WESTERWELLE-Interview für „Welt am Sonntag“ (14.03.2010)
Berlin. Der FDP-Parteivorsitzende GUIDO WESTERWELLE gab der „Welt am Sonntag“ (heutige Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellte HILDEGARD STAUSBERG.
Frage: Herr Außenminister, Sie haben in einer politisch bewegten Zeit Ihre eine Woche dauernde Reise nach Lateinamerika unternommen: Was hat Sie dazu bewogen ? warum machen Sie sich so viel Mühe um Lateinamerika, eine Region, die doch immer noch eher im Windschatten der deutschen Wahrnehmung steht?
WESTERWELLE: Gerade weil das so ist, ist es an der Zeit, die enormen wirtschaftlichen und politischen Potenziale von Südamerika für uns zu nutzen. Brasilien hat in den letzten Jahren eine atemberaubende Erfolgsgeschichte hingelegt und ist wirtschaftspolitisch, aber auch außenpolitisch eine enorm wichtige Stimme in der Welt geworden. Wir wollen mit Brasilien eine strategische Partnerschaft.
Frage: Ein erklärtes Ziel Ihrer Reise war ja, der deutschen Wirtschaft ein besseres Umfeld für Investitionen zu schaffen. Welche neuen Akzente wollen Sie da setzen?
WESTERWELLE: Mir geht es nicht darum, mich von früheren Außenministern abzugrenzen. Aber ich werde die Förderung der Chancen der deutschen Wirtschaft in der Welt zu einem strategischen Anliegen meiner Außenpolitik machen, denn wir leben wesentlich vom Export. Es geht darum, die Durchsetzungskraft der deutschen Wirtschaft in der Welt zu fördern und den Erhalt unserer eigenen Arbeitsplätze politisch zu unterstützen. In Deutschland wird man dafür kritisiert, wenn man als Außenminister die eigene Wirtschaft in der Welt fördert. In anderen Ländern wird man dafür kritisiert, wenn man es als Außenminister nicht tut.
Frage: In Frankreich ist Außenwirtschaftspolitik ja längst ein Teil der Außenpolitik: Diente Ihnen das so ein bisschen als Vorbild?
WESTERWELLE: Daran ist richtig, dass ich in den ersten Monaten überall im Ausland von deutschen Unternehmen und gerade von mittelständischen angesprochen worden bin, wie präsent die französische Politik ist und dass Frankreich Außenwirtschaftsförderung nicht mit spitzen Fingern betreibt, sondern sehr entschieden und sehr entschlossen.
Frage: Gibt es noch andere europäische Länder, an die Sie da denken?
WESTERWELLE: Italien wird häufig sehr unterschätzt, wenn es um
Außenwirtschaftsförderung geht. Aber dort weiß man ganz genau, was zu tun ist. Und auch Großbritannien hat eine sehr lange Tradition, dass Politik sehr wohl auch die Wahrnehmung eigener nationaler wirtschaftlicher Interessen sein darf, ja sein muss.
Frage: Welche Ergebnisse bringen Sie mit nach Hause?
WESTERWELLE: Mehrere deutsche Wirtschaftsunternehmen konnten mir zum Abschluss der Reise von konkreten Vertragsanbahnungen berichten. Dass ich darüber nicht im Detail öffentlich reden kann, ist verständlich. Wenn ich an Brasilien denke, dann sage ich Ihnen einen enormen Boom voraus im Vorfeld der Fußballweltmeisterschaft und der Olympischen Spiele 2014 und 2016. Da sollte Deutschland mit boomen! Deswegen beabsichtigen wir, hier in Brasilien 2013 ein Deutschlandjahr zu organisieren, um damit unsere Chancen systematisch zu befördern. Das ist von meinen Gesprächspartnern bis hin zu Präsident Lula sehr positiv aufgenommen worden.
Frage: In der Wahrnehmung vieler Delegationsmitglieder haben hier in den zurückliegenden Tagen zwei Reisen stattgefunden: eine reale, die sehr erfolgreich war und für die deutsche Stellung in Lateinamerika etwas gebracht hat, und eine virtuelle, die von Berlin aus vorgegeben wurde: Wie haben Sie das empfunden?
WESTERWELLE: Die Berichterstattung in Deutschland wurde von einer durchsichtigen parteipolitischen Verleumdungskampagne angeheizt. Hier in Südamerika hat das nicht mal auch nur ansatzweise am Rande eine Rolle gespielt. Ich bin aber ein Langstreckenläufer und erlebe nicht zum ersten Mal im Laufe meiner politischen Jahre, wie kurz vor Wahlen mit Verdächtigungen und substanzlosen Anschuldigungen Politik gemacht wird. Das ist der durchsichtige Versuch derer, die in Nordrheinwestfalen eine linke
Mehrheit bauen wollen, mich und meine Familie persönlich zu diffamieren.
Frage: Aber was sagen Sie zu den Vorwürfen an der Zusammensetzung ihrer
Delegation?
WESTERWELLE: Da gibt es ein eingespieltes Verfahren im Auswärtigen Amt, das auch bei früheren Außenministern praktiziert wurde. Allerdings lege ich besonderen Wert auch auf die Teilnahme kleinerer und mittlerer Firmen und nicht nur der Großindustrie. Denn gerade auch die mittelständischen Unternehmen brauchen Unterstützung, schließlich sind sie das Rückgrat der deutschen Wirtschaft.
