir aus der Bevölkerung hören, so, dass man von der FDP schnelles und entschiedenes Handeln erwartet. Das nehme ich als Auftrag und Verpflichtung. Wir wollen die nächsten Wochen auch vor unserem Bundesparteitag nutzen, um unsere Pläne zu konkretisieren. Dazu gehört im Steuerbereich vor allem die Abflachung des Mittelschichtsbauches im Steuertarif. Dass die Mittelschicht steuerlich überproportional belastet wird, ist eine Schwächung unserer Wohlstandschancen. Es ist ein wichtiges Anliegen der FDP, für mehr Steuerfairness zu sorgen.
Frage: NRW-Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) hat bereits mit einem Veto gegen weitere Steuersenkungen gedroht. Was, wenn er seine Ankündigung wahr macht?
WESTERWELLE: Auch Herr Rüttgers hat dem Koalitionsvertrag zugestimmt.
Frage: Es geht um ein Entlastungsvolumen von fast 20 Milliarden Euro. Wie wollen Sie das gegenfinanzieren?
WESTERWELLE: Das ist vor allem eine Frage des Subventionsabbaus. Das ist eine Frage staatlicher Effizienzreserven. Nicht der teure Staat ist auch der gute Staat. Im übrigen sind wir haushaltspolitisch solider als die Vorgängerregierung. Obwohl wir Arbeitnehmer und Familien entlastet haben, machen wir weniger Schulden als in der Finanzplanung von Peer Steinbrück vorgesehen war.
Frage: Was spricht aus Ihrer Sicht gegen eine Abschaffung des Solidaritätszuschlages?
WESTERWELLE: Was im Solidarpakt verabredet worden ist, gilt. Darauf muss sich jeder verlassen können.
Frage: Themenwechsel: Die CSU befindet sich weiter auf Talfahrt in den Umfragen. Ist die Partei bundespolitisch überhaupt noch ein Schwergewicht?
WESTERWELLE: Es tut Bayern gut, dass die CSU jetzt gemeinsam mit der FDP regiert. Die CSU ist unser Partner in Bayern und im Bund. Ich bin immer für eine faire Zusammenarbeit. Gelegentliche Zwischenrufe lasse ich an mir abperlen. Sie sehen: Ich zeige die ersten Anzeichen von Altersmilde!
Frage: Nicht der Generalsekretär, sondern CSU-Chef Horst Seehofer hat die Pläne der FDP für eine Gesundheitsprämie als „Nonsens“ bezeichnet…
WESTERWELLE: Wir müssen verhindern, dass alte Menschen künftig durch das Rost der Budgetierung und Rationierung fallen. Genau dahin würde die Fortschreibung eines planwirtschaftlichen Gesundheitswesens führen. Wir müssen das System umbauen, damit es funktionsfähig bleibt. Damit ist einer der besten FDP-Politiker überhaupt betraut: Philipp Rösler. Wir müssen die Zeichen der Zeit erkennen. Gelingt uns das nicht, werden wir im weltweiten Wohlstandsvergleich immer weiter zurückfallen.
Frage: Zur Außenpolitik: Iran reichert weiter Uran an und scheint inzwischen über das Knowhow zur Herstellung von Atomwaffen zu verfügen. Wie lange kann die Welt da noch zuschauen?
WESTERWELLE: Der Iran hat das Recht, die Atomkraft zur eigenen Energieversorgung zu nutzen. Aber er hat die Pflicht, für Transparenz zu sorgen. Die Hand der Völkergemeinschaft ist seit Jahren ausgestreckt. Wir haben stets ins Leere gegriffen. Ich sage ganz deutlich: Wenn sich der Iran weiter verweigert und seine internationalen Verpflichtungen nicht einhält, werden weitere Maßnahmen folgen. Dann sind auch weitere Sanktionen nicht ausgeschlossen.
Frage: Viel wird über einen möglichen Militärschlag Israels spekuliert. Droht eine Eskalation im Iran-Konflikt?
WESTERWELLE: Die Bundesregierung beteiligt sich an derartigen Überlegungen nicht. Wir sind gesprächsbereit. Die Weltgemeinschaft ist sich einig. Auch Russland und China stehen hinter den bisherigen UN-Resolutionen zum Iran.
Frage: Die Bundesregierung und die NATO haben eine neue Afghanistan-Strategie. Warum sollte man damit in kürzerer Zeit erfolgreicher sein als in der Vergangenheit?
WESTERWELLE: Bei der Londoner Konferenz hat es einen wirklichen Neuanfang gegeben. Die afghanische Regierung ist sehr konkrete Verpflichtungen eingegangen – bis hin zur Korruptionsbekämpfung. Wir wollen in diesem Jahr den zivilen Aufbau in den Mittelpunkt rücken. Zu Jahresbeginn 2011 werden wir damit beginnen, in einzelnen Distrikten die Verantwortung an die Afghanen zu übergeben. Unser Ziel ist, dass spätestens Ende 2011 eine Reduzierung des Bundeswehr-Kontingents möglich wird. Wir wollen mit der Bundeswehr schließlich nicht bis zum St. Nimmerleinstag in Afghanistan bleiben. 2014 soll dann die afghanische Regierung die Sicherheitsverantwortung übernehmen. Ein konkretes Abzugsdatum zu nennen, wäre eine Ermutigung für die Terroristen. Ich appelliere an SPD und Grüne, diesen Kurs zu unterstützen und dem neuen Mandat zuzustimmen. Sie haben den Afghanistan-Einsatz schließlich begonnen.
Frage: War es ein Fehler, dass in Deutschland in den letzten Jahren mit Blick auf Afghanistan nicht von Krieg gesprochen wurde?
WESTERWELLE: Ich will die Vorgängerregierungen da nicht kritisieren. Jetzt nennen wir die Dinge beim Namen: Es ist ein bewaffneter Konflikt im Sinne des humanitären Völkerrechts. Diese Klarheit schulden wir auch den Frauen und Männern aus Deutschland, die vor Ort in Afghanistan unter großer Gefahr ihren Dienst tun.
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