Zeitarbeit: Fluch oder Segen?
Ist eine sozialverträgliche Balance im Recht der Leiharbeit möglich?
Dem Thema „Arbeitnehmerüberlassung“ oder „Leiharbeit“ haftet in der öffentlichen Diskussion häufig ein negatives Image an. Ist die Arbeitnehmerüberlassung so schlecht wie ihr Ruf ? oder doch der von Arbeitgeber- und Zeitarbeitsverbänden gepriesene Jobmotor?
In der Rubrik „DER BETRIEB Standpunkte“, die in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift DER BETRIEB erscheint, beziehen vier Experten teils kontroverse Positionen zu diesem komplexen Thema: Der Bonner Arbeitsrechtler, Professor Dr. Gregor Thüsing, Dr. Reinhard Göhner, Hauptgeschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), die stellvertretende DGB-Vorsitzende Ingrid Sehrbrock und der Unternehmer Dr. Eberhard Sasse, Eigentümer des Münchner Facility Management-Dienstleister Dr. Sasse AG.
Nachdenken über das System Arbeitsmarkt
Weder eine schöngefärbte noch eine überwiegend negative Betrachtungsweise wird dem Thema gerecht, meint der Arbeitsrechtler Professor Dr. Gregor Thüsing. Allein die Tatsache, dass es Verletzungen von Arbeitnehmerschutzgesetzen bei der Leiharbeit gibt, stelle diese nicht in Frage: „Abusus non tollit usum“. Er verweist auf die politische Zielsetzung, wonach die Förderung der Leiharbeit Bestandteil einer aktiven Arbeitsmarktpolitik ist, um Arbeitslosen den Wiedereinstieg in den Arbeitsmarkt zu erleichtern. Der Gesetzgeber müsse einen Weg finden zwischen einem Umbau des Arbeitnehmerschutzes, der einerseits die Beschäftigten schützt und andererseits die Flexibilität des Arbeitsmarktes erhöht: „Ziel ist nicht die einseitige Übervorteilung des Arbeitnehmers oder Arbeitgebers, sondern eine beschäftigungsfreundliche und sozial verträgliche Balance im Recht der Leiharbeit.“
Positiv beurteilt BDA-Hauptgeschäftsführer Dr. Reinhard Göhner die bisherigen Erfahrungen mit der Arbeitnehmerüberlassung ? für die Unternehmen, wie für die Beschäftigten: „Ohne die Möglichkeit der Unternehmen, Kapazitäten durch den Verzicht auf den Einsatz von Zeitarbeit kurzfristig zu reduzieren, wäre der wirtschaftliche Einbruch auf dem Arbeitsmarkt aktuell viel stärker spürbar gewesen.“
Zeitarbeit biete die Möglichkeit zur Qualifizierung: „Eine große Rolle spielt die Qualifizierung unter den realen Bedingungen des Arbeitslebens, wo der Zeitarbeitnehmer regelmäßig in die unterschiedlichsten Bereiche Einblick erhält.“ Hinzu kämen Qualifizierungsmaßnahmen durch die Zeitarbeitsunternehmen. Diese hätten beispielsweise die Kurzarbeit während der Krise genutzt, um mit Unterstützung der Arbeitsagenturen ihre Beschäftigten fortzubilden.
Die Gewerkschafterin Ingrid Sehrbrock widerspricht Göhner in mehreren Punkten: Fälle, wie der der Drogeriemarktkette Schlecker oder des Uniklinikums Essen, die über eigene Leiharbeitsfirmen reguläre Arbeitsplätze umgewandelt hätten, seien keine Einzelfälle: „Das hat System“. So nutzten nach der Betriebsrätebefragung der Hans-Böckler-Stiftung aus dem Jahr 2007 zu diesem Zeitpunkt bereits sieben Prozent der Unternehmen die Leiharbeit nach diesem Modell der eigenen Verleihfirma.
Sehrbrock wendet sich insbesondere gegen die Argumentation, wonach Arbeitnehmerüberlassung den Einstieg in reguläre Arbeitsverhältnisse erleichtere: „Die Fluktuation in der Leiharbeitsbranche ist enorm: einem durchschnittlichen Bestand an Leiharbeitnehmern im Zeitraum vom Herbst 2008 bis September 2009 von etwa 550.000 bis 570.000 standen Abgänge in die Arbeitslosigkeit von 470.000 gegenüber. Rein rechnerisch wurden bereits 76% der durchschnittlich beschäftigten Leiharbeitskräfte innerhalb von nur 12 Monaten arbeitslos.“
Aus Sicht des Mittelstandes trägt die unübersichtliche Rechtslage viel dazu bei, dass gerade kleinere und mittlere Unternehmen gerne von der scheinbar einfacheren Arbeitnehmerüberlassung Gebrauch machten, so der Münchener Unternehmer Dr. Eberhard Sasse. Hinzu komme, dass die Weiterentwicklung des Arbeitsrechts sich primär an den Interessen der industrieorientierten Arbeitgeberverbände und der Gewerkschaften orientiere, während die besonders betroffenen Eigentümer- und Familienunternehmer kaum eine Stimme hätten.
Folglich seien Rückgriffe in die Zeitarbeit nicht selten auch ein pragmatischer Weg für mittelständische Unternehmen, um den Schwierigkeiten eines nur noch von großen Expertenstäben durchschaubaren, paralysierenden Arbeitsrechts aus dem Weg zu gehen. Die aktuelle Diskussion um sinnwidrige Arbeitnehmerüberlassungen werde, so die Hoffnung von Dr. Eberhard Sasse, dazu beitragen, „neu, über das System Arbeitsmarkt nachzudenken.“
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