Frage: Sie würden also in Zukunft da nichts anders machen?
WESTERWELLE: Das Verfahren richtet sich streng nach fachlichen und sachlichen Überlegungen und der Expertise in der jeweiligen Region.
Frage: Dennoch steht nach Berichten über bezahlte Verträge und Spenden von Hoteliers der Vorwurf der Klientel Politik im Raume: Kritik wird laut, Sie würden Amt und Partei nicht sauber genug voneinander trennen und die Zufriedenheit mit der schwarz-gelben Regierung sinkt ? gerade mal ein halbes Jahr nach dem Start dieser Koalition: Wie wollen Sie dies ändern?
WESTERWELLE: Ich werde mich nicht beirren lassen. Wer mit Veränderungswillen – wie etwa in der Sozialstaatsdebatte – die politische Korrektheit provoziert, tut zwar das Richtige, riskiert aber auch viel Gegenwind. Dass dieser Gegenwind aber auch meine Familie treffen sollte – und auch trifft, ist für die politische Kultur in Deutschland eine traurige Entwicklung. Das sind lauter Verdächtigungen nach der Methode: Etwas bleibt immer hängen!
Frage: Glauben Sie, dass durch Ihrer Rolle bei der Hartz IV Debatte die Wahrnehmung ihrer Rolle als Außenminister in die zweite Reihe rücken könnte?
WESTERWELLE: Nein, denn wir haben gerade jetzt eine Woche lang wichtige außenpolitische Akzente gesetzt. Und wir haben bereits die nächsten Auslandsreisen in der Planung, wo mich wieder eine auch mittelständisch geprägte Wirtschaftsdelegation begleiten wird.
Frage: Könnten Sie sich vorstellen, dass durch die aktuelle Debatte über Ihre Delegation in Zukunft der eine oder andere Unternehmer gar nicht mehr mitfahren will?
WESTERWELLE: Ich hoffe nicht und ich glaube es auch nicht, denn die meisten Unternehmer wissen doch sehr genau, dass diese Vorwürfe unter der Überschrift „parteipolitische Spielchen“ abgeheftet werden können.
Frage: Ihre persönlichen Beliebtheitswerte als Außenminister sind nicht hoch: Wie erklären Sie sich das und wie wollen Sie das ändern?
WESTERWELLE: Wer auf den Punkt genau Dinge anspricht, holt sich immer auch Ärger ins Haus. Mein Ziel ist nicht Beliebtheit, sondern das Richtige für unser Land zu tun. Veränderungsbereitschaft von der Wirtschafts- über die Sozial- bis hin zur Bildungspolitik muss gegenüber ängstlicher Beharrungspolitik obsiegen. Sonst werden wir nicht Gewinner der Globalisierung, sondern Verlierer sein.
Frage: Verstehen alle diesen Diskurs oder nur diejenigen, die sich im harten Konkurrenzkampf der globalen Wirtschaft bewähren müssen?
WESTERWELLE: Vielleicht nicht im Detail – und das kann man auch nicht verlangen. Aber die Bürgerinnen und Bürger in Deutschland wissen schon, dass ein Land wie Brasilien, wo 35 Prozent der Bevölkerung jünger ist als 15 Jahre und es eine enorm wachsende Mittelschicht gibt, auch eine Herausforderung für uns ist. Und bei der Sozialstaatsdebatte hat man ja sehen können, dass es einen großen Unterschied gibt zwischen der öffentlichen und der veröffentlichten Meinung. Oder, wie man auch sagen könnte, published opinion is not always the public opinion!
Frage: In NRW beginnt der Wahlkampfendspurt: Wie wollen Sie die Bürger überzeugen, die Liberalen zu wählen?
WESTERWELLE: Die Debatte der letzten Wochen zeigt ja, was uns droht, wenn wir linke Mehrheiten zulassen. Wenn ich allein daran denke, dass im rot-roten Berlin jetzt Gymnasiumsplätze verlost werden sollen dann ist das das Ende von Bildung als Bürgerrecht. Das will die Mehrheit der Deutschen nicht.
Frage: Sie sind aus NRW: Glauben Sie, dass Frau Kraft, sollte sich rechnerisch eine linke Mehrheit ergeben, eine Koalition mit der Linken eingeht?
WESTERWELLE: Frau Kraft und Frau Höhn würden noch am Wahlabend bei der Linkspartei anrufen, wenn sich eine Möglichkeit dazu ergäbe. Die Linken in NRW werden intellektuell und personell genährt von den verrückten kommunistischen und marxistischen Splittergrüppen, die wir in den siebziger und achtziger Jahren im alten Westdeutschland erlebt haben. Aber ich vertraue unseren Bürgern, dass sie sich gegen eine Linksregierung entscheiden, bei allem, was man gelegentlich auch an Schwarz-Gelb kritisieren mag.
Frage: Was passiert, sollte dort die Mehrheit für schwarz-gelb verfehlt werden?
WESTERWELLE: Ich bin Rheinländer, also optimistisch, lebensbejahend und lebensfroh. Wir sind gewissermaßen die Brasilianer Deutschlands. Deshalb denke ich immer positiv.
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